China-Expertin Ho: "Arbeitslosigkeit ist die größte Sorge"
China hat die Wirtschaftskrise längst hinter sich gelassen. Doch die Furcht vor Massenentlassungen und sozialen Unruhen lässt die Regierung nicht ruhen.
von Daniela Meyer, Peking
Spricht man als Europäer den Durchschnittschinesen auf die Folgen der Wirtschaftskrise an, die auch in China zu Massenentlassungen geführt hat, erntet man im besten Fall Verständnislosigkeit – im schlimmsten Fall Mitleid. China sei kaum betroffen, das Ärgste längst überstanden – dank der Regierung und dem flexiblen System. Das gemeine Volk liegt nicht ganz falsch, meint auch Samantha Ho. Sie leitet von Hongkong aus den Investmentfonds Invesco PRC China. Mit €uro am Sonntag sprach sie über die Ängste der Regierung, die Sparsamkeit der Chinesen und warum die Volksrepublik den Westen trotz aller Wirtschaftspotenz noch braucht.
€uro am Sonntag: Am 1. Oktober, dem 60. Jahrestag der Volksrepublik China, hat die Regierung trotz Krise eindrucksvoll ihre militärische und wirtschaftliche Macht demonstriert. Braucht China den Westen noch?
Samantha Ho: Ja, die USA und Europa sind und bleiben sehr wichtig. China ist extrem vom Export abhängig und will seine Produkte auch weiterhin an den Westen verkaufen. Die EU und die USA sind unsere wichtigsten Handelspartner.
Trotzdem besteht offenbar die Befürchtung, China könnte den Westen wirtschaftlich abhängen.
Es gibt immer wieder Spannungen – politische wie wirtschaftliche. Natürlich muss China die Chance nutzen, sich im globalen Markt neu zu positionieren. Es möchte aber nicht mehr als Feind, sondern als Partner gesehen werden. Es ist sicher richtig, dass wir wirtschaftlich bald die Nummer 2 der Welt sein werden. Aber bis wir die USA überholen, wird es noch sehr lange dauern. Der Westen sollte diese Entwicklung nicht als Bedrohung, sondern vielmehr als Chance sehen, auch davon zu profitieren.
Ist der Westen vielleicht schockiert, wie viel besser China die Krise wegsteckt?
Die chinesische Regierung hat den Vorteil, dass sie schnell reagieren kann. Das politische System erlaubt es ihr, ohne langwierige Debatten Entscheidungen zu treffen. Verglichen mit westlichen Märkten, kann sich China schneller erholen.
Im Westen hat die Krise vor allem die Banken getroffen. Den chinesischen Instituten scheint es aber gut zu gehen.
Das chinesische Bankensystem ist viel gesünder als das anderer globaler Märkte. Viele westliche Banken hatten übermäßig viele toxische Papiere in ihren Portfolios. Die chinesischen Banken haben sich aber auf das traditionelle Bankgeschäft konzentriert. Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden neue Kredite in Höhe von rund 850 Milliarden Dollar vergeben.
Ist die Krise für China damit überstanden?
Wir haben auf jeden Fall das Schlimmste hinter uns und den Boden bereits im Frühjahr gefunden. China ist in der glücklichen Lage mit den hohen Außenhandelsüberschüssen die Konjunktur auch weiter ankurbeln zu können. Die Regierung wird das tun, wenn das bisherige Programm von über 450 Milliarden Euro nicht ausreichen sollte.
Wie sind Ihre Wachstumserwartungen für 2009?
Wir erwarten eine Steigerung der Wirtschaftsleistung (BIP) um 8,2 Prozent. Das haben wir schon Ende vergangenen Jahres gesagt, als andere noch von einem viel geringeren Wachstum gesprochen haben.
Es heißt, ein BIP-Wachstum von mindestens acht Prozent sei existenziell. Woher kommt diese Zahl?
China fürchtet soziale Unruhen, die durch Massenentlassungen schnell entstehen könnten. Die acht Prozent sind wichtig, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Es wurde ausgerechnet, dass mit allen Schulabgängern und allen Leuten, die jedes Jahr vom Land in die Stadt ziehen, acht Prozent Wirtschaftswachstum nötig sind, um genügend neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Könnte Arbeitslosigkeit denn tatsächlich kurzfristig ein Problem werden?
Das ist derzeit die größte Sorge der Regierung. China ist zu sehr vom Export abhängig. Wenn dieser Markt weiter einbricht, US-Amerikaner und Europäer weiterhin wenig konsumieren, könnte das noch ein großes Problem für China werden.
Was tut die Regierung dagegen?
Die Regierung versucht, Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Nur wer ein Einkommen hat, gibt sein Geld auch aus. Firmen werden animiert, sich auf den heimischen Markt zu konzentrieren. Der Regierung geht es dabei nicht unbedingt darum, den Firmen zu mehr Profit zu verhelfen. Vorrangig ist, dass sie niemanden entlassen. Zudem wird viel in Infrastrukturprojekte investiert.
Dann hat die Krise auch positive Seiten. Die längst benötigte Infrastruktur entsteht?
Egal wo man hinschaut – ob nach Peking oder in die Provinz, überall werden Straßen gebaut. Das ist eine gute Maßnahme. Aber es gibt jetzt schon 1,3 Milliarden Chinesen und egal wie viele Straßen man baut – es werden nie genug sein, wenn jeder ein Auto hat. Es wäre sinnvoller mehr in den Ausbau des Bahnnetzes zu investieren. In New York fahren selbst Manager mit der Bahn zur Arbeit. In China ist sie eher ein Transportmittel der Arbeiterklasse. Aber was nützt ein sechsspuriger Highway, wenn er ständig verstopft ist. Das sieht man ja in Los Angeles – die Luftverschmutzung ist hoch, und man steht nur im Stau.
Also versucht China, nicht die gleichen Fehler zu begehen wie der Westen?
China wollte schon immer von anderen Ländern lernen. China ist immer noch ein Entwicklungsland. Die Regierung versucht, sich mit allen gut zu stellen, weil sie weiß, dass das Land die Kooperation mit anderen braucht. Sie versucht, sich in Industriezweigen zu engagieren, in denen sie schwach ist. Sie investiert etwa in Afrika oder Australien, da sie deren Rohstoffe langfristig braucht. China will aufholen und denkt dabei weit in die Zukunft.
Gibt es auch Subventionsprogramme, um die Wirtschaft anzukurbeln – so wie die Abwrackprämie in Deutschland?
Vor zwei Jahren hat die Regierung bereits in ländlichen Regionen, in denen immer noch die meisten Chinesen leben, mit einem Subventionsprogramm begonnen. Die Leute bekommen Unterstützung, wenn sie Haushaltsgeräte kaufen. Das Programm wurde jetzt ausgeweitet. Man bekommt nun auch Geld, wenn man zum Beispiel einen Fernseher kauft. Auch die Autoindustrie hatte eine Krisenkampagne. Jeder, der ein Auto gekauft hat, das nur 1,5 Liter verbraucht, wurde subventioniert.
Und das bringt was?
Natürlich wird die eher arme Landbevölkerung nicht die teuersten Dinge anschaffen, aber sie kaufen ein und das hilft dem lokalen Markt und den heimischen Firmen. Zudem gibt es ein neues Programm, bei dem man Subventionen bekommt, wenn man seinen alten Fernseher gegen einen neuen eintauscht. Das hilft dem lokalen Markt und den heimischen Firmen.
Trotzdem bleiben die Chinesen zurückhaltend. Die Sparquote liegt bei über 50 Prozent.
Es ist chinesische Kultur zu sparen. Chinesen machen das, weil es ihnen ein Sicherheitsgefühl gibt. Die Leute machen sich Sorgen um ihre Rente und die Ausbildung ihrer Kinder. Es gibt noch kein funktionierendes soziales Netzwerk. Sie müssen sparen. Die Regierung hat das erkannt und baut ein Sozialsystem auf. Aber es wird noch viele Jahre dauern, bis diese Reform greift.
Legen die Chinesen ihr gespartes Geld immer noch unters Kopfkissen oder haben sie andere Anlageformen entdeckt?
Chinesen kaufen eine Wohnung, ein Auto. Vielleicht legen einige noch etwas am Aktienmarkt an. Aber der Rest geht aufs Bankkonto. Es gibt hier bisher kaum andere Instrumente, um Geld anzulegen. Oder sie sind den meisten nicht bekannt.
Ist das Vertrauen der Chinesen in den Aktienmarkt nach dem Börsencrash nun vollständig zerstört?
Ich glaube, die Anleger, egal ob Chinesen, Europäer oder Amerikaner, werden den Aktienmarkt nie aufgeben. Ich hoffe aber, dass sie dazugelernt haben und in Zukunft weiser investieren. Die hiesige Industrie ist noch sehr jung. Es braucht Zeit, bis sich der chinesische Aktienmarkt entwickelt und die Chinesen gelernt haben, wie er funktioniert. Ich glaube daher aber, dass Firmen hier noch die Chance haben ganz klein anzufangen, an der Börse zu wachsen und viel Geld zu verdienen.
Invesco PRC China: Portfolio für den Wachstumsmarkt
Der von Samantha Ho gemanagte Invesco PRC China (ISIN: IE 000 358 356 8) gehört seit Jahren zu den besten China-Portfolios. 180 Prozent Gewinn in drei Jahren und die €uro-FondsNote 2 sprechen für sich. Ho sucht Titel, die Wachstum zu vernünftigen Preisen bieten – auch GARP-Ansatz genannt (Growth at reasonable price). Derzeit favorisiert die Fondsmanagerin Finanz- und Energietitel. Schwergewicht im Portfolio ist der Mobilfunkanbieter China Mobile.
Vita Samantha Ho
Fondsmanagerin Samantha Ho beobachtet den chinesischen Markt seit 20 Jahren. 1989 begann die Hongkong-Chinesin ihre Karriere als Analystin, obwohl sie ursprünglich Zahnärztin werden wollte. Ausgeredet hat ihr diese Idee wohl ihr Vater, der in der Bekleidungsindustrie tätig war und seine Tochter gern als Bankerin sehen wollte. Nachdem sie 2000 als Gründungsmitglied Munulife Asset Management aufgebaut hat, leitet sie seit 2004 den Investmentfonds Invesco in Hongkong.