KONJUNKTUR IM BLICK/Halb blind zwischen Scylla und Charybdis
Von Hans Bentzien
DOW JONES--Der Offenmarktausschuss der US-Notenbank (FOMC) dürfte am Mittwoch eine Senkung des Leitzinses um 25 Basispunkte beschließen, obwohl es gegen einen solchen Schritt ebenso gute Argumente gibt wie dafür. Sorgen wegen einer nach wie vor viel zu hohen Inflation stehen Sorgen wegen eines sich abschwächenden Arbeitsmarkts gegenüber, wobei sich die Fed wegen fehlender Preis- und Arbeitsmarktdaten halb blind zwischen Scylla (Verfestigung der hohen Inflation) und Charybdis (Unnötige Schwächung des Arbeitsmarkts) bewegt. Über allem schwebt der ungute Verdacht, dass Befürworter wie Gegner bei ihrer Entscheidung zumindest teilweise von ihrer Haltung gegenüber US-Präsident Donald Trump beeinflusst sein werden.
Arbeitsmarkt- und Preisdaten lückenhaft und widersprüchlich
Das FOMC trifft seine Entscheidung auf Basis ungewöhnlich weniger Daten: Der letzte Arbeitsmarktbericht war der für September. Er zeigte ein unerwartet starkes Beschäftigungswachstum, allerdings auf Basis deutlich nach unten revidierter Vormonatswerte. Die Arbeitslosenquote blieb konstant. Die seither veröffentlichten Daten von ADP aus dem Privatsektor zeigten schwächere Beschäftigungszuwächse oder sogar -rückgänge. Andererseits war die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe niedriger als erwartet, und die Beschäftigungskomponente des ISM-Index für den Dienstleistungssektor stieg. Der nächste Arbeitsmarktbericht wird erst am 16. Dezember veröffentlicht.
Die Daten zur Inflationsentwicklung sind ebenfalls älter und widersprüchlich. So stiegen die Verbraucherpreise im September mit einer Jahresrate von 3,0 (August: 2,9) Prozent, wobei die Prognose sogar auf 3,1 Prozent gelautet hatte. Die Kernteuerung ging auf 3,0 (3,1) Prozent zurück. Der nächste Verbraucherpreisbericht kommt am 18. Dezember. Der Preisindex der privaten Konsumausgaben (PCE-Deflator) stieg im September mit einer Jahresrate von 2,8 (August: 2,7) und der Kern-PCE-Deflator um 2,8 (2,9) Prozent. Die Komponente der bezahlten Preise im Service-ISM sank im November auf 65,4 (Oktober: 70,0) Punkte.
Fed-Kommunikation zeigt starke Meinungsverschiedenheiten
Aussagen von Fed-Offiziellen zeigen das Bild eines tief gespaltenen Gremiums, so dass die Position von Fed-Chairman Jerome Powell dieses Mal noch wichtiger als sonst sein könnte. Powell, der quasi unter dem Dauerfeuer Trumps liegt, ist in letzter Zeit in Deckung geblieben. In seinen jüngsten Reden hat er sich nicht zur aktuellen Geldpolitik geäußert. Klar ist, dass seine Sorge vor allem dem Arbeitsmarkt gilt, was für eine Zinssenkung sprechen könnte. Andererseits hatte Powell nach der jüngsten Zinsentscheidung gesagt, dass eine Senkung im Dezember alles andere als ausgemacht sei.
Dass die Märkte trotzdem auf eine Zinssenkung setzen, hat auch mit der Wortmeldung des Präsidenten der New York Fed, John Williams, zu tun, dem eine Nähe zu Powell nachgesagt wird. Dieser hatte kürzlich angedeutet, dass er Spielraum für eine Zinssenkung in naher Zukunft sehe. Die Fed gibt ihre Zinsentscheidung am Mittwoch (20.00 Uhr) bekannt. Um 20.30 Uhr beginnt die Pressekonferenz mit Powell.
Jolts für Oktober - aber kein Arbeitsmarktbericht
Einen Tag vor der Zinsentscheidung (Dienstag, 16.00 Uhr) veröffentlicht das Bureau für Labor Statistics (BLS) Zahlen zur Entwicklung offener Stellen, Einstellungen und Kündigungen (Jolts) für Oktober. Das ist ein wenig wie ein Mittagessen ohne Hauptgang, aber mit Nachspeise. Denn wegen der zeitweisen Schließung von Regierungsbehörden (Shutdown) hat das BLS keine Zahlen zur Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit im Oktober veröffentlicht. Beobachter kennen nach der Veröffentlichung der Jolts zwar nicht das Niveau der Beschäftigung, aber erfahren wie hoch die Nachfrage nach Arbeitskräften war, und wie hoch die Neigung von Arbeitgebern und -nehmern, ein Arbeitsverhältnis zu beenden.
Schweizerische Nationalbank lässt Leitzins unverändert
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte ihren Leitzins bei null lassen. Analysten weisen darauf hin, dass zwar die Inflation zuletzt niedriger als erwartet gewesen sei, dass es aber andererseits Anzeichen dafür gebe, dass die früheren Zinssenkungen ihre Wirkung auf Kreditwachstum und Immobilienpreise entfalteten. Verwiesen wird außerdem auf Aussagen von SNB-Offiziellen, aus denen hervorgehe, dass die Hürde für eine Senkung des Zinses in den negativen Bereich recht hoch liege. Die Zinsentscheidung wird am Donnerstag (9.30 Uhr) bekannt gemacht.
Deutsche Produktion startet positiv ins vierte Quartal
Die deutsche Industrie dürfte positiv ins vierte Quartal gestartet sein. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass die Produktion im produzierenden Sektor gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent gestiegen ist, nachdem sie im dritten Quartal um 0,8 Prozent zurückgegangen war und im zweiten Quartal um 0,7 Prozent. Der Umsatz im verarbeitenden Gewerbe stieg im Oktober gegenüber dem Vormonat um 0,3 Prozent. Das könnte ein Hinweis auf die Entwicklung der Produktion sein - allerdings nur unter der Annahme, dass sich die durch die sommerlichen Betriebsferien ausgelöste Disparität zwischen den beiden Zahlenreihen aufgelöst hat. Die Zahlen werden am Montag (8.00 Uhr) veröffentlicht.
Deutsche Exporte sinken im Oktober
Die deutschen Ausfuhren (Dienstag, 8.00 Uhr) dürften im Oktober nach dem unerwartet kräftigen Anstieg im September wieder etwas gesunken sein. Von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass sie gegenüber dem Vormonat um 0,5 Prozent gesunken sind, nachdem sie im September um 1,4 Prozent angezogen hatten. Für die Importe wird ein Minus von 1,5 Prozent erwartet.
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December 05, 2025 10:17 ET (15:17 GMT)