Atomausstieg: Höhere Strompreise wären die Folge
Die Energieexpertin des Münchner ifo-Instituts, Prof. Karen Pittel, warnt vor den möglichen Folgen eines deutschen Alleingangs beim Atomausstieg. Die Strompreise würden steigen, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen sinken.
von Thomas Schmidtutz, Euro am Sonntag
Euro am Sonntag: Frau Prof. Pittel, die Bundesregierung tritt bei der Atomenergie angesichts der Katastrophe in Fukushima heftig auf die Bremse. Selbst das Aus für die vereinbarte Laufzeitverlängerung für deutsche Atommeiler ist kein Tabu mehr. Ist die Industrienation Deutschland ohne Atomstrom langfristig überlebensfähig?
Pittel: Die Antwort auf diese Frage hängt vom Zeithorizont ab, für den ein Atomausstieg angestrebt wird. Kurzfristig würde ein Ausstieg aus der Atomenergie ohne einen starken Anstieg der Strompreise nur möglich sein, wenn der Import von Atomstrom aus dem Ausland erhöht wird. Bei einem langfristigen angekündigten Ausstieg dagegen erscheint eine entsprechende Anpassung der Energieproduktion Deutschland möglich. Wichtig ist allerdings, dass den Unternehmen glaubwürdig ein zeitlicher Rahmen kommuniziert wird, auf dessen Grundlage langfristige Planungen möglich sind. Ist der Ausstieg glaubwürdig, so steigen die Anreize in alternative Technologien zu investieren. Eine derartige Umstellung ist allerdings nicht von heute auf Morgen zu erwarten. Auch ein Anstieg der Energiepreise ist kaum zu vermeiden. Würden man die Atomstrom produzierenden Unternehmen allerdings verpflichten, sich entsprechend der im Falle einer Katastrophe eintretenden Schäden zu versichern, so würde der Preis für Atomstrom ebenfalls steigen. Ob und was ein Preisanstieg für die deutsche Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, ist insbesondere davon abhängig, wie sich die Energiepreise im Ausland entwickeln.
An der Strombörse in Leipzig sind die Preise bereits deutlich gestiegen. Müssen sich Verbraucher demnächst auf höhere Stromrechnungen einstellen?
Der Strompreis für Endverbraucher hängt weniger von kurzfristigen Preisschwankungen als von der langfristigen Entwicklung der Großhandelspreise ab. Dementsprechend werden die Entscheidungen, die nach Ablauf des dreimonatigen Moratoriums gefällt werden, entscheidend für die Stromrechnungen sein. Sollte ein kurzfristiger Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen werden, müssten die wegfallenden Kapazitäten zum Teil durch teurere Kohle- und Gaskraftwerke gedeckt werden. Wie stark sich dies auf den Endverbraucherpreis niederschlagen würde, ist auch unter Experten umstritten. Sollte in Zukunft keine Atomkraft mehr für die Deckung der Grundlast zur Verfügung stehen, werden Preisanstiege von bis zu 3 Cent pro Kilowattstunde prognostiziert.
Was würde ein Atomausstieg für die deutschen Unternehmen bedeuten?
Ein deutscher Alleingang beim Atomausstieg, der zu einem weiteren Anstieg der bereits heute im internationalen Vergleich hohen deutschen Strompreise führen würde, würde sich entsprechend negativ auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auswirken. Aus den höheren Energiekosten ergeben sich allerdings auch Anreize, verstärkt in die Entwicklung energiesparender Technologien zu investieren. Da zumindest langfristig auch international ein Anstieg der Strompreise zu erwarten ist, würde sich die deutsche Industrie entsprechend günstig für den Wettbewerb der Zukunft positionieren. In diesem Zusammenhang sollte zum Beispiel auch verstärkt das Potential von Kernfusion erforscht werden. Allerdings werden die Früchte dieser Investitionen und Forschung erst langfristig zu ernten sein.
Können wir unseren Energiebedarf auf absehbare Zeit überhaupt ohne Atomenergie decken?
Auch bei einem kurzfristigen Ausstieg aus der Atomenergie wäre es möglich, den Energiebedarf zu decken. Der Preis wären allerdings eine Steigerung der Stromproduktion in bestehenden Kohle- und Gaskraftwerken sowie, wie bereits gesagt, Atomstromimporte aus dem Ausland. Ein Stopp der deutschen Atomstromproduktion wird daher die Abhängigkeit vom Atomstrom nur partiell reduzieren. Die zusätzliche Nutzung fossiler Energieträger wird die CO2-Emissionen zwar nicht erhöhen, da der deutsche Energiesektor in das europäische Emissionshandelssystem eingebunden ist. Allerdings werden die Zertifikatspreise steigen, was den Strompreis zusätzlich erhöht. Eine grundlegende Umstrukturierung des deutschen Energiesystems zu vertretbaren Kosten würde mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Eine Rückkehr zum alten Atomkonsens mit einem sukzessiven Ausstieg aus der Kernenergie würde hier einen guten Kompromiss darstellen.
Welche Alternativen zum Atomstrom gibt es?
Zuallererst sollte die Frage gestellt werden, was wir langfristig bereit sind, für einen Ausstieg aus dem Atomstrom zu zahlen. In der momentanen Diskussion herrscht teilweise eine „koste es was es wolle“-Mentalität, vor der nur gewarnt werden kann. Ein kurzfristiger Ausstieg um jeden Preis würde schnell zu einem bösen Erwachen führen. Dies heißt allerdings nicht, dass ein Ausstieg bei entsprechendem Planungshorizont nicht möglich wäre. Dieser erfordert allerdings ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Parallel zum Ausbau erneuerbarer Energien müssen intelligente Stromnetze und Kapazitäten zum Ausgleich von Schwankungen aus wind- und sonnenbasierter Stromerzeugung geschaffen werden. Schnell regulierbare Gaskraftwerke bieten hier eine Alternative zum Atomstrom. Ersatz von Kernenergie durch Strom aus fossilen Energieträgern wie Gas erhöht allerdings die deutschen Emissionen an CO2 und erschwert damit die Erreichung deutscher Reduktionsziele. Aus diesem Grunde sollten auch Technologien, die CO2-Emissionen aus der Verbrennung von Gas und Kohle reduzieren, weiterhin unterstützt werden.
Die Atomenergie liefert zuverlässig 93 Prozent der installierten Leistung, bei Windkraft sind es sechs Prozent, bei Fotovoltaik sind es kaum zwei Prozent. Wie soll das funktionieren?
Es ist selbstverständlich illusorisch die installierte Leistung deutscher Kernkraftwerke vor Fukushima, also rund 17.000 Megawatt, durch einen entsprechenden Anstieg der installierten Leistung im Bereich Fotovoltaik und Windkraft zu kompensieren. Ein Wegfall des Atomstroms sollte, wie bereits gesagt, durch einen Mix verschiedener Maßnahmen kompensiert werden, dies kann und sollte nicht durch Fotovoltaik und Windenergie alleine geschehen. Die Rolle, die Solarstrom dabei spielen wird, sollte zudem angesichts von derzeit über 600 Euro Vermeidungskosten pro Tonne CO2, überdacht werden.
Der Ausbau regenerativer Energien setzt auch ein besseres Stromnetz voraus. Allerdings werden neue Hochspannungstrassen häufig ausgebremst. Um die Verfahren zu beschleunigen, plant Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle daher ein bundesweit einheitliches Genehmigungsverfahren. Sehen Sie hier ebenfalls Handlungsbedarf?
Ein bundeseinheitliches Verfahren würde den Verwaltungsaufwand erheblich reduzieren und Entscheidungen beschleunigen. Aus ökonomischer Sicht ist beides sehr wünschenswert und gerade letzteres ist notwendig, wenn der Ausbau erneuerbarer Energien forciert werden soll. Entscheidungen über den Ausbau des Stromnetzes zur Sicherung der Versorgungssicherheit sind zudem von überregionaler Bedeutung und sollten daher auch in den Händen von überregionalen Entscheidungsträgern liegen.
Bioenergie ist zuletzt ebenfalls ins Gerede gekommen. Es gibt Befürchtungen, dass der Anbau von Weizen oder Mais für die Erzeugung von Biosprit zu steigenden Lebensmittelpreise führt. Zu Recht?
Natürlich besteht eine Konkurrenz zwischen der Nutzung von Flächen zur Produktion von Lebensmitteln und Biokraftstoffen. Mehr Fläche für Biokraftstoffe bedeutet weniger Fläche für Lebensmittel. 2008 schätzte die Weltbank, dass bis zu 70% des Anstiegs der Preise für Grundnahrungsmittel der letzten Jahre auf die gestiegene Produktion von Biokraftstoffen zurückgeführt werden konnte. Hinsichtlich der CO2-Bilanz von Biokraftstoffen darf nicht vergessen werden, dass ihre Verbrennung zwar lediglich das während ihres Wachstums gebundene CO2 freisetzt, aber Anbau, Düngung und Kraftstoffproduktion ebenfalls Emissionen verursachen. Insgesamt ist die CO2-Bilanz von Biosprit allerdings meist deutlich besser als von herkömmlichen Kraftstoffen.
Rund 40 Prozent des Energieverbrauchs entfällt auf Gebäude. Die Bundesregierung hat im laufenden Jahr die Förderung für Sanierung von Gebäuden auf rund 900 Millionen praktisch halbiert. Umweltminister Röttgen hat bereits die Rückkehr zum alten Fördervolumen von zwei Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Richtig?
Im Bereich der Gebäudesanierung bestehen hohe Einsparpotentiale an Energie und CO2-Emissionen, die zu verhältnismäßig geringen Kosten erreicht werden können. Viele der geförderten Sanierungen wären allerdings auch ohne Förderung wirtschaftlich, so dass eine Förderung rein betriebswirtschaftlich unnötig wäre. Allerdings werden aufgrund eines verhältnismäßig langen Zeithorizontes der Amortisierung bei weitem nicht alle wirtschaftlichen Projekte auch umgesetzt. An dieser Stelle kann das Gebäudesanierungsprogramm effektiv zusätzliche Anreize setzen. Im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um den Atomausstieg würde ein Aufleben des Gebäudesanierungsprogramms allerdings nur wenig bewirken, da Strom bei der Erzeugung von Raumwärme kaum zum Einsatz kommt.