Jetzt kommt Irland, und wer kommt dann?

Die letzten Tage haben einmal mehr gezeigt, wie schnell sich die Hauptgesprächsthemen an den Börsen wandeln.
Sprach man vor zwei Wochen fast ausschließlich über die milliardenschweren Rettungsmaßnahmen in den USA – offiziell „quantitative Lockerung“ –, hat sich der Schwerpunkt inzwischen wieder auf das alte Europa verlagert. Über Tage hat man Irland überredet bzw. sogar fast unter Druck gesetzt, endlich einen Antrag auf Rettung zu stellen. Dann war es am letzten Sonntag soweit und der Jubel brach los. Allerdings hielt die gute Laune über die Beseitigung eines Problems nicht lange an. Seit Montagmittag herrscht Katerstimmung an den Weltbörsen. Irgendwie traut man den Geistern, die man gerufen hat, nicht so recht…
Wer rettet da eigentlich wen?
Da kommt ein armer Inselstaat in den Genuss von Finanzgeschenken und jeder Menge billigen (Leih-)Geldes. Über viele Jahre genießt der Inselstaat den Geldsegen und lockt Unternehmen aus nah und fern mit niedrigen Steuern und Abgaben. Irgendwann bricht die Konjunktur zusammen und die Unternehmen entlassen ihre Mitarbeiter. Immer mehr Menschen werden arbeitslos und schließlich trifft das auch den Staat. Aufgrund der schwachen Konjunktur wird aber auch der Geldsegen vom Festland immer geringer. Nicht einmal mehr etwas leihen mag man dem Inselvolk – und wenn, dann nur für hohe Zinsen. Die Banken vom Festland wollen aber trotzdem ihr Geld wiedersehen. Da kann das arme Inselvolk nur noch mit den Achseln zucken und die Regierungen vom Festland bitten: „Gebt Ihr uns wenigstens Geld, damit wir Eure Banken auszahlen können.“ Und die Regierungen sagen: „Klar, kein Problem. Ihr kriegt alles, was Ihr braucht.“
Welche EU ist das eigentlich?
Für die eben beschriebene Geschichte wäre man vor fünf Jahren noch schallend ausgelacht worden. Erst Recht vor zwölf Jahren an der Universität in München, wo ich Politikwissenschaften studiert habe und meiner Diplomarbeit genau dieses Szenario seitens der EZB einmal mit einer These angeteasert hatte. „Was für ein Quatsch. Das macht die EU doch niemals.“, war die Meinung meiner Professoren damals. Doch die EU macht es. Genau jetzt. 2010. Und so retten wir die Banken ein nächstes Mal. Wie nach der Immobilienkrise in den USA, wie nach der Griechenlandkrise. Und bald vielleicht auch nach der Portugalkrise oder der Spanienkrise oder… Die Frage ist nur, wie lange sich das eine EU, die derzeit ökonomisch schon fast auseinanderfliegt, leisten kann. Alle paar Jahre zwei- bis dreistellige Milliardenbeträge einfach so mal durch die Gegend schieben, ohne einen größeren Wert im Rücken als die Tinte und das Papier, auf dem die Zahlen gedruckt sind? Das geht so lange gut, wie alle Beteiligten das Spiel mitspielen. Doch irgendwann wird einer kommen und schreien: „Der Kaiser ist nackt“. Dann schauen die Regierungen etwas komisch drein und basteln wieder an der Währung herum. Vielleicht streicht man zwei Nullen, vielleicht vier? Wer weiß das schon. Mit der EU von den Maastrichter Verträgen hat das alles jedenfalls wenig zu tun. Man ist eigentlich auf direktem Weg zu den Vereinigten (Schulden-)Staaten von Europa.
Die USA sollte man nicht vergessen
Betrachtet man sich diese Aussichten genauer, dann kann man die Schimpfkanonaden europäischer Politiker in Richtung der USA nach ihren Lockerungsmaßnahmen nicht mehr wirklich ernst nehmen. Getreu dem alten Kinderscherz: „Ein Esel sagt zum anderen: Langohr!“ Die USA sind also keineswegs besser oder schlechter dran als die europäischen Staaten. Von daher bleibt nur der Blick gen Osten. Der noch immer unbekannte chinesische Drache.
Ein Blick auf die Märkte
Die Aktienmärkte reagieren nach wie vor skeptisch auf die diversen Maßnahmen in den Druckerpressen der Notenbanken. Allerdings sorgt die Geldflut auch für genug Treibstoff für steigende Kurse. Die Indizes können trotz belastender Zwischentiefs immer wieder neue Jahreshochs markieren. Etwas anderes bleibt den Märkten auch nicht übrig. So steigen auch die Rohstoffpreise, ebenso wie die Preise von klassischen Sachwerten wie etwa Gold. Besonders letzteres wird von vielen Anlegern ja inzwischen als die einzig wahre Währung gesehen.
Die Jahresendrallye kommt (wahrscheinlich)
In dem Maße, wie die Geldmengen steigen, steigen auch die Kurse an den Börsen. Vielleicht nicht gerade bei Banken, denn dort traut man inzwischen so gut wie keiner Bilanz mehr. Zu viele schlechte Erfahrungen belasten eben das Vertrauen. Aber abseits der Finanzbranche dürfte es noch zahlreiche spannende Anlagen mit entsprechenden Kurschancen geben. Zumal auch viele professionelle Anleger bis zum Jahresende via Window Dressing noch ihren Erfolg aufhübschen müssen. Von daher ist eine Jahresendrallye mehr als wahrscheinlich. Und der DAX schreit ja gerade zu nach der 7.000er Marke…
Christoph Scherbaum schreibt für dieboersenblogger.de, das einfache und direkte Sprachrohr von Journalisten und deren Kollegen, die teils schon mit jahrzehnterlanger Arbeits- und Börsenerfahrung aufwarten können. Auch als professionelle Marktteilnehmer und natürlich als Börsenfans. In ihrem Blog vertreten sie eine ganz simple Philosophie: Sie schreiben unabhängig von irgendwelchen Analysten, Bankexperten oder Gurus, was sie zum aktuellen (Börsen-)Geschehen denken.
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