Psychologe rät: Bei Stress sollte man arbeiten gehen

In Phasen hoher psychischer Belastung liegt es nahe, sich zurückzuziehen und eine Pause einzulegen. Doch psychologische Studien legen nahe, dass gerade das bewusste Weiterarbeiten dabei helfen kann, den inneren Druck zu regulieren. Die tägliche Arbeit bietet mehr als nur Verpflichtungen - sie kann zur mentalen Stütze werden.
Struktur als Mittel gegen innere Unruhe
Bei hoher Belastung verliert der Alltag oft seine gewohnte Ordnung. Der Arbeitsalltag kann diesem Zustand jedoch entgegenwirken, indem er eine feste Struktur bietet. Wie ein Beitrag von Psychology Today erläutert, ermöglicht es die Konzentration auf berufliche Aufgaben, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und aus belastenden Gedankenspiralen auszusteigen. Arbeit schafft einen klaren Rahmen, in dem Handlungen einen erkennbaren Anfang und ein nachvollziehbares Ende haben. Das damit verbundene Gefühl der Kontrolle kann stabilisierend wirken - insbesondere in Phasen, in denen das private Umfeld von Ungewissheit geprägt ist. Statt die Stressoren zu verdrängen, entsteht durch das aktive Tun ein funktionaler Abstand, der neue Perspektiven ermöglicht.
Soziale Interaktion als stabilisierender Faktor
Psychosoziale Ressourcen am Arbeitsplatz leisten einen wichtigen Beitrag zur Stressregulation. Der tägliche Austausch mit Kolleginnen und Kollegen kann entlastend wirken, indem er emotionale Nähe und Zugehörigkeit vermittelt. Eine im Journal of Occupational Health Psychology veröffentlichte Studie belegt, dass soziale Unterstützung am Arbeitsplatz die Stressverarbeitung signifikant erleichtert. Die Forschung zeigt, dass schon einfache Interaktionen mit dem Arbeitsumfeld das Gefühl stärken können, nicht allein zu sein - was sich unmittelbar positiv auf das psychische Gleichgewicht auswirkt. In Teams, die ein unterstützendes Klima pflegen, wird Stress weniger als Bedrohung wahrgenommen, sondern eher als vorübergehende Herausforderung, die gemeinsam bewältigt werden kann.
Produktivität als psychologischer Verstärker
Sinnhaftigkeit und das Erleben von Wirksamkeit sind zentrale Faktoren für das emotionale Gleichgewicht. Das erfolgreiche Abschließen von Aufgaben am Arbeitsplatz aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns und wirkt dem Gefühl der Ohnmacht entgegen, das häufig mit Stress einhergeht. Wie ein Beitrag auf TIME.com zeigt, fördert gezieltes Emotionsmanagement nicht nur die psychische Widerstandskraft, sondern auch die kognitive Leistungsfähigkeit. Wer in der Lage ist, innere Spannungszustände im Rahmen produktiver Tätigkeiten zu regulieren, erlebt sich als handlungsfähig und stabil. Dieses Gefühl wirkt stärkend und trägt dazu bei, auch außerhalb des Arbeitskontextes konstruktiver mit Belastungen umzugehen.
Achtsamkeit im Beruf als präventive Maßnahme
Viele Unternehmen erkennen inzwischen den Wert präventiver Programme zur Stressbewältigung. Besonders verbreitet ist dabei das achtsamkeitsbasierte Stressreduktionsprogramm (MBSR), das auf den Mediziner Jon Kabat-Zinn zurückgeht. Dieses Konzept kombiniert Meditation, Körperwahrnehmung und sanfte Bewegung. Ziel ist es, den Umgang mit Stress nicht nur kurzfristig zu erleichtern, sondern langfristig zu verändern. MBSR wird heute weltweit eingesetzt, unter anderem in Unternehmen, Kliniken und Bildungseinrichtungen. Die Integration solcher Programme in den Arbeitsalltag gilt als effektive Maßnahme zur Förderung von Resilienz und emotionaler Stabilität im beruflichen Umfeld.
Arbeit in Belastungssituationen
Psychischer Stress erfordert individuelle Bewältigungsstrategien. Während Rückzug für manche Menschen hilfreich sein kann, stellt die Arbeit für andere eine stabilisierende Konstante dar. Berufliche Tätigkeit in Zeiten mentaler Überforderung wird nicht zwangsläufig zur Belastung, sie kann vielmehr als sinnstiftende, strukturgebende und emotional entlastende Erfahrung wahrgenommen werden. Arbeit verliert damit ihren Charakter als reiner Leistungsraum und wird zu einem Ort, an dem innere Stabilität (wieder-)gefunden werden kann.
Redaktion finanzen.net
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