Vermögensverwalter-Kolumne

Der Wettlauf um den Südpol

29.12.25 12:02 Uhr

Der Wettlauf um den Südpol | finanzen.net

Die Künstliche Intelligenz (KI) und Donald Trump - diese beiden Kernthemen bewegen die Anleger derzeit am stärksten! Wie dynamisch entwickelt sich die KI in der Realwirtschaft gemessen an den enorm hohen Erwartungen in diesen Tagen an der Börse? Wie geht es weiter mit den Verschiebungen der geopolitischen Kontinentalplatten, die seit der zweiten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump deutlich an Fahrt aufgenommen haben?

Beides sind so zentrale Fragen für die Kapitalmärkte, die heute niemand seriös beantworten kann. Im Silicon Valley hat ein Rennen um die Vormachtstellung in der KI begonnen. Insbesondere die großen Tech-Giganten, aber auch viele Start-Ups investieren unvorstellbar hohe Summen in die Entwicklung neuer Systeme. Sollten die hohen Erwartungen der Investoren jedoch enttäuscht werden, besteht an den Börsen aufgrund der hohen Bewertung dieser Titel ein erhebliches Rückschlagpotenzial.

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Etwa 30 Prozent der Börsenkapitalisierung des S&P 500-Index hängt von den Tech-Riesen ab. Dass die KI unsere Arbeitswelt künftig dramatisch verändern wird, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Die entscheidende Frage an der Börse wird sein, ob mit Hilfe von KI menschliche Arbeitsplätze in erheblichen Größenordnungen ersetzt werden können oder ob sie lediglich bestehende Prozesse verbessert und erleichtert.

Werden sich die gewaltigen Investitionen in die KI wirtschaftlich auszahlen? Da der Ausgang dieser Entwicklung nach Meinung von Experten offen ist, ist beides gleichermaßen ein Risiko - investiert zu sein und nicht investiert zu sein! Ob es die erwarteten Produktivitätsgewinne mit Hilfe der KI geben wird, entscheidet maßgeblich über das künftige Wirtschaftspotenzial der USA. Wer wird zu den Gewinnern gehören und wer wird bei den Verlierern sein? Werden Konsumenten und die Unternehmen für die KI letztlich bezahlen?

Das andere marktbeherrschende Thema an den Märkten ist die Veränderung in der Geopolitik. Die neue nationale Sicherheitsstrategie der USA vom 4. Dezember 2025 ist ein Schock! Europa hat die USA als Schutzmacht quasi verloren. Nach dem 2. Weltkrieg waren die USA unser wichtigster Verbündeter. Sie sorgten mit dem Marshall-Plan maßgeblich für das Wirtschaftswunder in Deutschland und ermöglichten die Wiedervereinigung. Doch nun zeichnen die USA ein Bild einer heruntergekommenen EU, die durch Massenimmigration, Unterdrückung der Opposition, niedrige Geburtenraten und einer Zensur geprägt ist.

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Die wichtigste Erkenntnis dürfte sein, dass wir uns in Europa auf die USA als Bündnispartner nicht mehr werden verlassen können. Stattdessen wird China nicht mehr als systemischer Rivale angesehen, sondern nur noch als wirtschaftlicher Wettbewerber und Russland wird als Großmacht wieder akzeptiert. Auch der Krieg in der Ukraine nimmt eine entscheidende Wende. Die USA lassen die Europäer für den Krieg bezahlen und sichern sich etwa die Hälfte der Bodenschätze im stark gebeutelten Land. Das alles sind Entwicklungen, deren Ende nicht absehbar ist und die politische Wirklichkeit nachhaltig verändern wird. Wie können Anleger in diesem Umfeld 2026 erneut erfolgreich ans Ziel kommen?

Die historische Begebenheit vom Wettlauf um den Südpol mag als Beispiel dafür dienen. Der Brite Robert Falcon Scott und der Norweger Roald Amundsen lieferten sich im Dezember 1911 ein Wettrennen in der Antarktis. Amundsen wollte eigentlich zum Nordpol fahren, doch er erfuhr, dass zwei andere Abenteurer vor ihm schon den Pol erreicht hatten. Im Juni 1910 schwenkte er um und brach zum Südpol auf. Etwa zur selben Zeit wollte Robert Falcon Scott für Großbritannien den Südpol als Erster erreichen. Es wurde ein dramatischer Wettlauf zum Südpol.

Wie gingen die beiden Widersacher vor?

Der Norweger hatte seine Expedition ganz akribisch vorbereitet. In engen Abständen legte Amundsen zahlreiche Ausrüstungs- und Nahrungsmitteldepots an. Er verließ sich auf altbewährte Methoden und setzte Schlitten und Schlittenhunde ein, mit denen er sich hervorragend auskannte. Scott hingegen lehnte die Hunde als "unbritisch" ab und setzte auf Ponys und Motorschlitten. Im Oktober 1911 brach Amundsen mit vier Mitstreitern auf. Während der Reise errichteten sie Schneehügel. Dort legten sie jeweils ein Papier mit den genauen Daten zum nächsten Hügel hinein, um den Weg wieder zurück zu finden. Die Kälte und das Wetter setzten den beiden Expeditionen stark zu. Die Vorräte gingen ihnen zum Ende hin langsam aus. Dann besserte sich das Wetter wieder. Am 8. Dezember war für den Norweger der Weg zum Pol frei. Er erreichte schließlich am 14. Dezember 1911 als erster Mensch nach 99 Tagen und 2.600 Kilometern den Südpol.

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Bei Scott hingegen traten zusätzliche Probleme auf. Seine Motorschlitten versagten in der Kälte. Außerdem waren die Briten bei Temperaturen von minus 23 Grad falsch ausgerüstet und hatten zu wenig Lebensmittel und Brennholz dabei. Außerdem hatte Scott einen Mann mehr dabei, der vorher bei der Bemessung der Vorräte nicht berücksichtigt wurde. Doch auch er kam an und erreichte am 17. Januar 1912 sein Ziel. Seine Enttäuschung war riesengroß, denn er findet dort ein Zelt, vor dem die norwegische Flagge weht. Tragisch ist, dass auf dem Rückweg alle Teilnehmer der Scott-Expedition unterwegs gestorben sind. Vermutlich starb Scott selbst am 29. März 1912 nur 18 Kilometer vom Depot seines Basislagers entfernt. Im November fand ein Suchtrupp die erfrorenen Leichen in Zelten. Amundsen hatte dagegen schon am 26. Januar 1912 sein Basislager wieder erreicht. Seine akribische Vorbereitung hatte sich gelohnt und war entscheidend für den Erfolg seiner Expedition.

Was können wir daraus lernen?

Beide Forscher hatte ihr Ziel klar vor Augen. Sie wollten jeder als erster den Südpol erreichen. Doch bei der Kapitalanlage geht es nicht um Schnelligkeit, sondern um Ausdauer und Langfristigkeit. Wenn das aufgebaute Vermögen für die eigene Altersvorsorge oder bei institutionellen Mandaten um die Erreichung eines Stiftungszwecks oder einer Versorgungsaufgabe dient, muss man als Vermögensverwalter nicht in jedem Jahr als Erster über die Ziellinie kommen. Vielmehr sollte man sich im oberen Quartil festsetzen, um am Ende dauerhaft erfolgreich zu sein.

Bei Amundsen hat sich die akribische Vorbereitung und die Planung der Vorräte und der Depots ausgezahlt. Er hat auf Bewährtes gesetzt - die Schlittenhunde und seine Erfahrung im Umgang mit den schwierigen Umweltbedingungen wie dem Wetter. Die Motorschlitten und die Ponys von Scott haben versagt und waren für die Kälte nicht geeignet. Erfahrene Investoren setzen in der Vermögensverwaltung ebenfalls auf Bewährtes und verzichten auf die Bausteine, die sich bereits in der Vergangenheit als nicht zuverlässig erwiesen haben. Dazu zählen zahlreiche Beteiligungen, undurchsichtige Private Equity-Anlagen und die Hegdefonds-Strategien, die in Krisen meist eingebrochen waren. Quali-tätsaktien, erstklassige Anleihen, ausreichend Liquidität sowie Gold und Goldminen-Aktien haben sich hingegen seit langem bewährt.

Derzeit stehen wir an den Kapitalmärkten erneut vor enormen Herausforderungen wie der künftigen Entwicklung der KI, den geopolitischen Verschiebungen, der enormen Staatsverschuldung, den Auswirkungen der Trumpschen Zölle und einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung in Europa. Kurz gesagt: Das Börsenwetter wird im kommenden Jahr ungemütlicher werden als in 2025. In diesem Umfeld braucht es weder Selbstüberschätzung noch irgendwelche Prognosen, sondern vielmehr Erfahrung im Umgang mit den Krisen. Kluge Investoren haben einen klaren Fokus auf ihr Ziel, setzen auf eine akribische Vorbereitung und die konsequente Umsetzung ihrer Pläne. Das Festhalten an den eigenen Prinzipien und die Ausdauer helfen auf diesem Weg. Die Ruhe und der Blick auf das Wesentliche sorgen dafür, dass wir am Ende unserer Expedition an unserem Südpol gemeinsam erfolgreich ankommen.

von Wolfgang Juds, Geschäftsführer der CREDO Vermögensmanagment GmbH in Nürnberg

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