Von der Compliance gefesselt
Edel, hilfreich und gut — so soll der Mensch ausgerechnet im harten Business-Alltag sein. Das zumindest verlangen die strengen Verhaltensregeln, die heute in den Unternehmen der westlichen Industrienationen herrschen. Doch sie sind vielfach ohne Augenmaß aufgestellt, findet Gastautor Thomas Welte.
Werte in diesem Artikel
von Thomas Welte, Gastautor von Euro am Sonntag
Es ist erst wenige Wochen her, da wurde München zum Zentrum der Illegalität in Deutschland. Alle Jahre wieder um Weihnachten herum üben sich Tausende Bürger der Stadt in einem Verstoß gegen eine Verordnung ihrer Verwaltung — sie versuchen, ihrem Müllmann ein Trinkgeld zu geben. Das aber ist in München, im Gegensatz zu anderen Kommunen, verboten. Allenfalls ein Sachgeschenk bis zum maximalen Wert von 15 Euro ist erlaubt. Als Begründung wird die Gleichbehandlung der Müllmänner mit den anderen Beschäftigten der Stadt angegeben. In einem Unternehmen würde man sagen: Es entspricht nicht der Compliance.
Lächerlich? Natürlich. Trinkgeld stellt keine Begünstigung oder gar Bestechung — beides im Übrigen völlig zu Recht Straftatbestände — dar, sondern ist schlicht ein Ausdruck von Dankbarkeit. Dennoch liegt München mit dem seit 2010 geltenden Trinkgeldverbot für seine Bediensteten im Trend. Denn unter dem Begriff Compliance hat die Erwartungshaltung an eine undifferenzierte Regelkonformität längst auch Einzug in die Sphären der deutschen Wirtschaft gehalten.
Bei ThyssenKrupp musste der halbe Vorstand wegen Verstößen gegen die Compliance gehen. Dass binnen eines Jahres fünf Milliarden Euro Verlust aufliefen und mittels eines Schienenkartells der Steuerzahler geprellt wurde, geriet dabei beinahe zur Nebensache. Die Medien spielen im Compliance-Dilemma eine tragende Rolle als Katalysator der allgemeinen Empörungsmaschinerie. Dabei täte dem Thema — zumal in der öffentlichen Diskussion — etwas emotionaler Abstand und ein Mindestmaß an Sachlichkeit dringend Not.
Ein Ideal wird zementiert,
sogar Ungleiches nivelliert
Das zeigt auch der Fall Siemens. Trotz aller Bemühungen um ein Saubermann-Image ist der Konzern nachhaltig mit dem Gschmäckle behaftet, schwarze Kassen unterhalten zu haben. Offenbar stammten die Gelder dafür jedoch nicht mal aus zweifelhaften Quellen. Denn über flächendeckende Steuerstrafverfahren im Zusammenhang mit der angeblich milliardenschweren Schwarzgeldaffäre ist nichts bekannt geworden. Abgesehen davon, dass es naiv wäre anzunehmen, dass Siemens ein Einzelfall war, ist es noch nicht so lange her, dass derlei Gelder unter dem Begriff „nützliche Zuwendungen“ steuerlich absetzbar waren. Was ist seither geschehen?
Ohne Zweifel sind Verhaltensregeln eine zwingende Notwendigkeit für ein funktionierendes Zusammenleben, auch und gerade im Bereich der Wirtschaft. Es muss Grenzen geben. Aber ist das gegenwärtige Verständnis von Compliance ein tauglicher Maßstab für eine sinnvolle Grenzziehung? Wir sollten — und das mag aktuell eine wenig populäre These sein — in Sachen Compliance besser drei Schritte zurückgehen. Die grundsätzliche Frage: Wer muss Interesse an der Einhaltung von Verhaltensgrundsätzen haben, wer setzt folglich den dafür notwendigen Regelungsrahmen? In einer marktwirtschaftlich ausgeformten Gesellschaftsordnung sollte hierfür in erster Linie derjenige in Betracht kommen, dem durch ein subjektiv regelwidriges Verhalten eines anderen eine wirtschaftliche Benachteiligung droht.
Wir in unserer westlichen Industriegesellschaft — und nur in dieser — bewegen uns demgegenüber in eine völlig andere Richtung. Denn wir verfolgen bei der Definition des regelkonformen Verhaltens einen objektivierenden Ansatz. Das heißt, wir zementieren den Idealtypus einer Verhaltensweise und verfolgen Verstöße dagegen mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen. Damit aber offenbart sich eine Neigung zur Anpassung an den aktuellen gesellschaftlichen Mainstream — dazu, alles zu nivellieren und gleichzuschalten, sogar Ungleiches.
Beispiel: Ein Einkäufer bevorzugt einen Lieferanten, und der schickt ihm jedes Jahr drei Kisten Wein. Womöglich wird der Lieferant durch den Einkäufer bevorzugt, weil er den Wein schickt. Wenn aber der Arbeitgeber des Einkäufers der Meinung ist, dieser Lieferant sei der geeignetste, sein Produkt das beste, der Preis der richtige, warum sollte das Geschenk dann stigmatisiert oder gar kriminalisiert werden? Wo ist der Schaden?
Es wurden Grenzen gezogen, deren Ziel es nicht länger ist, zwischen Schwarz und Weiß zu trennen, dabei aber zugleich die Existenz von Graustufen zu akzeptieren. Eine fatale Fehlentwicklung. Da überrascht es kaum, wenn bei der Festschreibung von Verhaltensgrundsätzen auch nach dem Staat gerufen wird. Dieser steht bekanntlich jeglicher Individualität mit Skepsis gegenüber. Und er setzt die Schwelle für Aufgriffe möglichst tief an.
Zu sehen ist das auch, wenn das Finanzamt einen Betriebsprüfer schickt. Früher bekam er selbstverständlich eine Tasse Kaffee angeboten. Heute bringt er seine Getränke selbst mit. Käme seinem Dienstherren zu Ohren, dass der Betriebsprüfer auch nur einen Kaffee angenommen hat, könnte dieser Umstand ja seine Urteilsfähigkeit beeinflussen.
Natürlich ist das Idealbild eines lauteren und ehrlichen Handelns per se moralisch äußerst begrüßenswert. Doch angesichts der Internationalität der Absatzmärkte und des Wettbewerbs, dem die deutsche Wirtschaft heutzutage ausgesetzt ist, erhebt sich eine einfache Frage: Ist das Verständnis von Compliance außerhalb der westlichen Industrienationen von einer vergleichbaren Engstirnigkeit geprägt? Oder zelebrieren andere, etwa im asiatischen Raum, bei einem gesponserten Glas Champagner im Ballsaal bereits den Abschluss gesamtwirtschaftlich bedeutsamer Kontrakte, während wir noch mit dem Compliance-Beauftragten und einer Armada von sachkundigen Anwälten darüber grübeln, ob es eine unlautere Beeinflussung des Wettbewerbs bedeutet, wenn wir Geschäftspartner zum Abschluss einer Verhandlungsrunde in eine gutbürgerliche Gaststätte zum Abendessen einladen? Compliance, wie wir sie auslegen, kann auf diesem Wege schnell zum Wettbewerbsnachteil werden.
Eine — fast — vergessene Regel:
Andere Länder, andere Sitten!
Compliance bedeutet, dass man sich einem gewissen Regelmuster entsprechend verhält. Dieses Muster ist aber eben nicht statisch, allgemeingültig und unabhängig von geografischen, zeitlichen und kulturellen Zusammenhängen. Andere Länder, andere Sitten! Wer außerhalb westlicher Industriegesellschaften Geschäfte machen will, wird zwangsläufig die Erfahrung machen, dass die hier verbreiteten Leitbilder allenfalls bedingt mit den andernorts geschäftsüblichen Usancen kompatibel sind. Was aber gibt uns die Berechtigung, über deutsche Unternehmer und Unternehmen im Ausland auf Basis eines Verhaltenskodex zu urteilen, der schon in Deutschland jegliches Augenmaß vermissen lässt?
Wer hinter jedem Busch eine Gefahr wittert, dem bleibt nichts anderes übrig, als entweder alle Büsche am Wegesrand auszuschlagen oder aber das Buschwerk in Kauf zu nehmen und die eigene Couch nicht mehr zu verlassen. Beides hätte — übersetzt ins Wirtschaftsleben — fatale Folgen.

zur Person:
Thomas Welte,
Partner und Sprecher
der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Autaco
Der Autor begann seine Karriere nach dem
Studienabschluss als
Diplom-Finanzwirt beim
Finanzministerium
Baden-Württemberg in Stuttgart. Nach 1990
folgten verschiedene
Stationen in Unternehmen wie KPMG oder
der Taurus Holding.
2005 gründete Welte
die Autaco GmbH in München und konzentriert hier seine Tätigkeiten auf die Beratung und Begleitung von großen und mittelständischen Unternehmen, insbesondere in konzernsteuerrechtlichen Fragen, bei Unternehmenskäufen, -reorganisationen, -sanierungen und -insolvenzen ebenso wie auf die Entwicklung von innovativen Investitions- und Finanzierungsmodellen im Bereich der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand.
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