Bankenkrise

HSH Nordbank: Ex-Minister Marnette klagt an

18.11.09 10:35 Uhr

HSH Nordbank, die Landesbank von Schleswig-Holstein und Hamburg ist ein Milliardengrab für Steuerzahler. Werner Marnette, ehemaliger Topmanager und zurückgetretener Wirtschaftsminister der Kieler Landesregierung, im Interview mit Euro.

Euro: Herr Marnette, Sie sind im März 2009 aus Protest gegen das Krisenmanagement bei der HSH Nordbank als Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins abgetreten. Als Kritiker der Vorgänge dort betätigen Sie sich aber immer noch. Warum sind Sie nicht einfach still?
Werner Marnette:
Ich kann die Entwicklung dieser Bank doch nicht einfach so ad acta legen. Zwar bin ich kein Minister mehr, aber weiterhin Staatsbürger, Steuerzahler und CDU-Mitglied. In Anbetracht der desaströsen Managementfehler bei der HSH empfinde ich es als Pflicht, dazu Stellung zu beziehen.

Manch einer nennt das „nachtreten“.
Marnette:
Die Missstände dort verschlingen Milliarden an Steuergeldern, die dem Staat für andere Aufgaben fehlen. Ich will, dass die Verursacher der Schieflage bei dieser Bank auch öffentlich als solche erkannt werden und schnell Konzepte auf den Tisch kommen, die möglichst wenig zulasten der Bürger gehen. Wer das nachtreten nennt, muss fragwürdige Gründe dafür haben.

Nach Ihrem Rücktritt sagten Sie, die Wahrheit über die HSH Nordbank werde wegen der Bundestagswahl zurückgehalten. Das böse Erwachen käme im vierten Quartal. Da sind wir nun. Was passiert jetzt?
Marnette:
Nach dem Vorjahresverlust in Höhe von 2,8 Milliarden Euro wird für 2009 wiederum ein Milliardenverlust anfallen. Und was die Zukunft angeht, äußert sich Vorstandschef Dirk Jens Nonnenmacher viel zu optimistisch. Es werden bald neue Probleme auftauchen, die von der Bank noch nicht kommuniziert worden sind, aber die Steuerzahler sehr viel Geld kosten werden.

Was macht Sie da so sicher? Sie sind längst vom Informationsfluss in der Kieler Landesregierung abgeschnitten.
Marnette:
Nur ein Beispiel: Die Bank ist der größte Schiffsfinanzierer der Welt. Allein im Hamburger Hafen ist schon zu erkennen, wie grottenschlecht es dieser Branche geht. Ich habe auch Einblicke in Berichte der HSH-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG erhalten, die meine schlimmen Befürchtungen bestätigt haben. Ich erwarte erhebliche Wertberichtigungen im Schifffahrtportfolio der HSH, das heute mit einem Wert von mehr als 30 Milliarden Euro angegeben wird. Hier hat der Vorstand bislang eine zu niedrige Risikovorsorge getroffen. Und glauben Sie mir: Ich hätte lieber unrecht.

Sie zweifeln das neue Geschäftsmodell der Bank an, das Vorstandschef Nonnenmacher im März vorgestellt hat. Warum?
Marnette:
Sie soll in eine sogenannte Kern- und eine Abbaubank aufgespaltet werden. Letztere soll wohl so etwas wie eine Bad Bank für verlustbringende Papiere sein. Es ist aber nicht klar erklärt worden, wie diese Bankenteile aussehen sollen. Es hieß lediglich, dass die Kernbank mit einer Bilanzsumme von 110 Milliarden Euro noch etwa halb so groß sein wird wie die heutige HSH Nordbank.

Was sollte Herr Nonnenmacher Ihrer Ansicht nach erklären?
Marnette:
Beispielsweise, wie viel Eigenkapital die „neuen“ Banken brauchen, auch ihre Strukturen, was „Abbaubank“ bedeutet und welche Perspektiven sie in verschiedenen wirtschaftlichen Szenarien haben. Da wird simples Handwerkszeug nicht erledigt, obwohl man 30 Milliarden Euro an Staatsbürgschaften erhalten hat. Das macht mich, der ich als Vorstandschef eines MDAX-Unternehmens Jahre lang den Investoren Rede und Antwort stehen musste, äußerst misstrauisch. Auch der staatliche Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin hat sich kürzlich skeptisch zu Nonnenmachers Plänen geäußert. Und die EU verwehrt dem Konzept nicht grundlos bislang ihre Zustimmung.

Wie schätzen Sie die Finanzkraft der HSH Nordbank ein?
Marnette:
Die Kernkapitalquote – grob gesagt der Anteil der durch Eigenmittel gedeckten Aktiva, insbesondere der Kredite – liegt heute dank der Staatshilfen bei acht Prozent. Der SoFFin verlangt mindestens sieben. Dorthin wird die Quote laut Nonnenmacher bis 2011 fallen. Sollte ein „Stressfall“ eintreten, der nur vage definiert ist, aber noch tiefer. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage muss man befürchten, dass die Kernkapitalquote schon 2010 unter sieben Prozent fällt. Das wäre gefährlich wenig.

Mit welchen Konsequenzen?
Marnette:
Dass neues Eigenkapital nachgeschossen werden müsste. Da dies wohl weder die beteiligten Sparkassen noch der private Großaktionär, US-Investor Christopher Flowers, mittragen würden, müssten die Länder Schleswig-Holstein und Hamburg sämtliche Milliarden aus dem Steuersäckel nehmen.

Auf der kommenden Seite erfahren Sie, warum die Regierungen von Schleswig-Holstein und der Hansestadt Hamburg die Rettung der HSH-Nordbank laut Marnette zu spät angegangen sind.

Die HSH Nordbank ist laut Regierung systemrelevant. Was bedeutet das genau?
Marnette:
Ich kenne keine saubere Definition dafür. Fakt ist, dass die Risiken der HSH für Schleswig-Holstein und Hamburg viel größer sind als etwa die Risiken der ebenfalls schlingernden WestLB für Nordrhein-Westfalen oder der BayernLB für Bayern.

Haben Sie diese Meinung als Wirtschaftsminister auch schon vertreten?
Marnette:
Mehrfach und sehr deutlich. Ich habe bereits im Herbst 2008 ausgesprochen, was andere Politiker nicht wahrhaben wollten und das Bankmanagement nur häppchenweise zugegeben hat: dass die Bank existenzielle Probleme hat. Der Vorstand musste schon im Oktober 2008 Liquiditätskennzahlen an die Finanzaufsicht BaFin melden, was die Manager zunächst auch verheimlicht haben.

Hätte es alternative Lösungen für die HSH Nordbank gegeben?
Marnette:
Ich hatte gleich nach dem Erlass des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes durch die Bundesregierung im Oktober 2008 vorgeschlagen, die Bank sofort unter die Aufsicht des SoFFin zu stellen. Aber das wurde von Schleswig-Holsteins Finanzminister Rainer Wiegard und Hamburgs Finanzsenator Wolfgang Peiner, die auf der politischen Ebene für die HSH Nordbank zuständig waren, abgelehnt.

Warum?
Marnette:
Weil sie beispielsweise fürchteten, an Einfluss zu verlieren und keine Dividenden mehr von der Bank zu bekommen, mit denen sie Haushaltslöcher stopfen könnten. Die haben tatsächlich noch von Gewinnausschüttungen geträumt, obwohl offensichtlich war, dass die Bank auf Jahre hinaus Probleme haben würde.

Im September ging die Zuständigkeit für die Bank im Kieler Landeskabinett von Finanzminister Rainer Wiegard auf den neuen CDU-Wirtschaftsminister Jost de Jager über. Was halten Sie davon?
Marnette:
Ich schätze Jost de Jager als exzellenten Politiker. Aber die Zuständigkeit für die HSH gehört zum Finanzminister. In allen anderen Bundesländern und beim Bund kümmert sich auch der Finanzminister um das Vermögen des Landes.

Warum nicht mehr in Kiel?
Marnette:
Nun hat wohl auch Ministerpräsident Peter Harry Carstensen erkannt, dass sein Finanzminister nicht in der Lage ist, Landesvermögen gut zu verwalten. Angesichts dieser katastrophalen Botschaft ist es unverantwortlich, Herrn Wiegard trotzdem im Amt zu belassen. Zumal er das Parlament und das Ministerkabinett über die HSH nachweislich falsch informiert hat.

Sie forderten schon als Minister mehr fachliche Expertise, um die Bank zu retten. Ende Juli hat Carstensen den ehemaligen Deutsche-Bank-Chef Hilmar Kopper als Aufsichtsratschef zur HSH gelotst. Ein guter Anfang?
Marnette:
Ich habe die Personalie zunächst begrüßt, weil ich meine, dass Herr Kopper die nötige Erfahrung haben muss, um geordnete Strukturen in die Bank zu bringen. Allerdings ist seine Bilanz bislang ernüchternd.

Wie kommen Sie darauf?
Marnette:
Wenn ich sehe, wie unkritisch sich Herr Kopper vor Vorstandschef Nonnenmacher stellt, der ja als früherer Finanz- und Risikovorstand mit dafür verantwortlich war, dass die Bank außer Kontrolle geriet, kann ich nur den Kopf schütteln. Kürzlich ließ Kopper ihn sogar zur Presse sagen, dass man doch bitte nicht mehr über die Vergangenheit reden, sondern in die Zukunft blicken solle.

Ja und? Die ist in der Tat entscheidend.
Marnette:
Man muss natürlich auch nach vorn schauen. Aber wenn Deutschland noch ein Rechtsstaat ist, dürfen die teuren Fehlleistungen bei der HSH nicht mit diesem billigen Trick vergessen gemacht werden.

Immerhin hat der viel kritisierte Ex-Finanzsenator Hamburgs, Wolfgang Peiner, den Chefposten im HSH-Aufsichtsrat für Deutschbanker Kopper geräumt.
Marnette:
Nicht nur Peiner hat sich im Juli verabschiedet, sondern auch Aufsichtsrat Hans Heinrich Driftmann, der trotz seines Versagens zum Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags aufgestiegen ist. Auch Rainer Wiegard und andere haben Tschüss gesagt. Da haben sich Verantwortliche für Misswirtschaft schlicht vom Acker gemacht! Und heute prügelt man allein auf dem armen Nonnenmacher ein. Der ist jetzt ganz allein der böse Bub.

Den Sie ja wohl auch am liebsten aus der Bank geworfen hätten.
Marnette:
Ich habe vor seiner Ernennung zum Vorstandschef im vorigen Jahr eine Maßgabe ins Kabinett gegeben, wonach ich nur zustimme, wenn er erklärt, dass er weder an negativen Geschäften der Bank beteiligt war, noch davon Kenntnis hatte. Diese Maßgabe ist mir von Finanzminister Wiegard mir im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren gehauen worden. Dabei war Nonnemacher ein Teil des ruinösen Systems dieser Bank.

Er tut Ihnen doch nicht plötzlich leid?
Marnette:
Ich schätze den Mann weiß Gott nicht. Aber es gibt eine Gesamtverantwortung von Vorstand und dem Aufsichtsrat, der laut KPMG von den riskanten Geschäften gewusst hat. Man darf die anderen Verantwortlichen nicht so leicht davonkommen lassen.

Hilmar Kopper hat Ihnen kürzlich mangelnde Fachkenntnis, üble Nachrede, Besserwisserei und verletzte Eitelkeit vorgeworfen. Ganz ehrlich: Ist da was dran?
Marnette:
Herr Kopper hat dies in einem Interview geäußert, das sonntags erschienen ist. Am Montag drauf kam die Meldung, dass die HSH 45 Millionen US-Dollar an die US-Bank Goldman Sachs gezahlt hat, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. Allein diese neue Hiobsbotschaft ist ein aussagekräftiger Kontrapunkt zu Kopper. Da sich meine Befürchtungen schon öfter bestätigt haben, kann ich mit den Beschimpfungen gut leben.

Die deutschen Privatbanken wären die Konkurrenz der Landesbanken und Sparkassen am liebsten los. Welches Interesse sollte der langjährige Deutsche-Bank-Boss an einer Rettung der HSH Nordbank haben?
Marnette:
Ich weiß es nicht. Es ist nicht auszuschließen, dass strategische Interessen der Deutschen Bank dahinterstecken. Dies wäre gut, wenn das die Rettung der HSH bezwecken würde. Man sollte aber aufpassen, dass die Deutsche Bank sich nicht nur die Rosinen aus dem HSH-Portfolio herauspickt und die Steuerzahler auf dem Müll dieser Bank sitzen bleiben.

Auf der letzten Seite erfahren Sie, warum sich der ehemalige Topmanager Marnette in die Politik gewagt hat und wie er seine kurze Karriere dort heute empfindet.

Warum sind Sie eigentlich nach Ihrer erfolgreichen Managerkarriere in die Politik gegangen?
Marnette:
Es hat mich gereizt, die Politik von innen heraus kennen zu lernen und mitzugestalten. Ich hätte mein Ministeramt wirklich gern länger behalten. Aber auch wenn die HSH Nordbank nicht in mein Ressort gehörte, hat die Landesregierung doch eine Gesamtverantwortung für sie. Doch weil unter Ministerpräsident Carstensen Proporz mehr als Leistung zählt, bin ich wieder ausgestiegen.

Was denken Sie heute, wenn Regierungspolitiker wettern, die „Milliardenvernichter“ in den Banken sollten zur Rechenschaft gezogen werden?
Marnette:
Das es nicht von ungefähr kommt, wenn immer mehr Bürgerinnen und Bürger meinen, dass „die da oben“ machen können, was sie wollen. Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn sich Misstrauen, Unzufriedenheit und Politikverdrossenheit breit machen, weil sich die Bürger ohnmächtig fühlen.

Hat Sie Ihre Ohnmacht in der Kieler Landesregierung verbittert?
Marnette:
Nein. Aber sie belastet mich. Das motiviert mich allerdings, mit meiner Kritik nicht locker zu lassen.

Schon als sie noch Vorstandschef waren, wurden Sie als polarisierend, undiplomatisch und manchmal ungestüm beschrieben. Haben diese Wesenszüge Ihr politisches Scheitern begünstigt?
Marnette:
Nochmals: Ich habe jahrelang erfolgreich ein Unternehmen geführt. Und nur mit den von Ihnen genannten Attributen funktioniert das nicht. Es stimmt, dass ich meine Überzeugungen äußere und auch für sie kämpfe. Ich streite aber nie um des Streites willen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte €uro-Redakteur Mario Müller-Dofel.