Ratingagenturen

S&P und Co.: Warum die Ratingagenturen so mächtig sind

20.06.11 11:00 Uhr

Die US-Ratingagenturen S&P, Moody’s und Fitch setzen ganze Volkswirtschaften unter Druck. Schuld an deren Macht sind auch die Politiker.

Von Sabine Gusbeth, Euro

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Ende Mai platzte dem portugiesischen Wirtschaftswissenschaftler José Reis der Kragen. Jetzt verklagt er die US-Ratingagenturen Standard & Poor’s (S & P), Moody’s und Fitch. Sie hätten mit ihrem vernichtenden Urteil über die Zahlungsfähigkeit Portugals den Druck auf sein Land „künstlich aufgebauscht“, sagte er in einem Fernseh­interview. Eine schlechte Bewertung durch eine oder mehrere der drei marktbeherrschenden Ratingagenturen macht es für hoch verschuldete Staaten wie Portugal noch schwieriger und teurer, neue Kredite aufzunehmen, als es ohnehin schon für sie ist.

Ökonom Reis steht mit seinem Vorwurf nicht allein da. Politiker, Banker, Wutbürger – sie alle laufen Sturm gegen die Allmacht der Finanz-Schulmeister. So stellte der Internationale Währungsfonds (IWF) jüngst in einer Studie fest, dass die wiederholten Herabstufun- gen die Eurokrise verschärft und die ­Sta­bilität der Finanzmärkte gefährdet ­haben. Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou klagte, die Agenturen wollten „über unser Schicksal und über die Zukunft unserer Kinder bestimmen“.

Denn Kredite, also Staatsanleihen aus Griechenland, werden inzwischen als „Ramsch“ (engl. „Junkbonds“) eingestuft. Das heißt: Das Ri­siko eines Zahlungsausfalls ist hoch. Je ­höher dieses Risiko, desto höher die Zinsen. Doch die Länder brauchen frisches Geld, um alte Schulden zu bezahlen. Dabei stehen sie vor einem kaum zu lösenden Dilemma: Um ihre immensen Schuldenberge abzubauen, fahren die Regierungen in Griechenland und Portugal einen strikten Sparkurs. Dadurch allerdings würgen sie ihre ohnehin schwache Wirtschaft weiter ab. Es drohen weitere Herabstufungen (engl. „Downgrade“).

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Kritik an Behörden. Doch woher kommt die Macht von S & P, Moody’s und Fitch, ganze Volkswirtschaften unter Druck setzen zu können? Sie und ihre Bewertungen werden von den Investoren viel zu ernst genommen. Genauer gesagt haben viele Investoren keine andere Wahl: Sie müssen die Ratings ernst nehmen. Schuld daran sind die Gesetzgeber. Denn die Noten des Trios werden „von staatlichen Finanz­behörden zur Geschäftsgrundlage gemacht“, kritisiert Thomas Straubhaar, Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). Die Behörden nämlich verbieten institutionellen Großinvestoren wie Versicherungen oder Pensionsfonds, Ramschanleihen mit einem Rating schlechter als „BBB-“ zu halten. Auf diese Weise will der Staat das Geld der Kunden und Sparer schützen. Das ist verständlich, hat aber zur Folge, dass Investoren Anleihen, die auf Ramsch-Status heruntergestuft werden, schnellstmöglich verkaufen müssen.

Die Abwärtsspirale in Griechenland ist also nicht das Werk böser Spekulanten. Vielmehr blieb vielen institutionellen Anlegern aufgrund gesetzlicher Vorschriften keine andere Wahl, als die Junkbonds massenweise auf den Markt zu werfen. Es könnte noch schlimmer kommen: Einigen sich die Griechenland-Gläubiger auf eine Umschuldung, wie von Finanzminister Wolfgang Schäuble Anfang Juni gefordert, werten die Ratingagenturen dies wohl als Zahlungsausfall (Note D). Das hätte zur Folge, dass Griechenland-Anleihen aus den meisten Indizes ausgeschlossen werden. Ein Großteil der Fonds, die die Papiere derzeit noch halten, müssten sie verkaufen. Für die Griechen würde es dadurch fast unmöglich neue Geldgeber zu finden.

Selbst die Europäische Zentralbank (EZB) musste ihre Statuten im April 2010 lockern, damit sie weiterhin Anleihen der Griechen als Sicherheit akzeptieren und frisches Geld herausgeben durfte. Sonst hätte dem Land schon damals die Pleite gedroht.

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Doch anders als die EZB können Banken, Versicherungen und Fonds nicht so einfach die Vorschriften ändern. Diese werden von den Aufsichtsbehörden – in Deutschland von der Bafin – festgelegt. Auf internationaler Ebene sind sich die Aufseher einig: Künftig muss „übermäßiges Vertrauen allein in externe Ratings vermieden werden“, steht im neuen Regelwerk Basel III, das das Finanzsystem besser gegen Krisen wappnen soll.

Erfahren Sie auf der folgenden Seite, warum die neuen, strengeren Kapitalmarktvorschriften das Dilemma weiter verschärfen könnten. Denn die Kritik an den Ratingagenturen ist keineswegs neu. Schon in der jüngsten Finanzkrise spielten sie eine unrühmliche Rolle. Bafin-Chef Jochen Sanio bezeichnete sie gar als einige der „Hauptschuldigen der Krise“. Der Vorwurf: Sie haben Kreditinstitute beraten, wie ­die­se minderwertige US-Hauskredite bündeln und weiterverkaufen können. Anschließend bewerteten sie dann die Papiere mit der Bestnote „AAA“ – so sicher wie deutsche Staats­anleihen. Auf diese Weise erzielten die beiden größten Ratingagenturen S & P und Moody’s 2006, im Jahr vor dem ­Ausbruch der ­US-Immobilienkrise, Rekordgewinne von jeweils über einer Mil­liarde Dollar. Denn Investoren weltweit rissen sich um die scheinbar sicheren ­Papiere. Und so entstand aus einer geplatzten US-Immobilienblase eine internationale Finanzkrise.

Im Zentrum der Kritik steht das Geschäftsmodell von S & P und Co. Denn Auftraggeber wie Banken müssen für das Rating ihrer Produkte selbst bezahlen. Mehrere Untersuchungen, unter anderem des US-Senats, kommen zu dem Schluss, dass durch die finanzielle Abhängigkeit das Urteil der Ratingagenturen oft nicht kritisch genug ausgefallen ist – um zahlungskräftige Kunden nicht zu vergraulen. Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman bezeichnete das System gar als „zutiefst korrupt“. Denn weder sind die Bewertungskriterien transparent, noch haften die Agenturen für die Folgen ihrer (Fehl-)Urteile.

Dabei sind sie alles andere als neutrale Schiedsrichter. Sie sind private Aktiengesellschaften (vgl. Tabelle Seite 33), deren Eigentümer und Aktionäre – wie der Milliardär Warren Buffett bei Moody’s – ihren Gewinn maximieren wollen.

Sowohl die EU als auch die USA wollen die Agenturen künftig stärker überwachen. In der EU gilt, dass sie nicht gleichzeitig Unternehmen beraten und ihre Bonität bewerten dürfen. Nicht durchgesetzt hat sich dagegen der Vorschlag, Investoren statt Emittenten für die Ratings bezahlen zu lassen, um die Unabhängigkeit zu erhöhen. Eine staatliche EU-Ratingagentur, wie sie unter anderem von Außenminister Guido Westerwelle gefordert wurde, wird es wohl ebenfalls nicht geben. Gegner wie die Briten befürchten, dass eine EU-Agentur die EU-Länder kaum objektiv bewerten könne.

Allerdings stellt sich die Frage, ob Privatunternehmen wie S & P, Moody’s und Fitch objektiv urteilen. Zwar zahlen Staaten nicht für ihre Ratings, dennoch glauben viele, dass die Agenturen mit ihren Bewertungen der Bonität von Ländern verdienen. Als S & P im April ankündigte, das „AAA“-Rating der USA auf den Prüfstand zu stellen, mutmaßte auch HWWI-Chef Straubhaar gegenüber €uro: „Solche Ankündigungen führen zu Reaktionen an den Börsen. Darauf kann man Wetten abschließen und sehr viel Geld verdienen.“

Der Vorwurf gilt in stärkerem Maße auch im Fall Griechenlands. Denn verliert ein Land die Kreditwürdigkeit, müssen sich institutionelle Investoren, wie beschrieben, von den Papieren trennen. Die teils starken Reaktionen an den Märkten auf Urteile einzelner Ratingagenturen sind auch darauf zurückzuführen, dass es mit S & P, Moody’s und Fitch nur drei Unternehmen von weltweiter Bedeutung gibt. EZB-Chef Jean-Claude Trichet fordert deshalb, das „Oligopol der drei Agenturen aufzubrechen“ und so die Wirkung ihrer Bewertungen auf die Kapitalmärkte abzuschwächen.

In der EU sind inzwischen neben den drei dominanten US-Konzernen weitere Anbieter als EU-Ratingagenturen zuge­lassen, darunter die vier deutschen Firmen Euler Hermes, Feri EuroRating, Creditreform und PSR Rating. Für sie ist es jedoch schwierig, Marktanteile zu er­obern. Insbesondere global agierende, börsennotierte Unternehmen setzen noch immer auf die drei Marktführer, deren Rating – trotz aller Kritik – weltweit anerkannt ist. Es ist daher fraglich, ob dieser Schritt ausreicht, um deren Hegemonie zu beenden.

Ohnehin sehen viele die Schuld für die Vorherrschaft der drei führenden Ratingagenturen nicht nur bei den Unternehmen selbst. Vielmehr hätten die Regulatoren in ihren Vorschriften den Ratings eine viel zu große Bedeutung beigemessen, meint der Vizechef der britischen Notenbank, Paul Tucker, selbstkritisch: Das war „ein gro­ßer Fehler“, gibt er zu. Und es sei ein „außerordentlicher Willensakt“ nötig, um diesen Mechanismus rückgängig zu machen.

Souveräne Ignoranten. Es gibt bereits Unternehmen wie die DAX-Konzerne Adidas und SAP, die sich diesem Mechanismus entziehen und ohne Rating die Kapitalmärkte anzapfen. Seit Ende 2009 hat die Zahl der Unternehmensanleihen ohne Rating stark zugenommen. Bei den Emittenten handelt es sich in erster Linie um sehr bekannte Firmen mit gutem Ruf, die die hohe Liquidität an den Märkten nutzen, um sich auch ohne Rating frisches Geld zu beschaffen.

Allerdings ist der Markt für Bonds ohne Rating sehr begrenzt. Denn viele Fondsmanager dürfen nur fünf bis zehn Prozent des von ihnen verwal­teten Vermögens in diese Anlageklasse investieren. Laut einer Studie der ­Ratingagentur Fitch aus dem vergangenen Jahr haben die meisten diesen Anteil bereits aufgefüllt. Er könnte nur ausgebaut werden, wenn die Gesetze gelockert würden.

Doch danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil: Die neuen Kapitalregeln laut Basel III erhöhen sogar die Anforderungen. Sie schreiben vor, dass Banken mehr Eigenkapital als bislang halten müssen, wenn sie riskante Papiere wie Ramschanleihen in ihren Port­folios haben. Dadurch sinkt deren Gewinnspanne. Deshalb bauen viele Kreditinstitute ihren Bestand an diesen Papieren ab. Die Deutsche Bank etwa will ihre Bilanzsumme auf diese Weise um rund ein Drittel schrumpfen.

Die Abhängigkeit von den Urteilen der Ratingagenturen wird dadurch nicht verringert. Im Gegenteil. Auch die Klage des Ökonomen José Reis ändert daran nichts. Selbst die Aufseher wissen bis heute keinen Ausweg. In Basel III steht dazu nur, man werde eine „Reihe qualitativer und quantitativer Kriterien testen“, um die Abhängigkeit von den Ratingagenturen zu ­reduzieren. Man sei aber noch in einem „sehr frühen Stadium“, musste der ­designierte EZB-Chef Mario Dra­ghi jüngst einräumen.

Den Griechen, Spaniern und Portugiesen läuft jedoch die Zeit davon.

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Die drei großen Ratingagenturen

Standard & Poor’s (S & P)
Diese Ratingagentur gehört zum US-Medienkonzern McGraw-Hill. Dessen größter Aktionär ist die Investmentfirma Capital World Investors. Der Hauptsitz von S & P ist New York (NY).
Umsatz 1,7 Mrd. $
Gewinn  762 Mio. $

Moody’s
Diese Agentur, auch aus NY, hat wie S & P einen Marktanteil von fast 40 Prozent. Ihre Großak­tionäre sind Warren Buffetts Firma Berkshire Hathaway und ebenfalls Capital World Investors.
Umsatz 2,0 Mrd. $
Gewinn  773 Mio. $

Fitch
Die kleinste der drei marktbeherrschenden Ratingagenturen hat ihren Sitz sowohl in New York als auch in London. Sie gehört dem französischen Finanzkonzern Fimalac.
Umsatz 0,7 Mrd. $
Gewinn 196 Mio. $