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Interview: „Die Titelauswahl ist wichtiger als die reine Allokation“

30.07.25 00:07 Uhr

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Interview: „Die Titelauswahl ist wichtiger als die reine Allokation“ | finanzen.net

Zölle zählen seit Wochen zu den dominierenden Themen an den Kapitalmärkten – und ein Ende ist vorerst nicht in Sicht. Selbst wenn konkrete Maßnahmen beschlossen werden, dürften die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen noch lange spürbar bleiben.

Im Gespräch erläutert Philip Gisdakis, Chief Investment Officer Germany der UniCredit Bank GmbH, mit welchen Auswirkungen er rechnet und welche Konsequenzen sich daraus für die Finanzmärkte ergeben könnten. Darüber hinaus gibt er Einblicke in seine bevorzugte Anlagestrategie angesichts des derzeitigen Marktumfelds.

onemarkets: Herr Gisdakis, vielen Dank, dass Sie sich wieder Zeit für unsere Fragen nehmen. Wir leben derzeit ja in einer spannenden Zeit. Wie schätzen Sie die Lage der US-Wirtschaft ein? Und wie sind die Aussichten für Europa?

Philip Gisdakis: Dank der soliden Finanzlage der privaten Haushalte und Unternehmen haben sich beide Volkswirtschaften als widerstandsfähig gegenüber dem Schock durch die Zölle erwiesen. Für die Vereinigten Staaten bestätigen wir unsere Prognose eines BIP-Wachstums von 1,5 Prozent für dieses Jahr. Dies ist zwar eine deutliche Verlangsamung gegenüber 2024, eine harte Landung ist jedoch nicht zu befürchten. Der leichte Rückgang der Wirtschaftstätigkeit im ersten Quartal dieses Jahres ist hauptsächlich auf einen starken Anstieg der Importe durch Unternehmen zurückzuführen, die vor Inkrafttreten der Zölle ihre Lagerbestände aufgefüllt haben. Die Nachfrage ohne Berücksichtigung der Lagerbestände hat sich recht gut gehalten, auch wenn der private Konsum an Schwung verloren hat. Da der Arbeitsmarkt weiterhin positive Signale sendet, gehen wir davon aus, dass die Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum in den USA kontrollierbar bleiben.

In der Eurozone wurde das BIP-Wachstum im ersten Quartal durch den starken Anstieg der Exporte in die Vereinigten Staaten „aufgebläht”. Eine Korrektur ist bereits im Gange und die kommenden Monate werden für Exporteure schwierig, da sie neben den Zöllen und der Unsicherheit auch mit der Aufwertung des Euro zu kämpfen haben werden. Auch hier sehen wir jedoch keine besonderen Rezessionsrisiken. Die Beschäftigungsdynamik bleibt positiv und die Kaufkraft der privaten Haushalte verbessert sich weiter. Die Zinssenkungen der EZB schaffen günstigere Finanzierungsbedingungen und haben bereits zu einer positiven Wende auf dem Hypothekenmarkt geführt. Das BIP der Eurozone dürfte in diesem Jahr um etwa 1 Prozent wachsen. Die positiven Auswirkungen des deutschen Infrastrukturplans und der höheren Militärausgaben werden sich jedoch erst im Laufe des Jahres 2026 voll entfalten.

onemarkets: Welche Erwartungen haben Sie hinsichtlich der Inflation?

Gisdakis: Die Inflationsdaten der letzten Monate waren sowohl in den USA als auch in der Eurozone moderat. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich die Entwicklungen in den kommenden Monaten unterscheiden werden. In den USA werden die Zollerhöhungen letztlich so hoch sein, dass sie nicht vollständig von den Unternehmen aufgefangen werden können. Bislang haben wir keine nennenswerten Auswirkungen auf die Verbraucherpreise beobachtet, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass die starken Lageraufbauten vor Inkrafttreten der Zölle es den Unternehmen ermöglicht haben, den Zeitpunkt, zu dem die höheren Importkosten an die Kundschaft weitergegeben werden, hinauszuzögern. In den Sommermonaten dürfte sich die Inflation bei den Gütern beschleunigen, möglicherweise sogar deutlich, sodass die Gesamtinflation über dem Fed-Zielwert von 2 Prozent liegen wird.

In der Eurozone hingegen ist die Inflation bereits wieder auf 2 Prozent zurückgegangen und dürfte sich in absehbarer Zeit um diesen Wert stabilisieren. Wie die jüngsten Prognosen der EZB zeigen, könnten die Risiken sogar nach unten tendieren, da für 2026 eine durchschnittliche Inflation von 1,6 Prozent erwartet wird. Verschiedene Faktoren werden dazu beitragen, den Inflationsdruck in der Eurozone einzudämmen: die Aufwertung des Euro, das moderate Wirtschaftswachstum, der Rückgang der Nominallöhne und der Import billiger chinesischer Waren, die nach alternativen Absatzmärkten zum US-Markt suchen.

onemarkets: Welche Entscheidungen der US-Notenbank (Fed), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Bank of Japan (BoJ) in Bezug auf die Geldpolitik erwarten Sie in naher Zukunft?

Philip Gisdakis, Chief Investment Officer Germany, UniCredit Bank GmbH / HypoVereinsbank

Gisdakis: Die Fed verhält sich zurückhaltend. Solange der Arbeitsmarkt stabil bleibt, kann die US-Notenbank weitere Daten abwarten, um die Auswirkungen der Zölle auf die Inflation zu bewerten, bevor sie ihre Geldpolitik neu ausrichtet. Im September könnte sich das Fenster für eine Zinssenkung öffnen, sofern die Verbraucherpreise keine deutlichen Anzeichen einer Beschleunigung zeigen. Wir sehen Spielraum für zwei Senkungen um jeweils 25 Basispunkte in den nächsten zwölf Monaten auf 4 Prozent.

In der Eurozone hat die EZB signalisiert, dass der Zinssenkungszyklus fast abgeschlossen ist. Wir erwarten nach wie vor eine letzte Senkung um 25 Basispunkte im September, wenngleich die Hürde für einen solchen Schritt nach den Äußerungen von EZB-Präsidentin Lagarde bei der letzten EZB-Sitzung höher liegt. Die Lockerungsphase dürfte dann mit einem Einlagensatz von 1,75 Prozent enden.

In Japan wird die BoJ die Auswirkungen der US-Zölle und der jüngsten Spannungen bei den Langfristzinsen bewerten wollen, bevor sie eine weitere Zinserhöhung vornimmt. Wir rechnen bis Ende des Jahres mit einer weiteren Anpassung der Geldmarktzinsen, wahrscheinlich um 25 Basispunkte auf 0,75 Prozent, da die Inflation über dem Zielwert bleibt und sich die Lohnentwicklung seit einiger Zeit in einem Aufwärtstrend befindet.

onemarkets: Ist das wiedererwachte Interesse an den europäischen Märkten taktischer Natur oder langfristig ausgerichtet?

Gisdakis: Zu Beginn des Jahres haben die europäischen Aktienmärkte sicherlich auch bedeutende Zuflüsse von internationalen Akteuren verzeichnet. Diese haben wahrscheinlich ihre globalen Portfolios neu ausgerichtet und den Anteil der amerikanischen Märkte reduziert, deren relatives Gewicht aufgrund der konstant höheren Renditen im Vergleich zu anderen Regionen gestiegen war.

Nun sind wir wieder in einem Umfeld angelangt, in dem die Titelauswahl auf den europäischen Märkten wichtiger ist als die reine Allokation. Die Renditeunterschiede zwischen den Sektoren seit Jahresbeginn sind beträchtlich: 30 Prozent Performance trennen den besten vom schlechtesten Sektor. Daher bleibt die Wahl des Unternehmens, des Sektors und des Themas der entscheidende Faktor. Wir konzentrieren uns weiterhin auf den Finanz- und den Industriesektor. Ersterer profitiert von der wiedergewonnenen Solidität der Bilanzen und dem stetig wachsenden Anteil der Margen aus Dienstleistungen. Letzterer wird von den Erwartungen einer wirtschaftlichen Erholung getragen, die durch den epochalen Aufschwung der deutschen Fiskalpolitik unterstützt wird.

onemarkets: Wie diversifiziert man seine Investments in einem Umfeld mit Licht und Schatten?

Gisdakis: Aktuell funktioniert die Kombination aus Anleihen und Aktien wieder und sorgt für Stabilität bei den Gesamtrenditen des Portfolios. Euro-Staatsan­leihen, Investment-Grade-Unternehmensanleihen sowie Schwellenländeranleihen in Hartwährungen mit Währungsabsicherung als Satellitenanteil bieten attraktive Nominalrenditen bei gleichzeitig begrenzter Kursvolatilität.

Aktienportfolios müssen global ausgerichtet bleiben, wobei der Fokus mit 60 Prozent auf den USA liegt und der Rest gleichmäßig auf Europa und die Schwellenländer verteilt sein sollte. US-Unternehmen behalten ihren Wettbewerbsvorteil, der sich aus ihrer globalen Präsenz, ihrer beispiellosen Flexibilität und ihrer Fähigkeit, die besten Köpfe der Welt anzuziehen, ergibt. Nicht zu vergessen sind auch die Präsenz und die Bedeutung des Technologiesektors, der nach wie vor unser bevorzugtes langfristiges Anlagethema ist. In Europa suchen wir nach globalen Branchenführern, die nicht unter dem schwachen Konjunkturzyklus leiden und mit einem Abschlag bewertet sind. In den Schwellenländern positionieren wir uns breit, insbesondere in Asien, um den Anteil am künftigen Wachstum zu sichern, der sich gemäß der neuen multipolaren geopolitischen Ordnung abzeichnet.

onemarkets: Was bereitet Ihnen zurzeit am meisten Sorge und worauf hoffen Sie?

Gisdakis: In den USA beobachten wir aufmerksam, ob ein anhaltender Abschwung an den Märkten die Kaufbereitschaft der wohlhabenderen Verbraucherinnen und Verbraucher untergraben könnte, die in den letzten Jahren dank stark gestiegener Aktien- und Immobilienpreise von einem besonders positiven Vermögenseffekt profitiert haben. Sollte diese Konsumentengruppe vorsichtiger werden und ihre Sparquote deutlich erhöhen, wären negative Auswirkungen auf den Konsum und das Bruttoinlandsprodukt unvermeidlich. Was den Handelskrieg betrifft, so besteht die Hoffnung, dass die Verunsicherung mittlerweile ihren Höhepunkt erreicht hat und die Verhandlungen in eine positive Richtung gehen werden.

onemarkets: Herr Gisdakis, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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