Jack White: Der Tonfolger

Der Börsengang des Schlagerproduzenten White war eine der speziellen Merkwürdigkeiten des Neuen Markts. Er hatte keine Ahnung, die Anleger dafür viel Vertrauen. Natürlich ging das nicht gut aus.
von Peter Balsiger, €uro am Sonntag
Er schrieb die Hymne der deutschen Nationalmannschaft zur Fußball-WM 1974 und David Hasselhoffs Megahit "Looking for Freedom". Jack White, der "Kölsche Jung", der eigentlich Horst Nußbaum heißt und in seiner Jugend als Fußballprofi für den PSV Eindhoven spielte, wurde Deutschlands erfolgreichster Musikproduzent und ein Weltstar. Aber sein Börsengang am Neuen Markt endete mit einem Fiasko. Heute ist er von der großen Showbühne abgetreten und kümmert sich vorwiegend um sein Anlageportfolio.
1940 wurde Horst Nußbaum als Sohn eines Metzgers in Köln geboren. Der Vater machte sich aus dem Staub, als Horst zwölf und seine Schwester elf war. Der Junge trug Brötchen und Zeitungen aus, um die Mutter zu unterstützen, die drei lebten in einem Luftschutzbunker auf sechs Quadratmetern und hatten oft Hunger, erzählte er später. "Das hat mich geprägt. Schon damals habe ich mir vorgenommen: Wenn’s dir mal gut gehen sollte, machst du alles ein bisschen anders." Nußbaum lernte Außenhandelskaufmann, erwarb an Abendschulen mehrere Dolmetscherdiplome, arbeitete als Marktforscher, Verkaufsleiter, selbstständiger Versicherungskaufmann und Chef eines Gebrauchtwagenhandels, dessen Umsatz er in nur sechs Monaten um 106 Prozent steigerte.
Vom Kicker zum Sänger
Die ersten großen Erfolge hatte er als Fußballspieler. Er wurde vom legendären Hennes Weisweiler für den Klub SC Viktoria Köln entdeckt und wurde - nach Stationen in Pirmasens und Zweibrücken - mit dem niederländischen Erstligisten PSV Eindhoven Vizemeister. Im Mannschaftsbus grölte er Schlachtengesänge: "Da lernt man schnell, wann eine Melodie knallt." 1966 beendete Nußbaum seine Karriere als Profifußballer.
Seine eigentliche Leidenschaft galt der Musik. Auf eine erste Single (1967, "Ein paar Tränen") folgten noch weitere 14 Titel - ohne nennenswerten Erfolg. Weil sein Produzent auch Roy Black unter Vertrag hatte, wurde Horst Nußbaum nun zu Jack White. Er könne sich noch heute darüber totlachen, dass er mal geglaubt habe, er sei ein guter Sänger, gab er später zu.
Der Durchbruch kam erst, als er die Seiten wechselte. Als Produzent gewann er 1969 mit Roberto Blanco ("Heute so, morgen so") das Deutsche Schlagerfestival. Dann ging es Schlag auf Schlag. Er produzierte Tony Marshalls Mitgröl-Hymne "Schöne Maid" ("Ich habe diesen Hit in 25 Minuten geschrieben" - der Erlös reichte für eine Villa im Grunewald) und weitere zahlreiche Evergreens, etwa für Roland Kaiser, Lena Valaitis, Vicky Leandros, Andrea Jürgens oder Jürgen Marcus.
Mit der bis dahin unbekannten Laura Branigan landete er in den USA mit den Songs "Gloria" und "Self Control" zwei Nummer-1-Hits. Auch "Baywatch"-Star David Hasselhoff verdankt Jack White den Chart-Stürmer "Looking for Freedom" mit Millionenauflagen. Während der 1970er-Jahre schrieb White etwa 1000 Lieder, darunter 1974 für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft den Song "Fußball ist unser Leben".
Er lehnte es stets ab, mit etablierten Weltstars zu arbeiten und zog es vor, entweder Sänger neu zu entdecken oder solche Künstler zu produzieren, an die sonst kein Mensch glaubte - getreu seinem Motto "Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom".
1998 gründete er in Berlin die Jack White Productions AG, die ein Jahr später, am 13. September 1999, am Neuen Markt gelistet wurde. Er hatte den Münchner Chipbroker Erich Lejeune kennengelernt, der ihm voller Begeisterung von seinem eigenen Börsengang erzählt hatte. "Der hat mich irregemacht, im positiven Sinne", erzählte White dem "Spiegel". "Mein Kopf hat angefangen zu rotieren." Aber nun musste er erst mühsam lernen, was ein Kurs-Gewinn-Verhältnis ist oder wie ein Bookbuilding geht.
Jungfräulicher Börsianer
"Bevor wir mit Jack White Productions an die Börse gegangen sind, wusste ich nicht mal, wie man das Wort ‚Aktie‘ schreibt. Ich bin zum Börsengang gekommen wie die Jungfrau zum Kind", erzählte er. "Damals haben viele auf mich eingeredet: Du musst das unbedingt tun! Und plötzlich wollten Analysten ständig Prognosen von mir haben. Ich habe dann gesagt: Ich kann das nicht. Man kann doch nicht prognostizieren, ob eine Platte ein Hit wird oder nicht."
Mit dem Erlös aus dem Börsengang wollte es White noch einmal richtig knallen lassen. Die Firma sollte weiter wachsen, er wollte Superstars einkaufen und Talente vermarkten. Sein Unternehmen sollte eine "Global Entertainment Company", so die Eigenwerbung damals, werden.
Die Aktie war zum Börsengang mehrfach überzeichnet und erzielte bereits am ersten Handelstag einen Buchgewinn von 62 Prozent auf den Ausgabepreis von zwölf Euro. Ein gewisser Rolf Kunz, Analyst von Value Management & Research, hielt die Entertainment-Branche an den deutschen Börsen für unterrepräsentiert und lobte: "Das ist eine sehr emotionale Aktie, und der Markt liebt solche Aktien."
Einmal Multimillionär und zurück
Für den Kurs des White-Papiers schien es nun kein Halten zu geben. Als im Januar 2000 die 50-Euro-Marke durchbrochen wurde, war der Hit-Produzent aus der Berliner Uhlandstraße, der kaum mehr als fünf Millionen umsetzte, plötzlich 650 Millionen wert. Und der Großaktionär White, dem etwa zwei Drittel der Anteile gehörten, war 400-facher Millionär.
Der Höhenflug endete mit einem Kater. Im November 2000 notierte die Aktie bei zwölf Euro, ein Jahr später nur noch bei vier. Auch als Privatmann verlor Jack White viel Geld. Sieben Millionen Mark hatte er zum Beispiel in den Creativ Fonds der Schweizer Privatbank Julius Bär gesteckt, ein Fonds des ehemaligen Anlagegurus Kurt Ochner, der vor allem in Werte des Neuen Markts investiert war. Ochner war damals, so White, "der absolute Oberguru", die beiden hatten sich beim Going Public von Whites Firma kennengelernt.
Er verlor fast seinen gesamten Einsatz und verklagte anschließend Ochner, der lange vom Börsenfernsehen als "Mr. Neuer Markt" hofiert worden war, weil er ihn mit falschen Angaben in den Fonds gelockt habe. Das Landgericht Frankfurt verurteilte die Bank Julius Bär im Dezember 2002 zu einer Schadenersatzzahlung von 3,5 Millionen Euro an den Kläger.
2005 holte White den Musikmanager Thomas Stein, der zuvor die Bertelsmann-Tochter BMG Entertainment geleitet hatte und in der Jury der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" saß, in seine Firma. Stein wurde Vorstandsvorsitzender. Aber: "Zwei Alpha-Tiere waren für die kleine Schlagerklitsche zu viel", befand der "Spiegel". Es kam zu einem "Machtkampf zweier Dinosaurier", die beide in der sich rasant verändernden Musikszene als eher antiquierte Grauzausel galten. So damals die Meinung von Branchenkennern.
Der Machtkampf endete damit, dass Thomas Stein dem Schlagerkönig - beide wohnten inzwischen in Kitzbühel - die Kündigung schickte. Diese Schmach wollte White nicht auf sich sitzen lassen und gründete den Gloriella Musikverlag Horst Nussbaum.
Einmal Investor, immer Investor
Von der großen Bühne verabschiedete sich der viermal geschiedene fünffache Vater 2014 mit einem selbst getexteten "Letzten Lied". Nicht erloschen ist das Interesse des Privatiers für die Börse. Er kauft keine Einzelwerte mehr, sondern investiert in aktiv gemanagte Fonds, bevorzugt dabei globale Aktien- und Mischfonds. "Einzelne Länder interessieren mich nicht, so was würde ich nie kaufen", sagt er. Sein Philosophie als Anleger? Whites Antwort: "Reinhard Mohn, der frühere Bertelsmann-Chef, hat einmal gesagt: ,Nichts zu riskieren ist das größte Risiko.‘ Nach diesem Motto lebe ich im Moment."
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Bildquellen: Jack White Production AG, iStockphoto