Euro am Sonntag-Interview

Erbschaftsteuer-Experte Bonefeld: "Neiddebatten bringen nichts"

01.07.17 16:02 Uhr

Erbschaftsteuer-Experte Bonefeld: "Neiddebatten bringen nichts" | finanzen.net

Erben und Beschenkte können sich rückwirkend seit dem 1. Juli 2016 nach neuen Steuer-Regeln veranlagen lassen. Michael Bonefeld, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht, zieht nach zwölf Monaten eine Reform-Bilanz.

von Stefan Rullkötter, €uro am Sonntag

€uro am Sonntag: Bundestag und Bundesrat haben im Oktober 2016 eine Erbschaftsteuerreform verabschiedet, die rückwirkend seit 1. Juli 2016 gilt. Funktioniert die Umsetzung in der Praxis?
Michael Bonefeld: Nach meiner Einschätzung hält sich die Finanzverwaltung an die rückwirkend geltende Neuregelung - und prüft jedes Mal genau, inwieweit sich bei betroffenen Erben und Beschenken Vertrauen auf den Bestand des geltenden Erbschaftsteuerrechts bilden konnte.

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Gibt es infolge der Reform neue rechtliche Fallstricke für Erben?
Überträgt man die maßgebliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Einkommensteuer auf die Erb- und Schenkungsteuer als Stichtagsabgabe, ist von einer sogenannten echten Rückwirkung auszugehen. Sie tritt ein, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs eines Gesetzes auf Sachverhalte in der Vergangenheit festgelegt wird. Von dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze gibt es jedoch Ausnahmen. Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes seine Grenze.

Ein Kernpunkt der Reform waren Unternehmensübertragungen auf die nächste Generation, bei denen durch Erbschaftsteuerlast keine Arbeitsplätze verloren gehen sollen. Wo gibt es in der Praxis Probleme?
Der Finanzverwaltung werden durch die Erbschaftsteuerreform erhebliche Mehranforderungen aufgebürdet. Mir ist bis heute schleierhaft, wie die Finanzverwaltung überhaupt die Überprüfung der Gesellschaftsverträge und weitere wichtiger Details über Jahrzehnte bewältigen will.

Manche Experten bringen erneut eine "Erbschaftsteuer-Flatrate" - mit einem niedrigen Einheitssteuersatz für alle Erben und Beschenkten, aber ohne Erbschaftsteuerfreibeträge - auf die politische Agenda. Was halten sie von diesem Modell?
Damit kann ich mich nicht generell anfreunden, interessant fände ich allerdings eine Kompetenzzuweisung an die Länder, wie sie etwa der bayerische Finanzminister Markus Söder fordert.

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Können Sie der Erbschaftsteuer-Reform auch positive Aspekte abgewinnen?
Es fällt schwer, die Erbschaftsteuerreform zu bejubeln. Ursächlich dafür ist neben der komplizierten Rückwirkung ein starrer Kapitalisierungsfaktor, mit dem für Firmenerben die Höhe der Steuer berechnet wird. Dazu wird das Betriebsergebnis des Unternehmens mit 13,75 multipliziert. Auch Einzelunternehmen werden durch die Reform diskriminiert - ihre Erbschaftsteuerlast ist jetzt der von Kapitalgesellschaften angeglichen.

Die Erbschaftsteuer wird als Teil der "Gerechtigkeits-"Debatte auch im Bundestagswahlkampf breit diskutiert. Ist das Thema dafür geeignet?
Es ist grundsätzlich für viele Bürger nicht nachvollziehbar, wieso es manchmal einfacher ist, Millionenvermögen steuerfrei zu übertragen und "normales" Vermögen nicht. Neiddebatten haben uns jedoch niemals vorangebracht.

Kurzvita

Michael Bonefeld ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht in München. Der Partner der Kanzlei Bonjur Rechtsanwälte ist Autor zahlreicher Fachaufsätze zum Thema Erbrecht und Erbschaftsteuerrecht.

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Mehr zum Thema Erbschaftsteuer lesen Sie in der neuen €uro am Sonntag, die ab heute, den 1. Juli 2017, im Handel erhältlich ist.

Bildquellen: Robert Haas