Kopf der Woche

Robert Wescott: „Es gibt viele Ansätze für Optimismus“

17.01.10 12:00 Uhr

Der Ökonom Robert Wescott erwartet starkes Wachstum in den USA. Knackpunkt sei eine überraschend positive Entwicklung am Arbeitsmarkt.

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von Martin Blümel, Euro am Sonntag

Dienstagabend in einem Münchner Lokal: Robert Wescott ist guter Dinge, genießt ein Weißbier und knabbert an einer Brezel. Bis 2001 war er Berater des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton, jetzt ist er Chef seines eigenen Research-Unternehmens und diskutiert mit internationalen An­lagegesellschaften seine Einschätzung der Kapitalmärkte. Diese Woche macht er das für die Fondsgesellschaft Pioneer. Noch hat Wescott aber Zeit für ein zweites Weißbier.

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€uro am Sonntag: Sie blicken zuversichtlich in die Zukunft?
Robert Wescott: Ja, im Gegensatz zu den meisten US-Ökonomen bin ich Optimist, was das Wachstum angeht. Das war nicht immer so. 2006 und 2007 habe ich den Leuten noch erzählt, dass die Subprime-Darlehen ein Riesenproblem sind. Das war nicht populär damals, aber es hat sich als richtig herausgestellt. Inzwischen bin ich wieder zuversichtlich. Auch weil der Pessimismus derart weit verbreitet ist, wie ich es noch nie erlebt habe. Bei der Jahresversammlung der American Economic Association Anfang Januar in Atlanta hat ein Journalist 14 hochkarätige Wirtschaftswissenschaftler interviewt. Das Ergebnis: Nur einer der Kollegen erwartet ein jährliches Wirtschaftswachstum größer zwei Prozent in den kommenden zehn Jahren. Das ist doch aberwitzig.

Welche Wissenschaftler waren das denn?
Interessanterweise waren das Ökonomen unterschiedlichster Couleur. Pessimisten gibt es sowohl bei den liberalen als auch bei den konservativen Kollegen. Paul Krugman etwa befürchtet, dass die USA in die Rezession zurückfallen. Joseph Stiglitz, ein guter Freund von mir, fürchtet den Tag, an dem die Konjunkturpakete wegfallen. Bei den Konservativen wiederum gibt es Leute wie Martin Feldstein, der beklagt, dass Präsident Barack Obama das Land in eine Schuldenfalle treibt, die Steuern erhöhen wird, und so die Leute vom Investieren abhält. Das ist eine Riesenwelle an Pessimismus.


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Es gibt ja auch viele Gründe dafür.
Wer die Daten genau analysiert, findet aber auch viele Ansätze für Optimismus. Der Schlüsselfaktor für die Wirtschaftsentwicklung sind die Arbeitsplätze. In den bisherigen Rezessionen gingen in den USA nie mehr als zwei Prozent der Jobs verloren. Dieses Mal sind es mehr als fünf Prozent. Was ist da passiert? Nach der Lehman-Pleite waren die Unternehmen in Panik. Es wurde gefeuert auf Teufel komm raus. Aber die Hälfte dieser Entlassungen war in meinen Augen unnötig. Das sieht man langsam. Bis vor etwa drei Monaten fielen die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe scheinbar ins Bodenlose. Man musste sich Sorgen um eine „Jobless Recovery“ wie 1993 und 2003 machen. Danach sieht es jetzt aber nicht mehr aus, die Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe fallen deutlich, das Muster ähnelt der Erholung, wie wir sie unter Ronald Reagan 1983 hatten, als es einen fulminanten Aufschwung am Arbeitsmarkt gab.

Gibt es weitere Indizien für eine Erholung am Arbeitsmarkt?
Ein guter vorlaufender ­Indikator sind die Teilzeitbeschäftigten. Hier ging es zweieinhalb Jahre nur nach unten, seit August nehmen die Teilzeitjobs aber Monat für Monat, Schritt für Schritt wieder zu, zuletzt so stark wie nie zuvor. Oder nehmen wir die Überstunden: In den Fabriken wurden sie in den vergangenen drei Monaten um durchschnittlich eine halbe Stunde erhöht. Das sind gute Zeichen. In den kommenden vier Monaten könnten uns positive Überraschungen am ­Arbeitsmarkt bevorstehen.

Dann könnte es auch eine Überraschung bei der Leitzinsentwicklung geben?
Die meisten Leute denken, die Fed wird die Zinsen lange bei null halten und nur eventuell am Ende des Jahres eine Erhöhung probieren. Wenn ich mit dem Arbeitsmarkt richtigliege, wird es anders kommen, und Bernanke wird schon in der ersten Jahreshälfte reagieren müssen. Bei zwei, drei Monaten mit einer halben oder einer dreiviertel Million neuer Jobs können die Leitzinsen nicht bei null bleiben. Aber es hängt natürlich auch von den anderen Daten ab – Einzelhandelsumsätze, Industrieproduktion.

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Wie schätzen Sie dann das Wachstum ein?
Die Konsensschätzungen liegen bei zwei bis zweieinhalb Prozent Wachstum in diesem Jahr. Das erscheint mir zu wenig. Wir haben uns mal alle bisherigen Rezessionen angeschaut und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es im ersten Jahr nach dem Tiefpunkt der Rezession in normalen Aufschwungmustern um acht, neun Prozent nach oben geht. So weit muss es dieses Mal nicht kommen, es gibt ja auch ordentlich Gegenwind durch die Verschuldungssituation oder die nicht aus­gestandene Immobilienkrise. Aber zwischen drei und fünf Prozent Plus kann ich mir vorstellen, und das käme für viele überraschend. Was ist mit der Inflationsgefahr?
Um Inflation mache ich mir derzeit keine Sorgen. Es war bisher immer so, dass die Inflationsraten in den ersten Jahren einer Expansion zurückgingen. Ich rede nicht von Deflation, aber die Preise werden niedriger sein als vor dem Rezes­sionsende. Ein wichtiger Faktor sind da die kollabierten Mieterträge. Die sind im Jahresvergleich um vier Prozent gefallen, so viel wie noch nie zuvor. Die Mieterträge haben einen großen Anteil bei der Kerninflationsrate – darum glaube ich nicht an eine große Inflationsstory. Langfristig jedoch sollte man sich Sorgen machen, wenn denn das hohe Staatsdefizit nicht abgebaut wird.

Das ist das richtige Stichwort. Die hohe Verschuldung der USA muss doch irgendwann abgebaut werden. Bremst das nicht den Aufschwung?
Kurzfristig ist es kein Prob­lem. Aber es ist ein großes Prob­lem, wenn Sie mich fragen, ob das amerikanische Haushaltsdefizit auf Zehnjahressicht haltbar ist. Aber ich vertraue da auch auf die Selbstheilungskräfte. 2009 hatten wir ein ­Defizit von 1,6 Billionen Dollar. Ein Drittel dieser Summe resultiert aus der so stark gestiegenen Arbeitslosigkeit. Wenn die Konjunktur nun wieder wächst, neue Jobs geschaffen werden, können wir ein Drittel De­fizit schon mal streichen. Es ist ein langsamer Prozess, wir werden geduldig sein müssen. Und es ist natürlich ein politisches Thema. Obama muss etwas Handfestes tun, sonst wird er nicht wiedergewählt. Und er probiert es ja gerade mit der Besteuerung von Banken.

Was ist mit dem Störfaktor Immobilienmarkt?
Der Immobilienmarkt ist wichtig und ist es nicht. Historisch gesehen, liegt der Anteil an der Gesamtwirtschaft bei nur vier Prozent. Durch die Blase waren wir eine Zeit lang bei sechs Prozent. Der Bereich ist also nicht so dominant, wie die Leute glauben. Eine Rezession im ­Immobilienbereich kann normalerweise keine allgemeine Rezession auslösen. Dass es trotzdem passiert ist, lag daran, dass die Kreditnehmer ihre Häuser als Geldausgabeautomat benutzt haben. Sie wurden beliehen, um an Geld zu kommen. Mit all den bekannten Folgen. Ich denke aber, dass wir im Prozess des Delevera­ging schon zu drei Vierteln durch sind.

Noch ein Störfaktor: Der Konsum ist schwach.
Ja, die Konsumkredite gehen immer noch zurück. Wir können aber nicht sagen, ob das überwiegend an schwacher Nachfrage liegt oder am gekappten Angebot. Man muss aber kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Nachfrage zurückkommen wird, sobald die Rezession vorbei ist. Man vergisst ja gern, dass es Zyklen gibt, in denen Güter ersetzt werden – Autos, Möbel, Teppiche, Elektrogeräte. Beispiel Autos: Hier gibt es normalerweise eine ständige Nachfrage nach 16, 17 Millionen neuen Fahrzeugen pro Jahr. 2009 sind wir auf neun Millionen ein­gebrochen. Die Nachfragedifferenz wird über kurz oder lang an den Markt kommen. Das gilt auch für andere Produkte, deren Käufe aufgeschoben wurden. Psychologisch ist das gut zu erklären: Kollegen werden arbeitslos, da wird man vorsichtig, hält sich zurück, repariert lieber, als Neues zu kaufen. Wenn das Vertrauen in die Stabilität des eigenen Arbeitsplatzes zurückkehrt, traut man sich wieder, Dinge zu kaufen. An diesem Punkt sind wir jetzt.

Wo soll das Geld denn herkommen?
Guter Einwand. Weil der US-Konsument noch andere Probleme zu lösen hat, wird das Wachstum eben nicht bei acht Prozent liegen. Aber auch nicht bei null. Wir ­haben ja auch gewisse Vermögens­effekte durch wieder gestiegene Aktienkurse und weil die Immopreise zumindest nicht mehr frei fallen. Was uns wieder zur Psychologie bringt. Dieselben Reflexe bei wiederkehrendem Vertrauen und bei einem Aufschwung am Arbeitsmarkt.

Ist Chinas Aufschwung hilfreich für das Comeback der USA?
Schwieriges Thema. Die Ungleichgewichte sind zumindest weniger geworden – der Überschuss in China ist zurückgegangen, und das Defizit der USA hat sich verringert. Teilweise war diese Verbesserung aber nur durch die Rezession möglich, weil die Amerikaner weniger Waren aus Asien gekauft haben. Um das Problem nachhaltig zu lösen, müsste der Yuan deutlich aufwerten, 30, 40 Prozent. Aber solange China sagt, die Schlote müssen für mehr und mehr Export weiterrauchen, ist das ein frommer Wunsch.

Vita Robert Wescott
Der Ökonom ist Chef der Unternehmensberatung Keybridge Research. Er hat mehr als 30 Jahre Erfahrung in Sachen Makroökonomie und Finanzmärkte. Während der New Economy war er Berater des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton.

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