Vollkasko für den Pflegefall?
Wegen des Anstiegs von altersbedingten Krankheiten wird die gesetzliche Pflegeversicherung künftig noch weniger leisten. Schließt der private Tarif der DKV die Lücke?
von Erhard Drengemann
Die Zahl klingt alarmierend. Bis 2050 wird es laut einer Studie des Kieler Fritz-Beske-Instituts 2,2 Millionen Demenzkranke hierzulande geben. Das sind fast doppelt so viele wie derzeit. Die Zahl der Schlaganfallpatienten soll gar um 62 Prozent zunehmen.
Glaubt man den vollmundigen Worten von Politikern, sind mit der jüngsten Pflegereform die Weichen für eine gute und sicherere Versorgung auch im Pflegefall gestellt. Stationäre Demenzbehandlungen werden erstattet, und Pflegezentren sollen Beratung und ambulante Versorgungsqualität verbessern. Auch ein Inflationsausgleich ist jetzt erstmals seit Einführung vorgesehen.
Das Grundproblem bleibt jedoch. Vorsorge für die sich abzeichnende demografische Entwicklung ist auch in dem vorliegenden Reformgesetz nicht vorgesehen. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt mit der alternden Bevölkerung naturgemäß rasant an. Beträgt sie aktuell gut zwei Millionen, kommen jährlich rund 650 000 neue Pflegeanträge hinzu. 70 Prozent davon werden positiv entschieden. Für das Jahr 2050 rechnen Experten mit rund fünf Millionen Pflegefällen.
Um sich die ökonomischen Konsequenzen vorzustellen, braucht es kein volkswirtschaftliches Seminar. Wird an der Leistung nicht gedreht, müssen die Beiträge steigen. Ein erster Schritt ist schon getan: Kinderlose müssen bereits jetzt einen um 0,25 Punkte höheren Obolus an die Pflegekassen zahlen. Weitere Dynamik ist angesagt. Karl Lauterbach, Gesundheitsökonom aus Leverkusen: „Der Beitragssatz kann leicht auf drei Prozent steigen.“
Doch trotz höherer Beiträge bleibt die Leistung mau. Beispiel: Die durchschnittlichen Pflegekosten in einem Heim belaufen sich schon jetzt auf rund 4000 Euro monatlich. Selbst in der höchsten Pflegestufe III sind nur knapp 1500 Euro erstattungsfähig. Deckungslücke: satte 2500 Euro. Um das finanzieren zu können, müssen entweder die Ersparnisse eingesetzt werden oder Sozialämter ziehen unterhaltspflichtige Verwandte zum Regress heran. Doch selbst dann bleibt bei einem Durchschnittsrentner noch eine Finanzlücke von rund 1500 Euro monatlich.
Um die Lücke zu schließen, versprechen private Versicherer Abhilfe. Die Lebensversicherer werben mit Rentenprodukten, die privaten Krankenversicherer kontern mit Kostenerstattungs- oder Tagegeldpolicen. Auch die Deutsche Krankenversicherung (DKV) will vom wachsenden Marktsegment profitieren und offeriert gleich beide Alternativen – eine Pflegekostenpolice, die maximal 735 Euro monatlich erstattet. Ist eine höhere Risikoabsicherung erwünscht, bleibt nur die Pflegetagegeld-Variante. Hier sind bis zu 2700 Euro erstattungsfähig.
Klingt gut, stellt sich aber bei genauer Betrachtung der Versicherungsbedingungen als Leistung unter Vorbehalt da. Die Höchstleistung gibt es nur bei vollstationärer Pflege. Bei teilstationärer oder ambulanter Pflege erfolgt eine verminderte Quotenleistung in Abhängigkeit von der festgestellten Pflegestufe. Bei Stufe I sind es 25, in Pflegestufe II dann 50 und bei Stufe III schließlich 75 Prozent des vereinbarten Tagegeldes. Beispiel: Bei einem maximal versicherbaren Tagegeld von 90 Euro ergeben sich so 675, 1350 und 2025 Euro (Pflegestufe I, II, III) monatlich (siehe PDF auf Seite 1). Liegt die Versicherungssumme darunter, verringert sich natürlich auch die Leistung entsprechend.
Damit kann sich die DKV im Wettbewerbsumfeld durchaus sehen lassen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen sieht der Tarif PET eine Leistung bereits für die beiden niedrigen Stufen I und II vor. Dort ist das Risiko für den Versicherer am höchsten, weil rund zwei Drittel aller Pflegebedürftigen sich hier versammeln.
Da die Leistung aus der gesetzlichen Pflegeversicherung zum versicherten Tagegeld aus der privaten Police noch dazukommt, steht insgesamt ausreichend Geld zur Verfügung. Ob die finanziellen Mittel allerdings auch genügen, um die Höchstdeckung zu finanzieren, muss jeder für sich entscheiden, denn die Prämien wirken sich unmittelbar auf die individuelle Liquidität aus. Beispiel: Um ein Tagegeld von 90 Euro abzusichern, werden von einem 40-Jährigen zwar nur 31,23 Euro monatlich, von einem 55-Jährigen noch moderate 70,92 Euro verlangt. Bei einem 75-Jährigen steigt der Beitrag allerdings auf fast 250 Euro monatlich – dazu kommen im fortgeschrittenen Alter in vielen Fällen noch Risikozuschläge oder gar -ausschlüsse. Frauen zahlen jeweils rund 30 Prozent mehr (siehe PDF auf Seite 1). Bei der Prämiengestaltung kann die DKV jedoch punkten. Sie stellen sich im Wettbewerbsumfeld als sehr günstig dar. Nachteil: Im Gegensatz zu den Tarifen der Bayerischen Beamten Krankenkasse, der UKV und der AXA besteht Zahlpflicht lebenslang. Also auch dann, wenn der Pflegefall eintritt. Ein begrenztes Risiko, über das man sich aber im Klaren sein sollte.
Positiv fällt das DKV-Pflegetagegeld durch drei „Zuckerl“ gegenüber den übrigen Marktanbietern auf: steigende Leistungen (Dynamik) ohne erneute Gesundheitsprüfung, sofortige Zahlung im Leistungsfall und ein Verzicht auf die sonst übliche dreijährige Wartezeit. Auch ein Aufenthalt im Ausland beschränkt die Pflegeleistung nicht. Vorausgesetzt, dieser erfolgt in Mitgliedstaaten der EU oder in einem anderen Vertragsstaat über den europäischen Wirtschaftsraum.
Auch gegen steigende Beiträge in der Zukunft gibt es eine Hilfe. Die privaten Krankenversicherer setzen das Instrument der Alterungsrückstellung ein. Im Klartext: Gewinne werden auf die hohe Kante gelegt und im Alter zur Beitragssenkung eingesetzt. Ob das reicht, kann heute niemand sagen. Ohnehin hält sich die DKV ein Hintertürchen offen. Attestiert ein Treuhänder die Aufwendungen für Pflegefälle, kann auch die DKV ihre Beiträge anheben.
Solche Schutzmechanismen der kapitalgedeckten privaten Pflegeversicherung sind der umlagefinanzierten gesetzlichen Pflegeversicherung wesensfremd. Bei ihr bestimmt letztlich die Politik die Höhe des Beitrags – und nicht ein Mathematiker.