Ein starkes S in ESG
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Wie können Unternehmen, Eigentümer:innen und Mieter:innen die Sozialstandards - das S in ESG - für ihre Immobilien, Prozesse und Organisationen stärken? Wie wird das Office wieder attraktiver? Dr. Lena Reiß, Head of Health & Wellbeing beim Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE, erklärt im Interview, wie sie mit einem Health and Wellbeing Scoring die messbaren Potenziale für Unternehmen, Immobilieneigentümer und Mieter aufzeigt.
Finanzen.net: Frau Dr. Reiß, als Expertin für Health and Wellbeing, also für Gesundheit und Wohlbefinden, arbeiten Sie bei Drees & Sommer an der Schnittstelle zwischen Mensch und Immobilie. Worauf genau liegt Ihr Fokus?
Dr. Lena Reiß: Mein Team und ich untersuchen die Auswirkungen der Raumqualität auf das Wohlbefinden der Menschen beziehungsweise der Gebäudenutzer. Unser Ziel ist es, Unternehmen, Menschen und Immobilien wieder zusammenzubringen. Denn wo sich Menschen wohlfühlen, halten sie sich gerne auf. Das ist unter anderem für Arbeitgeber:innen relevant. Bietet das Büro den Mitarbeitenden eine inspirierende Arbeitsumgebung, kommen sie auch gerne dorthin. Unsere Untersuchungen zeigen, dass sich eine entsprechende Umgebung positiv auf die geistige Flexibilität, die Kreativität und Veränderungsbereitschaft auswirkt.
Welche Faktoren bestimmen die Raumqualität?
Unser "Health and Wellbeing Scoring" umfasst 16 Kategorien, die mit insgesamt 70 Parametern das Level einer Immobilie bezogen auf Wohlbefinden und Gesundheit messen. Das Scoring haben wir in langer Entwicklungsarbeit, unter anderem in meiner Promotion, auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt. Zu den Kategorien zählen unter anderem Licht, Luft, Akustik und Funktionalität, aber auch Orientierung, Nachhaltigkeit und Bewegung im Raum. Die objektive Bewertung des Objekts nach den genannten standardisierten Kriterien gleichen wir mit einer subjektiven Evaluation der Nutzer:innen ab. In unseren Untersuchungen zeigt sich häufig ein großer Unterschied zwischen der objektiven Bewertung einer Immobilie und dem subjektiven Nutzerempfinden. Entsprechend geben wir Handlungsempfehlungen, um die bewerteten Komponenten auf ein möglichst hohes Niveau und möglichst nah zusammen zu bringen.
Wie gehen Sie dabei konkret vor?
Thematisch bewegen wir uns in der angewandten Forschung, genauer gesagt in der Architekturpsychologie und Sozialforschung. Mit unserer evidenzbasierten Analysemethode betrachten wir die Wechselwirkungen von Mensch und Immobilie, Unternehmensorganisation und Unternehmensprozessen. Das heißt, wir gehen über die reine Immobilie hinaus und bis in die Organisationsberatung.
Am besten lässt sich unser Ansatz anhand eines Beispiels aufzeigen: Für den Workspaces-Anbieter Design Offices haben wir eine Wirkungsanalyse in den Design Offices am Standort Macherei München durchgeführt. Die These der Untersuchung lautete, dass die Qualität von Räumen sowohl Einstellung als auch Verhalten zu Kreativität, Flexibilität, Offenheit für Neues und Veränderung beeinflusst. Für die Wirkungsanalyse kombinieren wir verschiedene Methoden. So haben wir uns beim sogenannten "Shadowing" selbst in den Räumlichkeiten der Design Offices aufgehalten, und teilweise inkognito das Verhalten der Büronutzer:innen in Bezug zueinander und zu ihrer Umgebung sowie Stresssignale wie ein Schatten beobachtet.
Für eine Netzwerkanalyse war außerdem das Bewegungsverhalten von Interesse, das heißt, Informationen zur Vernetzung der Nutzer, zur Verweildauer an bestimmten Plätzen und zu Wegebeziehungen auf der Fläche. Als weitere Methoden kamen eine empirische Erhebung, qualitative Interviews mit den Nutzern und das Health and Wellbeing Scoring zum Einsatz. Der Health and Wellbeing Score zeigt letztlich auf, in welchen Kategorien die untersuchten Räumlichkeiten besonders gut abschneiden - auch im Benchmark - und wo Optimierungspotenziale bestehen.
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Wirkungsanalyse?
Die Ergebnisse zeigen, dass ein vielfältiges Raumangebot zu einem regelmäßigen Ortswechsel anregt. Dabei kommt es zu Begegnungen und Austausch mit anderen Menschen. Dieser Austausch in einer inspirierenden Umgebung fördert die geistige Flexibilität und wirkt sich positiv auf die Kreativität aus. Damit steigert räumliche Freiheit auch die Innovationskraft. Abstrahiert lässt sich sagen: Menschen, die ihren Aufenthaltsort über einen Arbeitstag häufig wechseln und oft zufällige Gespräche führen, sind kreativer und veränderungsbereiter als jene, die das nicht tun.
Warum sollten sich Unternehmen und Immobilienbesitzer:innen mit dem Thema Health and Wellbeing in dieser Tiefe auseinandersetzen?
Zum einen gewinnt das Thema im Rahmen der EU-Taxonomie und für ESG-Kriterien immer mehr an Relevanz. Durch das Health and Wellbeing Scoring erhalten sowohl Eigentümer:innen als auch Mieter:innen von Immobilien Handlungsempfehlungen, wie das Verhältnis von Mensch und Gebäude nachweislich verbessert werden kann. Damit tragen entsprechende Maßnahmen positiv zum Social Impact einer Immobilie bei - und damit zum S in ESG.
Außerdem sollte der Faktor Health and Wellbeing im Wettbewerb um Talente nicht unterschätzt werden. Die Corona-Pandemie hat einen gewaltigen Wandel in der Arbeitswelt bewirkt. Daran müssen sich Büroflächen anpassen, indem sie zum Beispiel weniger Einzelbüros und mehr Kollaborationsflächen und Begegnungsmöglichkeiten anbieten. Dort, wo sich Mitarbeitende wohlfühlen, bleiben sie auch langfristig. Dieses Potenzial sollten Unternehmen nutzen. Über unser Scoring machen wir weiche Faktoren, wie Gesundheit, Wohlbefinden, Markenbindung und Kultur messbar und setzen sie in Relation zu Wirtschaftlichkeit. Evidenzbasierte, in Zahlen übersetzte Ergebnisse stellen wir dem Kunden digital und interaktiv aufbereitet zur Verfügung, sodass er damit gleichzeitig ein Tool zur zukünftigen Entwicklung und zum Monitoring seiner Immobilie erhält. Um beim Beispiel Büro zu bleiben, kann man hier beispielsweise die Produktivität der Mitarbeitenden erfassen und aufzeigen, welche ökonomischen Auswirkungen eine Steigerung des Wohlbefindens haben kann.

Über Dr. Lena Reiß:
Dr. Lena Reiß ist Head of Health and Wellbeing bei der Drees & Sommer SE. Nach einem Architekturstudium und Erfahrungen im Bereich Aviation promovierte sie an der TU Darmstadt zu den Auswirkungen der Raumqualität auf das Wohlbefinden des Menschen. Darin entwickelte sie eine evidenzbasierte Analysemethodik, das "Health and Wellbeing Scoring". Als Expertin auf dem Gebiet der angewandten Forschung zur Raumqualität berät sie bei Drees & Sommer Bestandshalter zur Optimierung ihrer Immobilien.
Weiterführende Links:
Beratung zu Health and Wellbeing bei Drees & Sommer
Health and Wellbeing Wirkungsanalyse mit Design Offices
Bildquellen: Getty Images, Drees & Sommer