Exklusiv-Interview

Börsenexperte Halver: DAX am Jahresende bei 6800 Punkten

aktualisiert 05.08.10 10:25 Uhr

Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank, über die Aussichten, Risiken und Favoriten an den Aktienmärkten.

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von Silke Kampmann, Euro am Sonntag Online

Herr Halver, momentan scheint der DAX nicht so recht zu wissen, wohin er will. Geben Sie eine Prognose ab, wo der DAX am Jahresende stehen wird?
Der DAX wird deutlich über 6.500 Punkten, im besten Fall sogar bei ca. 6.800 Punkten landen. Grundsätzlich zeigen sich gerade deutsche Aktien im europäischen Vergleich in guter Form. Denn neben einer ausgewogenen und stabilen industriellen Infrastruktur profitiert die deutsche Wirtschaft von ihrer markanten Wettbewerbsstärke. Während unsere Nachbarländer die Frohlockungen der Euro-Einführung und der Zinsverbilligung lange Zeit genossen haben, ohne über Strukturreformen nachzudenken, hat Deutschland seine Defizite angepackt. Das macht sich heute bezahlt: Im Vergleich zu unseren Nachbarländern und auch gegenüber dem Euro-Raum insgesamt haben wir uns seit 2000 mit niedrigeren Lohnstückkosten einen eindeutigen Standortvorteil erarbeitet. Unsere vergleichsweise stabilen Rahmendaten und breite industrielle Infrastruktur, die eben nicht auf risikoreiche Monokulturen wie z.B. die Finanzindustrie setzt, schaffen ein attraktives Umfeld, auch für ausländische Anleger.

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Gibt es Branchen, die Sie im derzeitigen Umfeld für besonders attraktiv halten?
Auf Branchenebene ist ein strategischer Mix aus zyklischen und defensiven Branchen anzuraten. Für zyklische Aktien ist zwar die beste Zeit vorbei. Aber auch bei weniger prall gefüllten Konjunkturtrögen können sich die deutschen Branchenführer aus den Branchen Chemie, Auto und Maschinenbau dennoch sowohl auf Produkt- als auch auf Kostenseite weiterhin die besten Fleischstücke sichern.
Und die defensiven Titel aus den Branchen Versorger, Öl und Gas, Pharma oder Telekom profitieren von ihren stabilen Geschäftsmodellen und damit nachhaltigen Dividendenpotenzialen, die Zinskupons von Staatsanleihen deutlich hinter sich lassen. Und auch in punkto Bonität müssen sie sich mittlerweile nicht mehr vor Bundesschatzbrief & Co verstecken. Außerdem dürften sie zukünftig von einem „Neo-Thatcherismus“ profitieren: Angesichts der enormen Verschuldung wird sich die öffentliche Hand aus bislang hoheitlichen Aufgaben mehr und mehr zurückziehen müssen. Deren Erfüllung z.B. in der Kommunalverwaltung, im Verkehrswesen oder der Infrastruktur könnten an diese Titel ausgelagert werden.

Und von welchen Sektoren sollten Anleger lieber die Finger lassen?
Von Bankentiteln. Die sind momentan ganz schwer einzuschätzen. Ihnen wurden Bilanzspielräume eröffnet, die nur schwer einsehbar sind. Außerdem sind die Bankenregulierungen durch die Politik nicht immer nachvollziehbar. Statt diese globalste aller Branchen international gleich zu strukturieren, finden teilweise wettbewerbsschädliche nationale Alleingänge statt.

Sie glauben an steigende Kurse. In den vergangenen Wochen sahen wir aber vor allem eine Achterbahnfahrt. Können Sie wirklich guten Gewissens eine Anlage in Aktien empfehlen?
Ja, das kann ich. Denn es gibt ja kaum keine attraktive Alternative. Staatsanleihen bieten angesichts der Bonitätsrisiken, aber auch aufgrund der mittlerweile etablierten Haftungsunion im Euroraum keine risikoadäquate Verzinsung. Außerdem werden Substanzaktien an den Finanzmärkten mit nicht wesentlich höheren Insolvenzrisiken als deutsche Staatsanleihen gehandelt. Im Gegenteil, je höher die Staatsverschuldung wird, desto stärker werden sich die Risikoaufschläge dieser Unternehmen zu Staatsanleihen der Nulllinie annähern. Grundsätzlich sind Aktien absolut und relativ gegenüber der größten Alternativanlageklasse günstig bewertet.

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Wenn es denn durchaus kaufenswerte Aktien gibt, warum tun es die Anleger dann nicht?
Die Anleger trauen dem Braten noch nicht. Die Konjunkturdaten aus Deutschland sind zwar gut, aus den Indikatoren der USA lesen aber einige Investoren Gefahren für ein double dip. Es gilt wohl immer noch die Weisheit, dass wenn Amerika hustet, wir eine Lungenentzündung bekommen. Sicherlich sind die USA immer noch der wichtigste Faktor für die Weltwirtschaft und damit für uns. Aber die Schwellenländer wirken zunehmend als konjunkturelles Antibiotikum für die Weltwirtschaft.

Das heißt, Deutschland steht konjunkturell besser da als die USA?
Ja, denn die USA brauchen in diesem Zyklus länger für ihren Aufschwung. Deutschland als Industrie- und Exportland dagegen profitiert deutlich von der wirtschaftlichen Erholung, gerade in den Schwellenländern, die ihr Produktivkapital mit deutscher Hilfe weiter aufbauen wollen. Allerdings kommen wir ohne die USA weltkonjunkturell nicht aus. Aber wir können darauf vertrauen, dass die US-Notenbank kein double dip zulassen wird. Aber die aktuell starke Aufschwungsdynamik werden wir nicht ganz halten können. Denn die Konjunkturdynamik geht massiv auf die Konjunkturprogramme und die Wiederauffüllung der in der Krise dramatisch reduzierten Lagervorräte zurück. Und beide Effekte verlieren an Bedeutung oder sind bald abgeschlossen. Erschwerend kommen die Einsparmaßnahmen in vielen Staatshaushalten und Überhitzungen in China hinzu.

Aber dann müssen wir doch im zweiten Halbjahr mit sinkenden Kursen am deutschen Aktienmarkt rechnen?
Für die Börsen ist die Liquidität, also das Ausmaß der Geldmenge im Markt, sehr viel wichtiger als das Wirtschaftswachstum. Und da die Notenbanken das ohnehin noch schwache Wachstum nicht gefährden wollen, werden die Leitzinsen in diesem Zyklus noch lange auf einem niedrigen Niveau und die Liquidität hoch bleiben. In historischer Betrachtung hat das die Aktienmärkte gestützt.

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Aber die lockere Geldpolitik führt uns dafür vielleicht zu einem Inflationsproblem.
Mit einem Inflationsproblem rechne ich kurzfristig zwar noch nicht. Im Moment ist die Deflationierung das Problem. Die japanische Krankheit will niemand haben. Denn ließe man heute Deflation zu, müsste man morgen noch mehr Schulden machen. Im Übrigen würde Deflation die Schuldenlast von Staat und Privaten real noch weiter aufwerten und einen Aufschwung erschweren. Längerfristig ist die Gefahr auch starker Preisbeschleunigungen nicht von der Hand zu weisen. Denn so wie man Inflation nicht befehlen kann, wird, wenn sie erst einmal läuft, auch niemand fragen, wie viel Preissteigerung es denn sein darf.

Sind Sie denn zufrieden mit dem Krisenmanagement der Notenbanken?
Wie sich die Europäische Zentralbank im Zuge der Finanzkrise verhalten hat, war nicht mehr regelkonform. Die Maßnahmen gingen weit über ihre eigentlichen Aufgaben hinaus. Auch die EZB betreibt mittlerweile Konjunkturpolitik, so wie es die US-Notenbank seit Jahrzehnten tut. Der EZB ist bewusst geworden, dass Euroland ohne eine anhaltend freizügige Liquiditätsversorgung weder aus einem Deflationsumfeld noch aus der Schulden- und Bankenkrise entkommt. Eine klare Ausstiegsstrategie bleibt damit ein Fremdwort. Bis zu einer Zinsanhebung kommt, werden die Bäume mindestens die Blätter verlieren und auch noch einmal grün.

Ist das denn so schlecht? Angesichts der dramatischen Entwicklungen war sie doch zum Handeln gezwungen.
In der Tat, es gab keine Alternative. Aber man muss den Euro-Bürgern auch sagen, wie es in der Zukunft weitergeht. Gilt dann das alte stabilitätsorientierte Regelwerk wieder? Überhaupt ist es eine Bringschuld der Euro-Familienmitglieder eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik einzuleiten. Das nationale Klein-Klein hat einer vernünftigen europäischen Fiskalunion zu weichen, in der alle an einem Strang ziehen. Sprich, die nationalen Kompetenzen müssen stärker europäisiert werden. Das ist ohne Frage eine gewaltige Herkulesaufgabe, die aber angepackt werden muss.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.

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