ROUNDUP: Finale im Rentenstreit - Hoffen auf Mehrheit
BERLIN (dpa-AFX) - Vor der entscheidenden Renten-Abstimmung im Bundestag haben führende Unionspolitiker mögliche Abweichler in den eigenen Reihen zur Zustimmung aufgerufen. "Die Koalition braucht eine eigene Mehrheit. Das Land steht vor vielen Herausforderungen", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann der "Rheinischen Post".
Vizekanzler Lars Klingbeil warnte davor, sich auf die angekündigte Enthaltung der Linksfraktion zu verlassen. "Es geht jetzt darum, bis Freitag auch eine eigene Mehrheit zu organisieren", sagte der SPD-Vorsitzende in der ARD-Sendung "Maischberger".
Die Junge Gruppe in der Unionsfraktion hatte wegen zukünftiger Milliardenkosten für geplante Stabilisierungsschritte bei der Rente mit einem Nein gedroht. Ein Scheitern des umstrittenen Rentengesetzes könnte aber einen Zerfall der gesamten Koalition einläuten, so die Sorge.
Der Parlamentarische Geschäftsführer Steffen Bilger mahnte seine Fraktion: "Die Unionsfraktion richtet sich nie nach dem Verhalten von Linkspartei oder AfD." Ziel sei "selbstverständlich" eine eigene Mehrheit mit der SPD, sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post".
Kurz nach 13 Uhr soll Klarheit herrschen
Insgesamt will die Koalition am Freitagmittag über ein größeres Rentenpaket abstimmen lassen. Kurz nach 13 Uhr dürfte es so weit sein und das Ergebnis der geplanten namentlichen Abstimmung über das umstrittene Gesetz von der Sitzungsleitung verlesen werden. Die Linksfraktion hatte ihre Enthaltung angekündigt. Für die Koalition würde das bedeuten, dass es auch bei mehreren Abweichlern in den eigenen Reihen für eine Mehrheit reichen würde.
Umstritten ist das geplante Gesetz zur Stabilisierung des Rentenniveaus und zur Ausweitung der Mütterrente. Die geplante Stabilisierung bedeutet, dass die Renten mit den Löhnen in Deutschland Schritt halten. Unstrittig ist eine Fixierung bei 48 Prozent bis 2031, die mit Kosten von elf Milliarden Euro allein im Jahr 2031 zu Buche schlägt. Die jungen Unionsabgeordneten lehnen aber ab, dass das Rentenniveau auch ab 2032 höher sein soll als ohne gesetzlichen Eingriff. Der Grund sind die dafür weiter anfallenden erwarteten Milliardenkosten.
Bei der Mütterrente geht es darum, die Zeit der Kindererziehung, die für die Rente anrechnungsfähig ist, auszuweiten. Künftig soll sie für vor 1992 geborene Kinder um weitere sechs Monate verlängert werden. Anerkannt werden sollen somit drei Jahre für alle Kinder - unabhängig vom Jahr der Geburt des Kindes. Kosten: ab 2027 erst fünf Milliarden, später vier Milliarden Euro jährlich. Vor allem die CSU hatte die Vollendung der Mütterrente betrieben.
Im Anschluss soll über zwei weitere Rentengesetze abgestimmt werden, die in den Koalitionsfraktionen unstrittig sind. Darin geht es um eine Stärkung der Betriebsrenten und die Einführung einer sogenannten Aktivrente. Die Aktivrente soll dabei Weiterarbeiten über das reguläre Rentenalter hinaus attraktiver machen: Wer nach Erreichen des Rentenalters weiterarbeitet, soll ab kommendem Jahr bis zu 2.000 Euro im Monat steuerfrei verdienen können. Bei den Betriebsrenten ist unter anderem eine Stärkung ihrer Verankerung auch in kleineren Unternehmen geplant.
"Das muss ein Signal sein"
Hoffmann sagte zur Debatte um die weitere Stabilität der Koalition: "Da muss das Signal sein, dass diese Koalition über eine eigene, entscheidungsfähige Koalitionsmehrheit verfügt. Und die werden wir am Freitag auch haben." Mit Blick auf mögliche Abweichler sagte der CSU-Politiker: "Wir führen nach wie vor noch Gespräche." CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte der "Welt": "Die CDU darf sich nicht von der Linken abhängig machen. Die eigene Mehrheit der Koalition muss stehen."
Mit dem CDU-Abgeordneten Carl-Philipp Sassenrath rief auch ein Mitglied der Jungen Gruppe zu Geschlossenheit auf. "Koalition und Kanzler brauchen eine eigene Mehrheit", sagte Sassenrath den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Er hatte angekündigt, trotz inhaltlich anderer Meinung zuzustimmen.
Klingbeil sagte, er sei "wirklich dankbar", wie verantwortungsvoll die Linke sich verhalte. "Aber mein Anspruch ist schon, dass wir eine eigene Mehrheit haben." Diese Koalition habe viel zu entscheiden. "Wir können nicht immer davon ausgehen, dass die Linken oder dass die Grünen uns da zur Seite springen."
Die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte die Koalition auf X für "gescheitert". "Merz wäre dann Kanzler einer SPD-Minderheitsregierung
- von Gnaden der mehrfach umbenannten SED", so Weidel mit Blick auf
die Linken. Der Grünen-Sozialexperte Armin Grau sagte: "Friedrich Merz ist ein Kanzler ohne sichere eigene Mehrheit."
Wie sich die Linken-Enthaltung auswirkt
Durch Enthaltung der Linksfraktion braucht die Koalition weniger Stimmen. Bei der Berechnung einer einfachen Mehrheit im Bundestag werden die Enthaltungen nicht mitgezählt. Es werden also nur die Ja-Stimmen gegen die Nein-Stimmen aufgerechnet. Sollten sich alle 64 Linke-Abgeordneten enthalten, würde die erforderliche Mehrheit bei Anwesenheit aller anderen Abgeordneten auf 284 Stimmen schrumpfen. Die Koalition hat 328 Stimmen und hätte damit einen komfortablen Puffer von 44 Stimmen.
Die SPD-Fraktionsführung erwartet die geschlossene Zustimmung der 120 sozialdemokratischen Abgeordneten. In der Fraktionssitzung der Union hatte es bei einer Testabstimmung am Dienstag 10 bis 20 Gegenstimmen und etwa eine Handvoll Enthaltungen gegeben. Die wären aber bei einer Enthaltung der Linken zu verkraften.
SPD: Wollen an Reformen mitarbeiten
Die SPD im Bundestag zeigte sich optimistisch. "Ich erwarte für Freitag, dass wir eine Mehrheit haben", sagte ihre Sozialexpertin Annika Klose der dpa.
Klose versicherte, dass die SPD reformorientiert an weiteren geplanten Rentenreformen herangehe. Am Reformwillen der SPD hatte die Junge Gruppe gezweifelt. Die Bundesregierung will noch im Dezember eine Politiker- und Experten-Kommission einsetzen, die bis kommenden Sommer Vorschläge für eine grundsätzliche Rentenreform machen soll./bw/tam/mfi/DP/men