Gesundheitssektor

Das Zwei-Säulen-System ist unsere Stärke

17.03.13 03:00 Uhr

Frank Ulrich Montgomery: Der Ärztekammer-Präsident beklagt einen Medizinerschwund in Deutschland. Er fordert im Interview, dringend die Arbeitsbedingungen in den Praxen und Kliniken zu verbessern.

von Peter Schweizer, Euro am Sonntag

€URO AM SONNTAG: Viele Bürger klagen über die Gesundheits­versorgung und sagen, im Ausland sei ­alles besser. Ist die Kritik gerechtfertigt?
Frank Ulrich Montgomery
: Nein, sicherlich nicht. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern den umfangreichsten Leistungskatalog mit den geringsten Zuzahlungen.

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Viele Ärzte wandern aus Deutschland ab und möchten zum Beispiel in der Schweiz oder in England praktizieren. Was sagen Sie?
Wir müssen in Deutschland dringend die Arbeitsbedingungen in den Praxen und Kliniken verbessern. Dazu gehören weniger Bürokratie, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch eine leistungsgerechte Bezahlung. Das muss schnell wirken. In zehn Jahren gehen knapp 20.000 Ober- und Chefärzte in den Ruhestand. Bis 2020 müssen mehr als 66.000 Ärzte ersetzt werden. Aufgrund der demografischen Entwicklung der Ärzteschaft wird es bis zum Jahr 2020 knapp 7.000 Hausärzte weniger geben als bisher.

Stichwort Krankenversicherung: Die Zweifel am Überleben der privaten Krankenversicherung wachsen. Was spricht für eine Beibehaltung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung?
Die Koexistenz von gesetzlicher und privater Krankenversicherung zählt zu den Stärken des deutschen Gesundheitssystems. Die Nachteile staatlicher Systeme mit langen Wartelisten, Einschränkungen der Patientensouveränität und Zweiklassenmedizin konnten durch das Zwei-Säulen-System vermieden werden. Dabei profitiert auch die gesetzliche Krankenversicherung in erheblichem Maße von einem starken System der privaten Krankenversicherung, das durch Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung, freiberuflicher Leistungsbereitschaft und medizinischer Innovationskraft gekennzeichnet ist.

Stichwort Bürgerversicherung: Welche Konsequenzen hätte eine solche Absicherung aus Ihrer Sicht?
Eine Bürgerversicherung löst die Probleme im Gesundheitswesen nicht, sondern schafft neue. Dann etablieren sich nämlich — wie in anderen Ländern — neben der staatlich verordneten Einheitsversorgung völlig separate und in einem exklusiven Sinn private Versorgungsangebote. Diese kämen dann nur noch den besonders Reichen zugute.