Antizyklisch investieren: Mit Inflationsanleihen gegen Kaufkraftveränderungen

In Europa und besonders in Deutschland ist die Angst vor Inflation tief verwurzelt. "Behüte uns vor teurer Zeit" betete Martin Luther schon vor 500 Jahren.
Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund: Nur die wenigsten Anleger in Zinsanleihen haben Inflationsprodukte im Depot, um die Folgen einer Teuerung zu dämpfen.
Die Fakten scheinen diesem Verhalten derzeit Recht zu geben: Die Inflationsrate in der Eurozone befindet sich seit Dezember 2012 permanent unter dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2% pro Jahr. Seit Anfang 2015 ist das allgemeine Preisniveau im Vergleich zum Vorjahr sogar gesunken. Diese Entwicklung hat inzwischen die EZB auf den Plan gerufen. Sie kauft Anleihen in Milliardenhöhe an, um die Inflationsrate wieder auf die nachhaltig angestrebte Marke von 2% pro Jahr zu bringen.
Noch ist es zu früh für messbare Auswirkungen. Trotzdem zeigt die Inflationsrate im Trend leicht nach oben: Sie stieg von -0,6% im Januar auf -0,1% im März. Ursächlich hierfür dürfte in erster Linie der Ölpreis sein. Er ist ein Schwergewicht in dem Korb mit Waren des täglichen Bedarfs, wie z. B. Nahrungsmitteln, Kleidung, Mieten und Versicherungen, deren jährliche Preisentwicklung die Basis für die Berechnung der Inflationsrate bildet. Nachdem der Wert eines Barrel der Nordsee-Rohölsorte Brent von 115 US-Dollar Mitte 2014 auf 47 US-Dollar Anfang 2015 gefallen war, steht er derzeit bei 65 US-Dollar. Da Ökonomen mit weiter steigenden Ölpreisen und zudem mit dem Wirksamwerden des Ankaufprogramms der EZB rechnen, dürfte die Inflation längerfristig gesehen weiter ansteigen. Der fünfjährige Inflationsswap weist schon heute in diese Richtung: Er zeigt die Inflationserwartungen der Marktteilnehmer auf Sicht von fünf Jahren an und ist seit Jahresanfang von 0,6% auf 1,2% stark angestiegen.
Inflationsanleihen bieten Privatanlegern die Möglichkeit, sich gegen Kaufkraftverlust zu wappnen. Die angebotenen Produkt-Ausstattungen sind vielfältig und lassen sich in drei Typen unterscheiden: Zum einen gibt es Anleihen, deren Zinszahlungen in verschiedener Ausprägung an die Inflationsentwicklung gekoppelt sind. Hierzu zählen beispielsweise Produkte mit einem Mindestzins (Floor). Diese zahlen entweder die Inflationsrate oder den Floor aus - je nachdem, welcher Wert höher ausfällt. Der fixierte Mindestzins fällt noch höher aus, wenn der Investor bereit ist, einen Maximalzins (Cap) zu akzeptieren. Bei solchermaßen ausgestatteten Anleihen erhält er die Inflationsrate bis zum Cap, mindestens aber eine Zahlung in Höhe des Floors.
Ein Nachteil dieser Varianten ist, dass in der Regel der 100%ige Rückzahlungsbetrag nicht inflationsgeschützt ist. Genau hier setzt der zweite Inflationsanleihe-Typus an. Dieser koppelt die Rückzahlung an die Preisentwicklung und kehrt einen vorab fixierten jährlichen Kupon aus. Der dritte Typ schließlich stellt eine Kombination der beiden erstgenannten dar. Dieses auch als "Linker" bezeichnete Produkt bindet sowohl Zinszahlungen als auch die Rückzahlung des Nennbetrags bei Fälligkeit an den Verlauf der Teuerung. Im Ergebnis wird so die Kaufkraft zum Zeitpunkt der Begebung der Anleihe "konserviert". Diese Anleihen bieten den umfassendsten Schutz vor einer Geldentwertung durch steigende Preise.
Auch wenn derzeit das allgemeine Preisniveau fällt, dürfte es sich für den Privatanleger längerfristig auszahlen, eine mögliche Geldentwertung schon heute in seine Anlageentscheidung mit einzubeziehen. Inflationsanleihen werden in vielfältigen Varianten angeboten. Investoren sollten bei der Produktauswahl neben der Bonität der Emittenten insbesondere ihre Meinung über die zukünftige Entwicklung der Inflation und des Zinsniveaus zu Grunde legen.
Nico Hamm ist Leiter der Abteilung Sparkassen, Banken & Öffentliche Kunden Nord und ist damit auch verantwortlich für den Verkauf der strukturierten Anleihen der HSH Nordbank. Als ausgewiesener Experte für Retailanleihen mit langjähriger Erfahrung schreibt er regelmäßig in seiner Kolumne über alle Themen rund um strukturierte Anleiheprodukte.
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