Mit Tempo auf den OP-Tisch
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Ulrich Kirstein mit der Presseschau
Eine kurze Woche, zumindest für viele Beschäftigte - nicht jedoch für die Börsen, denn gehandelt wird auch am Tag der Deutschen Einheit. In den USA herrscht Stillstand, der sogenannte Shutdown ist eingetreten, weil sich Regierung und Opposition nicht auf einen Haushalt einigen konnten. Es mag für den einen ein Traum sein, wenn manche Dienstleistungen nicht mehr vorgenommen werden (Finanzamt), für viele ist es eher ein Alptraum, wenn kein Gehalt überwiesen wird. Stillstand gab es auch in München, auf der Wiesn, aber zum Glück ist dort weiter nichts passiert.
Tempo, Tempo
Dass die deutsche Wirtschaft kriselt, dazu reicht ein kurzer Blick auf die Titelseiten: "Lufthansa streicht Tausende Jobs", verkündet die Süddeutsche Zeitung und Die Welt weiß es noch genauer: "Lufthansa plant Abbau von 4000 Arbeitsplätzen". Das kommentiert sie auch noch mit: "Warum Deutschlands Herz blutet". Vielleicht weil unsere Geldbeutel langsam aber sicher ausbluten und der "Herbst der Reformen" da wenig gegensteuern wird, eher im Gegenteil? Aber immerhin, alles soll schneller gehen, vor allem das Geldausgeben seitens der Regierung, wenn wir Lars Klingbeil laut der Süddeutschen Zeitung Glauben schenken wollen, "ein anderes Tempo soll in dieses Land", so das Zitat - und das, wo hierzulande gerne über Tempolimits philosophiert wird. Leider ist nicht alles, das nach oben zeigt, auch positiv zu bewerten: "Deutsche Inflationsrate steigt im September", so das Handelsblatt.
Qualitätswerte am Tropf
Die Finanzmagazine mussten sich wegen des Feiertages beeilen und ihren Erscheinungstag vorverlegen. Wegen uns haben sie es wahrscheinlich eher nicht getan, trotzdem besten Dank dafür! Irgendwie sind sie aber dieses Mal sehr zahlengetrieben: 10, 100, 900, lesen wir in großen Zahlen auf den Titelbildern. Fangen wir klein an. Börse Online macht mit "Die 10 günstigsten Aktien Deutschlands" auf, die "so preiswert (sind), dass sie steigen müssen". Dieses Axiom kommt öfter zur Sprache, scheint uns mathematisch und auch börsenstatistisch aber nicht beweisbar zu sein. Manche Aktien sind und bleiben auf der Verliererseite, so fürchten wir. Weshalb Börse Online aber auch insistiert: "Qualitätswerte zum Schnäppchenpreis". "100%" bringt Der Aktionär auf den Titel, denn mittels einem "Exklusiven Screening" kommt er zu dem Schluss, dass "diese 5 Aktien im vierten Quartal Vollgas geben". Womit wir wieder beim Tempo wären. Eins drauf setzt Focus Money, bietet die Redaktion uns doch eine "Chance 900%. Diese Aktien können sich verzehnfachen". Auf die OP-Liege legt die WirtschaftsWoche einen Automotor, der am Benzintropf hängt: "Ist der Verbrenner noch zu retten?", wird gefragt. "Das Elektroauto ist die Zukunft", heißt es weiter, aber "trotzdem sollten wir Benziner und Diesel noch lange nicht abschreiben". Totgeweihte leben bekanntlich länger.
Am Schreibtisch
Wundern sie sich nicht, wenn sie künftig ins Chefbüro gerufen werden und sich dort kein Mensch hinter den Schreibtisch zwängt, sondern eine Künstliche Intelligenz, in welcher Form auch immer. Der Smalltalk zu Beginn übers Wetter oder den jüngsten Firmenausflug erübrigt sich, da geht es dann gleich zur Sache und die Ratschläge der KI sind unübertroffen. Zumindest suggerieren das die CEOs selbst, denn laut einer Umfrage von 504 unter ihnen geben 94 Prozent an, dass eine KI gleich gute oder bessere Ratschläge in Geschäftsfragen geben kann als Menschen. Zwei Drittel fürchten, dass ihr Unternehmen sie vor die Türe setzt, wenn sie nicht messbare, KI-getriebene Erfolge erzielen. Aufgeklärt hat uns darüber das Manager Magazin: "Benötigen wir noch Menschen im Vorstand?". Stellt sich nicht zuletzt die Frage, wie die Frauenquote von der KI erreicht wird…
Am Spieß
Ja, auch der bayerische Ministerpräsident mag es und lässt sich zum Beweis damit gerne fotografieren. Bekanntlich wurde sogar die Marke "Söder Kebab" offiziell beim Marken- und Patentamt angemeldet. Dass das Versprechen "Döner macht schöner" nicht immer zutrifft, war uns allerdings schon vorher bekannt. Nun hat sich der Münchner Merkur endlich einmal damit befasst, was alles überhaupt Döner heißen darf, Söder hin oder her. Immerhin isst mehr als ein Drittel aller Deutschen mindestens einen Döner pro Monat. Aber ist das Ding überhaupt ein solcher, in das wir beißen, darf es auch so heißen? Auf jeden Fall darf der Hackfleischanteil nicht mehr als 60 Prozent des Fleisches ausmachen, sonst ist es ein Hackfleisch-Drehspieß, der unserer Erfahrung aber nirgends unter diesem Wortungetüm angeboten wird. Wer nur zum "Drehspieß" greift, dem wird darin alles Mögliche dargeboten, von dem er lieber nicht ganz genau wissen will, was es ist, das er isst. Dennoch, einen Guten Appetit für alle Döner-Fans.
Ulrich Kirstein ist Pressesprecher der Börse gettex. Der Betriebswirt und Kunsthistoriker schreibt über Literatur und Börse, interviewt alle 14 Tage in Börse am Donnerstag den Leiter Marktsteuerung und hat u.a. mit Christine Bortenlänger Börse für Dummies und Aktien für Dummies verfasst.