Euro-Bilanztest

Das Risiko mit der Lebensversicherung

05.09.09 12:00 Uhr

Der €uro-Bilanztest zeigt, die Finanzkrise hat die deutschen Versicherer eingeholt. Für manche ist die Zukunft geradezu prekär.

Von Ulrich Lohrer, €uro

Francesco Guicciardini (1483–1540), Historiker aus Florenz, hat kleine Kaufleute zu mächtigen Staatsmän­nern aufsteigen und jahrhundertealte Dynastien stürzen sehen. „Auf Vorhersagen darüber, wie sich Dinge in der Zukunft entwickeln werden“, schloss er aus Erfah­rung, „kann man sich nicht verlassen.“

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Die Prognose des Juli-Monatsberichts der Deutschen Bundesbank über die Alte­rung der Bevölkerung hätte Guicciardini wohl mit Skepsis aufgenommen. Bis 2060 würden die Sozialbeitragssätze von heute 40 auf 50 Prozent der Einkommen steigen. „Wenn das Verhältnis von Ruhestands- und Erwerbsphase annähernd konstant gehalten werden soll, wäre bis 2060 eine weitere Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 69 notwendig.“

Der Nebensatz löste einen Proteststurm aus. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD), 51, kommentierte erschrocken: „Das ist Quatsch.“ Für Ver.di-Vorstandsmitglied Elke Hannack, 47, handelt es sich um „sozialpolitischen Raubbau“ und „den dümmsten Vorschlag, den ich in den letzten Jahren gehört habe“. Und IG-Bau-Vorsitzender Klaus Wiesehügel, 56, giftete: „Am Schreibtisch in der Bundesbank kann man es vielleicht bis 69 aushalten, auf der Baustelle ist die Vorstellung grotesk.“ Guicciardini hätte über das Protest­ritual milde gelächelt. Schließlich würde die Altersschwelle für den Rentenbeginn nach dem Vorschlag erst in einem halben Jahrhundert erhöht werden. Betroffen wären also „nur“ die heute unter 20-Jährigen. Da lässt die aktuelle Kassenlage der Sozialversicherungen deutlich früher wesentlich Ärgeres erwarten: schmerzhafte Einkommenseinschnitte für weit größere Bevölkerungsschichten, vor allem bei den Erwerbstätigen, wahrscheinlich schon bald nach der Bundestagswahl am 27. September.

Psychologisch ist die heftige Reaktion aber nachvollziehbar. Viele Menschen akzeptieren eher kleine Einkommenseinbußen, bevor sie ihre finanzielle Unabhängigkeit um Jahre in die Zukunft verschieben. Umso mehr erstaunt es, wenn Zahlungsversprechungen der privaten Altersvorsorge stetig nach unten revidiert werden und dies bei den Betroffenen keine Proteststürme auslöst. Sowohl die gesetzliche Rente als auch ­kapitalgedeckte Vorsorgeprodukte sind Risiken ausgesetzt“, warnt Gert Wagner, Volkswirtschaftsprofessor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, in seiner Kolumne für €uro im September. „Dass aber die Lebensversicherer im ­Moment Probleme haben, ihre Garantieverzinsung zu halten, ist weniger bekannt.“

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Risiko Prognosen

Ihre private Altersvorsorge bestreiten die Deutschen vor allem mit Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen. Wie die Anleger von ihrer Assekuranz erfahren müssen, werden die Prognosen über ihre Ablaufleistung aber seit einer Dekade jährlich nach unten revidiert. Warum auf ursprüngliche Vorhersagen kein Verlass ist, hatte Guicciardini vor 480 Jahren in seinen „Ricordi“ begründet: „Dabei baut jede Schlussfolgerung auf einer anderen auf, sodass das gesamte Konstrukt einstürzt, wenn eine einzige Ableitung falsch ist.“

Die von den Lebensversicherern angegebene Ablaufprognose leitet sich von ihren Anlageergebnissen der Vergangenheit ab. Die Nettoverzinsung – also das Anlage­ergebnis nach Abzug der Kosten – lag in den 80er- und 90er-Jahren im Branchenschnitt immer um die sieben Prozent. Im Vergleich zu den aktuellen Zinsen festverzinslicher Anleihen oder der Tages- und Festgelder – nicht über dreieinhalb Prozent – beeindruckende Zahlen.

Was die Prognosen taugen, zeigte der Verlauf der Nettoverzinsung in diesem Jahrzehnt. Sie fiel von 7,5 Prozent (2000) auf den aktuellen Tiefpunkt von 3,55 Prozent (2008). Frei nach Guicciardini war die Vorhersage falsch, weil die darauf basierende Annahme – die Anlageergebnisse der Vergangenheit können für die Zukunft fortgeschrieben werden – ein Fehlschluss war. Die meisten Ablaufprognosen aus der Zeit ihres Vertragsabschlusses sind also Altpapier. Anleger, die solche Zahlen für bare Münze genommen hatten, müssen nun schrittweise ihre finanzielle Lebensplanung revidieren: mehr sparen, länger arbeiten oder sich im Alter einschränken. Dabei ist das jüngste Problem der Lebensversicherer noch gar nicht bei den Versicherten angekommen: die Folgen der Finanzkrise.

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Offiziell porträtieren Verbandsfunktionäre ihre Branche gern als Hort der Sicherheit. „Die Finanzkrise ist originär keine Versicherungskrise“, beschwichtigt etwa Jörg von Fürstenwerth, 55, Hauptgeschäftsführer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin. Vordergründig stimmt das: Nur wenige Versicherer sind vom Börsencrash betroffen, da der Aktienanteil der Kapitalanlagen im Branchenschnitt Anfang 2008 unter zehn Prozent lag und nach Schätzung der Ratingagentur Fitch zu 60 Prozent durch Derivate abgesichert war.

€uro traute dem Frieden dennoch nicht. Und nahm – im achten Jahr in Folge – Bilanzen und Kennzahlen deutscher Lebensversicherer unter die Lupe. Das Ergebnis: Europa, Hannoversche Leben, WGV Schwäbische, HUK-Coburg, Debeka und CosmosDirekt wiesen tatsächlich hohe Gutschriften, niedrige Kosten und geringe Vertragsstornos auf – die besten Voraussetzungen für eine hohe Rendite (siehe Tabelle Ausgabe September 2009). Dennoch: Die Finanzkrise hat bei den meisten Gesellschaften tiefe Spuren hinterlassen. So sind die finanziellen Reserven der meisten Gesellschaften im Vergleich zum Vorjahr (2007) drastisch gesunken, zum Teil müssen stille Lasten in das nächste Jahr übertragen werden, wenn eine sofortige Abschreibung der Verluste nicht geboten schien.

Gefahr durch Zinspapiere

Zu schaffen macht den Lebensversicherern vor allem eine Anlagekategorie, in die sie den weitaus größten Anteil der Kundengelder investiert und auf deren Sicherheit sie stets mit Stolz hingewiesen haben: die festverzinslichen Wertpapiere. Zwar haben deutsche Versicherer wegen aufsichtsrechtlicher Bestimmungen eher wenig in ausfallbedrohte, strukturierte Kreditprodukte investiert. „Forderungsausfälle gegenüber Emittenten wie Lehman Brothers, Island, Madoff oder AIG machten höchstens 0,1 Prozent der Kapitalanlagen deutscher Versicherer aus“, so die Studie von Fitch Ratings.

Absicherung fürs Alter ist wichtig

„Allerdings gerieten auch die Versicherer in den Sog, da sie als größte institutionelle Investorengruppe sehr stark unter den Verwerfungen an den Finanzmärkten zu leiden hatten“, sagt Reiner Will, Geschäftsführer der Kölner Ratingagentur Assekurata. Unverdrossen schreiben die Lebensversicherer ihren Kunden dieses Jahr – inklusive garantiertem Rechnungszins von aktuell 2,25 Prozent – durchschnittlich 4,3 Prozent als laufende Gesamtverzinsung gut. Der Wert bezieht sich auf Ansparrenten (Ansparphase von aufgeschobenen Rentenversicherungen), die in diesem Jahr abgeschlossen wurden. Gutschriften für ältere kapitalbildende Lebensversicherungen oder andere Tarife – etwa Riester-Renten oder Kapitallebensversicherungen mit Hinterbliebenenschutz – können davon abweichen, doch verwenden die meisten Lebensversicherer einen einheitlichen Satz.

Riskante Geschäftspolitik

Die laufende Verzinsung für 2009 fällt damit nur 0,1 Prozentpunkte geringer aus als im Vorjahr. Und dies, obwohl die Versicherer im vergangenen Jahr im Durchschnitt einen gesamten Prozentpunkt weniger als im Jahr 2007 am Kapitalmarkt erwirtschafteten. Im Gegensatz zum vergangenen Jahr wurde den Kunden dieses Jahr sogar mehr gutgeschrieben, als mit den Anlagen erwirtschaftet wurde. „Die laufende Verzinsung über alle Tarifarten und Generationen präsentiert sich wider Erwarten als recht stabil“, bestätigt Assekurata-Chef Will. Denn „aus Wettbewerbsgründen wurde die laufende Verzinsung nur moderat gesenkt“, vermutet Tim Ockenga, Analyst beim Konkurrenten Fitch Ratings.

„Die jährlichen Deklarationssätze haben maßgeblichen Einfluss auf die Beispielrechnungen und damit auch auf die illustrierte Attraktivität der Produkte“, erläutert Will. „Darüber hinaus können Lebensversicherer mit einer stabilen Überschussbeteiligung einen Vertrauensbonus generieren und sich gegenüber Banken im Bereich der Altersvorsorge positiv abheben.“ Tatsächlich hat sich der Wettbewerb im Geschäft der privaten Altersvorsorge seit Beginn der 90er-Jahre schrittweise, aber deutlich verschärft. So wurde unter der Regierung Kohl die EWG-Binnenmarkt-Richtlinie umgesetzt und der deutsche Markt für ausländische Lebensversicherer geöffnet.

Risiko Steueränderung

Unter Kohls Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) fiel sogar das Steuerprivileg für Lebensversicherungen: Erträge aus Policen, die nach 2005 abgeschlossen wurden, sind seither nicht mehr steuerfrei, sondern unterliegen bei Auszahlung zur Hälfte dem persönlichen Steuersatz. Damit entfiel ein wichtiger Vorteil gegenüber anderen Anlagen, etwa Fonds. Zudem wird dieser persönliche Steuersatz für viele Anleger im Alter höher ausfallen als bei den heutigen Rentnern, da unter Schröder auch der Übergang zur nachgelagerten Rentenbesteuerung beschlossen wurde. Demnach erhöht sich jedes Jahr der Anteil der zu versteuernden Rente für Neurentner. Indirekt ist dadurch auch die Lebensversicherung betroffen.

Wie wenig sich mit der Steuer langfristig planen lässt, zeigte zuletzt die Einführung der Abgeltungsteuer unter Bundeskanzlerin Merkel. Seit Beginn dieses Jahres unterliegen Kapitalerträge anderer Anlagen als Lebensversicherungen nur noch einem einheitlichen Steuersatz von etwa 26 Prozent. Vor allem für Gutverdiener, die ihre Zinserträge im vergangenen Jahr noch mit ihrem hohen persönlichen Steuersatz von bis zu 44,3 Prozent versteuern mussten, sinkt nun mit der Abgeltungsteuer die Steuerbelastung. Weil die Lebensversicherung höher und andere Anlagen geringer besteuert werden, gewinnen die Gutschriften bei den Lebensversicherungen an Bedeutung.

Unsichere Reserven

Neben der laufenden Verzinsung schreiben die Versicherer ihren Kunden einen Schlussgewinnanteil gut. Seit 2007 zählt dazu der hälftige Anteil an den stillen Reserven, da der Gesetzgeber die Versicherer dazu verdonnert hat, die Kunden angemessen an den Bewertungsreserven zu beteiligen. Stille Reserven entstehen, wenn der tatsächliche Wert der Kapitalanlage den in den Bilanzen ausgewiesenen Wert übersteigt – etwa wegen besserer Kurse von Aktien oder Anleihen. Weil die Schlussgewinnanteile wie die stillen Reserven sehr stark schwanken, ist es kaum ratsam, sich als Anleger daran zu orientieren. Und wie eine angemessene Beteiligung konkret zu erfolgen hat, interpretieren die Lebensversicherer recht unterschiedlich.

„Richtig ist, dass der Ausweis der Überschussbeteiligung von den Versicherern unternehmensspezifisch vorgenommen wird und dabei unterschiedliche Bezugsgrößen für die Zinsüberschussbeteiligung verwendet werden“, heißt es vom Branchenverband GDV. Wenn aber selbst Experten die Schlussgewinnanteile nicht mehr vergleichen können, weshalb sollten dann die Kunden sie bei ihrer Anlageentscheidung berücksichtigen? „Die Überschussbeteiligung ist vollkommen intransparent, und der Kunde hat von diesen Werten herzlich wenig“, bestätigt Oskar Goecke, Professor an der Fachhochschule Köln. Bei der Bewertung der Lebensversicherer berücksichtigte €uro daher nur die zwischen den Gesellschaften vergleichbare laufende Verzinsung, die den weitaus größten Anteil der Gutschriften ausmacht. Die Schlussgewinnanteile wurden wegen ihrer mangelnden Vergleichbarkeit und Unverbindlichkeit nicht herangezogen.

Gut rechnen
Wie bereits im Vorjahr konnte die Europa auch 2009 bei der laufenden Verzinsung mit dem Spitzenwert punkten. Doch auch der Direktversicherer musste einem schlechteren Anlageergebnis Tribut zollen und die laufende Gesamtverzinsung von 5,4 Prozent vom Vorjahr um 0,4 Prozentpunkte auf fünf Prozent absenken. Hoch ist die laufende Gutschrift dieses Jahr mit 4,85 Prozent auch bei der Fortis oder, mit 4,8 Prozent, bei der Debeka, der DBV-Winterthur und dem Versorgungswerk der Presse.

Wenn die Lebensversicherer dieses Jahr ihren Kunden mehr auszahlen, als sie im vergangenen Jahr erwirtschaftet haben, stellt sich die Frage, woher sie das Geld genommen haben. Die Antwort: Sie haben auf ihre finanziellen Reserven zurückgegriffen. Dafür infrage kommen allein die stillen Reserven sowie ein in der Bilanz für künftige Auszahlungen gebildeter finanzieller Puffer, die sogenannten freien Rückstellungen für Beitragsrückgewähr (freie RfB).

Die stillen Reserven deutscher Lebensversicherer machten nach Schätzung von Fitch Ratings Ende 2007 etwa zwei Prozent, Ende 2008 etwa 2,8 Prozent der Kapitalanlagen aus und hatten sich demnach sogar verbessert. Bezogen auf die Summe der Kapitalanlagen aller Lebensversicherungen von 686 Milliarden Euro, sind dies etwa 19 Milliarden Euro.

Aus dieser Stichtagsbetrachtung geht allerdings nicht hervor, wie enorm die Finanzkrise die Bewertungsreserven im Verlauf des Jahres 2008 ins Schwanken brachte. Durch Kursverluste der Aktien und vor allem von Zinspapieren wie Unternehmensanleihen wurden bis Mitte 2008 aus den stillen Reserven stille Lasten in Höhe von etwa zwei Prozent der Kapitalanlagen. Innerhalb weniger Monate hatten die Versicherer Kursverluste im Wert von 30 Milliarden Euro. Die Notenbank EZB rettete die Situation, indem sie die Zinsen senkte und die Kurse älterer risikoloser Zinspapiere in die Höhe trieb. Dadurch konnten die Versicherer ihre Kursverluste der riskan­teren Anlagen mehr als ausgleichen.

Den Griff in die dank des Kursanstiegs sicherer Zinspapiere entstandenen stillen Reserven halten Experten jedoch für gefährlich: Denn bei einer Neuanlage würden sie aktuell deutlich weniger Rendite machen und damit kaum die Zinsgarantien von durchschnittlich 3,4 Prozent bedienen können. „Eine Realisierung dieser Reserven bei dauerhaft niedrigen Zinsen könnte der langfristigen Finanzkraft erheblich schaden“, fürchtet Fitch-Analyst Ockenga.

Gefährliche Altlasten

Hinzu kommt, dass einige Versicherer vom Branchendurchschnitt deutlich nach unten abweichen und Ende 2008 in ihren Bilanzen ein höheres Kapital auswiesen, als es am Markt wert war. Solche stillen Lasten sind erst seit der Regierung Schröder erlaubt. Nach dem Börsencrash 2001 mussten die Versicherer, die damals zum Teil erheblich in Aktien investiert waren, durch eine Gesetzesänderung (§ 341b HGB) ihre Anlageverluste nicht mehr sofort voll abschreiben. Anlässlich der Finanzkrise 2008 bildete die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nicht nur eine spezielle Taskforce für die Versicherer, sondern stimmte nun unter dem Druck der Assekuranz auch einer großzügigeren Anwendung dieses Paragrafen zu.

Versicherer mit hohen stillen Lasten sind nach der €uro-Auswertung die Inter und die Bayerische Beamten Versicherung BBV (siehe Tabelle Ausgabe September 2009). Die Inter Leben wurde von der deutlich größeren Krankenversicherung gleichen Namens übernommen, die BBV stellt jedoch Ende des Jahres das Neugeschäft ein. "Ab dem 1. Januar 2010 konzentrieren wir unser Neugeschäft auf die seit mehr als 20 Jahre existierende Neue Bayerische Beamten Lebensversicherung", erläutert Peter Nützel von der BBV in München. "Die Bestände der BBV Leben werden aber weiterhin bei dieser Gesellschaft geführt." Allerdings weist auch die wesentlich kleinere Neue Bayerische Beamten stille Lasten auf.

Konkursrisiko

Doch was passiert, wenn sich für eine solche Gesellschaft kein Käufer findet? Der Fall der Mannheimer Leben, die 2002/2003 ihre Garantien gegenüber ihren Kunden nicht mehr erfüllen konnte, zeigt es. Durch die Gründung des Auffangfonds Pro­tektor wurden damals zwar die Policen weitergeführt. Doch die betroffenen ­Anleger müssen sich auch über Jahre hinweg mit mageren Gutschriften begnügen.

Stille Lasten können aber auch von freien RfB überkompensiert werden. So standen bei der Hannoverschen Leben Ende 2008 den hohen stillen Lasten von etwa 200 Millionen Euro finanzielle Reserven aus der freien RfB in doppelter Höhe gegenüber. Wurde den Kunden dieses Jahr mehr gutgeschrieben, als im vergangenen Jahr am Kapitalmarkt erzielt wurde, so stammten diese Gelder in der Regel aus diesem Topf.

„Aufgrund der nur geringen Absenkung der Überschussbeteiligung ist mit einem deutlichen Rückgang der freien RfB ohne Berücksichtigung der Schlussanteilsfonds um 30 Prozent auf 17 Milliarden zu rechnen“, schätzt Ockenga. Damit sei dieser finanzielle Puffer, der seit der letzten Krise 2001 deutlich aufgestockt wurde, „in substanziellem Ausmaß“ wieder gesunken. Dauert die Niedrigzinsphase an und schieben Versicherer zudem Altlasten vor sich her, müssten sie ihre Gutschriften in den kommenden Jahren deutlich senken. Sogar ein Zinsanstieg könnte ihnen Schwierigkeiten bereiten: Die Kurse festverzinslicher Anleihen im Bestand würden fallen, die stillen Reserven schmelzen. Auch ein Börsenboom würde kaum helfen, sofern sie – wie im Branchenschnitt – nur wenige Aktien halten. Versicherer mit hohen freien RfBs und stillen Reserven dürften dagegen leichter Kunden gewinnen. „Nach aktuellem Stand könnten wir weiterhin zehn Jahre eine laufende Verzinsung von 4,8 Prozent gutschreiben“, verspricht etwa Roland Weber, Vorstand der Debeka in Koblenz (siehe Interview nächste Seite).

Risiko Kostenfalle

Doch auch Anleger mit relativ hohen Gutschriften dürfen diese nicht mit ihrer Rendite gleichsetzen. Denn schließlich werden nicht die vollen Beiträge verzinst, sondern nur der Teil, der nach Abzug der Kosten in das Deckungskapital fließt. Bei der Ermittlung der €uro-Note wurden neben der laufenden Verzinsung daher auch die Abschluss- und Verwaltungskostenquoten berücksichtigt.

Ein Versicherer mit relativ hoher Kundengutschrift wie Fortis schneidet deshalb wegen hoher Kostenquoten in der Gesamtwertung schlecht ab. Aufgrund eines fixen Kostenbestandteils sind kleinere Gesellschaften wie Fortis gegenüber großen Versicherern tendenziell benachteiligt, da Letztere Größenvorteile nutzen können. Vor allem Marktführer Allianz hat in den vergangenen Jahren die Kosten stark gesenkt und die Konkurrenz unter Druck gesetzt. Dennoch zeigt die Auswertung, dass auch kleinere Versicherer wie der Direktversicherer Europa niedrige Kosten haben können. Immerhin unterliegen die Kosten nicht solchen Schwankungen wie die Anlageergebnisse. Guicciardinis Rat, statt auf Vorhersagen zu vertrauen, Urteile und Entscheidungen „nur von Tag zu Tag zu fällen“, ist hier wohl doch etwas übertrieben.

Lesen Sie das Interview mit Roland Weber
„Die vergangenen zehn Jahre sprechen gegen Aktien“

Der Mathematiker Roland Weber, 53, ist Vorstand der Debeka Versicherungen in Koblenz. In seine Zuständigkeit fällt der Bereich der Lebensversicherung

€uro: Herr Weber, die Debeka schreibt ihren Kunden 2009 mit 4,8 Prozent eine hohe laufende Verzinsung gut. Ihr Anlageergebnis laut Nettoverzinsung betrug 2008 aber nur 4,2 Prozent. Halten Sie Ihre Kunden mit den Reserven bei Laune?
Roland Weber: Eigentlich nicht. Neben dem Kapitalergebnis haben wir ja noch Kostenüberschüsse, auf die wir zurückgreifen können. Auch lag die durchschnittliche Verzinsung mit 5,2 Prozent über der Nettoverzinsung. Unser Ziel ist aber auch, die Kundengutschrift zu glätten. Erwirtschaften wir in einem Jahr am Kapitalmarkt weniger, können wir auf die freien Rückstellungen für Beitragsrückgewähr zurückgreifen.

Stark angestiegen sind – im Vergleich zu 2007 – Ende 2008 Ihre stillen Reserven. Auf die könnten Sie ja auch noch zurückgreifen.
Weber: Das wollen wir aber nicht, weil dieser Anstieg der stillen Reserven aus Kursgewinnen der festverzinslichen Wertpapiere resultiert. Und diese Papiere wollen wir bis zu ihrer Endfälligkeit halten.

Nach der Senkung der Leitzinsen durch die Notenbank ist das Zinsniveau nun deutlich niedriger als 2008. Für Neuinvestitionen in diese Papiere bekommen Sie also weniger. Müssen Sie nächstes Jahr etwa Ihre Gutschriften senken?
Weber: Nein. Beim gegenwärtigen Zinsniveau könnten wir sogar zehn weitere Jahre eine laufende Verzinsung von 4,8 Prozent gutschreiben. Zwar investieren wir vor allem in sichere öffentliche Staatspapiere, aber nicht in die iedrigverzinslichen Bundesanleihen. Daraus erhalten wir eine Verzinsung von etwa 4,5 Prozent. Für Papiere mit langer Restlaufzeit und Unternehmensanleihen gibt es sogar sechs Prozent.

In Aktien dagegen investiert die Debeka traditionell kaum. Ende 2007 hatten Sie nur 1,8 Prozent, Ende 2008 sogar nur 0,4 Prozent Ihrer Kapitalanlagen dort angelegt. Auch wenn dies in der Finanzkrise eine gute Entscheidung war: Wäre es jetzt nicht sinnvoll, den Aktienanteil deutlich zu erhöhen?
Weber: : Nein, wir bleiben unserer Philosophie treu. Auch wenn gerne behauptet wird, dass sich mit Aktien eine überdurchschnittliche Performance erzielen lässt – die Ergebnisse der vergangenen zehn Jahre sprechen dagegen. Außerdem würde das nicht der Einstellung unserer Kunden entsprechen, die sehr viel Wert auf Sicherheit legen. Viele stammen aus dem Bereich des Öffentlichen Dienstes und der betrieblichen Altersvorsorge. Ein hoher Aktienanteil verursacht überdies hohe Verwaltungskosten und hohe Eigenkapitalkosten.

Tatsächlich gehören Ihre Verwaltungskosten zu den niedrigsten am Markt. Deutschlands größter Lebensversicherer, die Allianz, hat allerdings in den vergangenen Jahren die Kosten radikal gesenkt und Ihr Niveau bei der Verwaltungskostenquote erreicht. Sind weitere Kosteneinsparungen noch möglich?
Weber: Ich glaube, dass wir bald die Grenze bei einer Verwaltungskostenquote von einem Prozent erreicht haben. Weitere Einsparungen wären dann nur noch mit weniger Service möglich. Und das wollen wir nicht.

Achten Anleger überhaupt auf niedrige Kosten und hohe Gutschriften oder vertrauen sie nicht blind ihrem Berater, weil sie die Policen kaum durchschauen können?
Weber: Die Allianz hat seit Beginn ihrer Kostensenkung jedenfalls Marktanteile hinzugewinnen können und wir verzeichnen seit Jahren ein starkes Wachstum. Ich glaube, dass sich mehr Menschen informieren, weil sie merken, dass es sich für sie auszahlt und der Markt in den vergangenen Jahren transparenter geworden ist. Es gibt aber allerdings auch mittelgroße Versicherer, die mit einer Verwaltungs- kostenquote von drei Prozent leben können. Ein Problem werden eher kleinere Versicherer bekommen, die die hohe Kosten für die Erneuerung ihres EDV-Sxstems, die Kosten für die sich ständig ändernde Vorschriften bei der Asset Liability und den Eigenkapitalvoraussetzungen wie etwa durch Solvency II kaum tragen können. Deshalb wird es auch künftig zu weiteren Fusionen in der Branche kommen.

Die Debeka ist eine der größten Gesellschaften in der Rechtsform des Versicherungsvereins. Die meisten großen Lebensversicherer sind Aktiengesellschaften. Welche Folgen hat dies für die Versicherten?
Weber: Sicherlich unterliegen wir nicht dem Interessenkonflikt einer Aktiengesellschaft, die ihre Erträge zwischen Aktionären und Versicherten verteilen müssen. Unsere Versicherte sind gleichzeitig Eigentümer der Gesellschaft. Wir überlegen, ob wir künftig auf diesen Vorteil stärker hinweisen werden.

Worauf legen Kunden bei der Altersvorsorge noch Wert – und wie reagieren Sie darauf?
Weber: Aufgrund der Schwankungen am Arbeitsmarkt und Unterbrechungen des Erwerbslebens – etwa durch die Erziehungszeit von Müttern oder Vätern – haben die Brüche in den Erwerbsbiographien zugenommen. Dadurch lassen sich zum Teil auch höhere Stornoquoten erklären. Wir haben deshalb die Flexibilität unserer Produkte insbesondere bei der Einzahlung deutlich erhöht. Allerdings sind davon die verschiedenen Produktbereiche unterschiedlich betroffen. So lassen sich beispielsweise Produkte der staatlich geförderten Altersvorsorge – die Riester- und Basis-Renten – nur bedingt flexibilisieren. Der Grund: Durch die gesetzlichen Vorgaben sind diese Policen an sich sehr stark reguliert. So sind beispielsweise die Zulagen und die Steuervorteile bei der Riester-Rente auf vier Prozent des Einkommens begrenzt.

Vielen Dank für das Gespräch.


Ulrich Lohrer

Bildquellen: Getty Images, Julian Mezger