Benjamin Feingold-Kolumne

Inflation und Migration - Japan auf deutschen Spuren

04.07.25 15:28 Uhr

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Inflation und Migration - Japan auf deutschen Spuren | finanzen.net

Tokio, Kyoto und der Fuji sind Trendreiseziele für Europäer. Doch Japan verspricht unter der Oberfläche die echte Spannung.

Das Erste, was einem Deutschen in Tokio auffällt, ist die Abwesenheit von Mülleimern. In Frankfurt an der Konstablerwache stehen ebenso wie in Berlin am Mauerpark Dutzende Mülleimer und trotzdem oder gerade deshalb sieht der öffentliche Raum desaströs aus. Dreck wohin man schaut. Der öffentliche Raum in Japan dagegen ist ein Traum für alle Sauberkeitsfanatiker. In den Großstädten Japans könnte man wohl sowohl im Bahnhof als auch an der Straße sein Sushi versehentlich fallen lassen - es wäre danach immer noch genießbar und sauber. Dass Tokio so gut wie keine Mülleimer anbietet, liegt daran, dass man nach einem Giftgasanschlag der Aum-Sekte in den 90er-Jahren alle Mülleimer entfernt hatte, da die Behälter als Depots genutzt wurden.

Öffentlicher Raum ein Sauberkeitstraum

Ohnedies sieht man weder in U-Bahn noch im öffentlichen Raum Japaner essen, trinken oder auch nur ein Stück ihres Abfalls irgendwo entsorgen. Japan-Reisende dürfen sich auf maximale Sauberkeit gepaart mit großer Höflichkeit freuen. In den Bahnhöfen Kyotos oder Hiroshimas stehen nicht selten ältere Männer mit einem Tablet in der Hand und antworten mittels Übersetzungsprogramm orientierungslosen Touristen. Ohnehin wirken Menschen jenseits der 60 üppig und zahlreich in den Arbeitsmarkt eingebunden. Genau an diesem Punkt kommen die Schattenseiten Japans zum Vorschein. Die Gesellschaft ist alt. Sehr alt. Das Durchschnittsalter ist mit 48 Jahren das höchste der Welt und liegt damit doppelt so hoch wie in manch afrikanischem Staat. Sozialpolitisch ist damit einhergehend, dass Japans Jugend mehr und mehr vereinsamt.

Migration und alte Gesellschaft

Dies äußert sich offen zu sehen in Kuschelcafes mit Hunden, Katzen, Schweinen, Ottern oder gar Schlangen. Und hinter der Fassade leben viele junge Menschen Mitte 20 immer noch bei ihren Eltern, tun sich vielfach mit der Karriere schwerer als einst geplant, was genauso für die Partnersuche gilt. Entsprechend ist auch die Geburtenrate in Japan ein Desaster und auch dafür gibt es offensichtliche Indizien. Denn Kommunikation in der Bahn oder Cafes ist spärlich und dieses Problem teilt Japan mit dem Nachbarland Südkorea. Womit wir bei den wirtschaftlichen Problemen Japans angekommen wären. Japan ist nicht nur eine alte Gesellschaft, sondern man hat sehr lange auch auf Migration weitgehend verzichtet. Wo die Servicekräfte in Berlin oder Frankfurt bunt gemischt aus allen möglichen Ländern stammen, wird man in Japan in der Regel und mit wenigen Ausnahmen aus Vietnam, China oder Kambodscha von Japanern bedient. Angesichts der Demografie stößt dies an seine Grenzen.

Stadt hui - Land pfui

Noch hilft die hohe technische Entwicklung Japans in den Städten. Auf dem Land aber lässt sich ein Japan besichtigen, dass an Deutschland Ende der 90er-Jahre erinnert. So ist Onomichi, nördlich von Hiroshima gelegen, bekannt für Radfahren über kleine Inseln und umso eindrucksvollere Brücken. Auf den Inseln aber ist der Verfall offenkundig. Ferienanlagen, Strandcafes, Industrieanlagen und Wohnblocks erinnern weniger an das pulsierende und top moderne Tokio als an Eisenhüttenstadt oder den Hunsrück Ende der 90er-Jahre. In manchen Kleinstädten kann nicht einmal mehr das Krankenhaus passabel am Laufen gehalten werden und coole Cafes muss man lange suchen. Die beste Anlaufstelle bleibt eher der überall präsente SevenEleven-Supermarkt. Wirtschaftlich hat Japan neben seiner Demografie im Jahr 2025 noch ein weiteres Problem - Inflation.

Inflation auf japanisch

Obst und Gemüse sind für Europäer ohnehin absurd teuer. Ein Apfel für zwei Euro, eine Melone für fünf Euro oder eine Schale Erdbeeren für 10 Euro sind in Japan völlig normal. Was beständig ist war lange Zeit der Preis für Reis und andere Grundnahrungsmittel. Diese Preise sind für japanische Verhältnisse eskaliert. Auch dies merkt man als Europäer kaum, denn in Tokio lässt sich in sehr guten Restaurants ein Mittagsmenü für 15 Euro finden, wofür man in Frankfurt oder Berlin sicher 40 oder 50 Euro hinlegen müsste. Europäer haben die Preise der 2000er-Jahre längst vergessen.

Für Japaner aber war Inflation lange ein Fremdwort. Diese Inflation schlägt gepaart mit Niedrigwachstum gerade zu und mündet in das unschöne Wort Stagflation. Wie blank die Nerven liegen, sah man zuletzt am Rücktritt des Agrarministers, der nach eigenen Angaben noch nie ein Kilo Reis selbst bezahlt hatte. Die Aussage war nicht nur dämlich, sondern mündete in seinen Rücktritt vom Amt. Ablesen lässt sich die japanische Schwäche auch an den Staatsanleihen. Die Rendite 30jähriger japanischer Bonds überschritt zuletzt die Marke von 2,9 Prozent. Geschenkt, denkt der Europäer. Für Japaner war dies eine Zäsur.

Zinsen wie lange nicht

Denn ewig nicht wurden rund drei Prozent für 30jährige Bonds verlangt, die ohnehin meist in inländischer Hand liegen. Ein weiteres Indiz dafür, dass auch Investoren die Probleme Japans durchaus bewusst sind. Als Tourist kann man die Probleme natürlich weitgehend ausklammern und sich noch über einen weiteren Vorteil freuen: Der japanische Yen ist zum Euro mit 164 Yen sehr attraktiv und macht einen Japan-Urlaub entgegen aller Vorurteile absolut erschwinglich. Wer dagegen erst mal in den fernen japanischen Aktienmarkt investieren will, findet genug Produktalternativen. Am einfachsten ist ein Index-Zertifikat auf den japanischen Nikkei-Index. Das Papier mit der WKN DZ2NX7 setzt 1:1 auf die Wertentwicklung des japanischen Leitindex, gleichzeitig ist das Zertifikat währungsgeschützt.

150 Jahre Börsenerfahrung kombiniert technische Analyse, Trading, Börsenpsychologie und konkrete Investments. Benjamin Feingold ist Mit-Gründer von Feingold Research. Unseren Börsendienst finden Sie unter feingoldresearch.de!

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