„One Big Beautiful Bill“ - US-Gesetzentwurf mit transatlantischem Sprengstoff

12.06.25 13:17 Uhr

Er ist da, „der eine“, „der große“, „der wunder­schöne“ Steuer­reform­vorschlag, den Donald Trump den Ameri­kanern ver­sprochen hatte. In seinem LAIQON Research Spot­light erläutert Axel Brosey, Senior Fund Manager Aktien der LAIQON-Gruppe das Gesetzes­paket und seine Folgen insbe­sondere für aus­ländische und deutsche Investoren. Sein Fazit ist eindeutig: Das steuer­liche und politische Risiko würde sich für aus­ländische Investoren massiv erhöhen, wenn dieses Gesetzes­vorhaben in seiner jetzigen Form Realität werden würde.

„One Big Beautiful Bill“ – Darum geht es
Der „One Big Beautiful Bill“ (BBB) ist ein gigantisches Gesetzespaket der US-Regierung, das Steuererleichterungen insbesondere für die Mittelschicht und Wohlhabende mit tiefgreifenden Einschnitten im Sozialbereich verknüpft. Gleichzeitig sieht es hohe Verteidigungs- und Grenzausgaben, sowie Einschnitte von Umwelt- und Energieanreizen aus dem Inflation Reduction Act und die Einführung einer Vergeltungssteuer auf ausländische Investitionen in den USA, die sogenannte Sektion 899, vor. Schließlich soll es ein Verbot staatlicher Regulierung Künstlicher Intelligenz beinhalten. Der BBB ist stark umstritten, sowohl politisch als auch haushaltspolitisch. Der aktuelle Plan des US-Senats sieht vor, den „One Big Beautiful Bill“ noch vor dem 4. Juli 2025, also dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, zu verabschieden.

Der „One Big Beautiful Bill“ enthält mehrere höchst kritische Aspekte, die nicht nur politische Spannungen verschärfen, sondern auch langfristige gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben könnten. Besonders umstritten sind die geplanten Kürzungen im Sozialbereich. Millionen Menschen könnten ihre Gesundheitsversorgung („Medicaid“) oder Unterstützung für Nahrungsmittel („SNAP“) verlieren, was soziale Ungleichheit verstärken und gesundheitliche Folgekosten erhöhen würde. Ebenso umstritten ist die weitreichende Ausweitung der Steuererleichterungen, insbesondere für Wohlhabende, während gleichzeitig die Staatsverschuldung massiv ansteigen würde.

Die vorgesehene Rücknahme von Umwelt- und Energieanreizen aus dem Inflation Reduction Act steht im Widerspruch zu globalen Klimazielen und gefährdet Investitionen in nachhaltige Technologien. Auch die mögliche Einführung einer Vergeltungssteuer auf ausländische Investitionen in den USA, gemäß Sektion 899, birgt erhebliche Risiken für internationale Handelsbeziehungen und könnte Gegenmaßnahmen sowie Kapitalabzug provozieren. Die geplanten hohen Verteidigungs- und Grenzausgaben wiederum gehen zu Lasten anderer Budgetbereiche und verschieben die Prioritäten deutlich in Richtung Abschottung und Militarisierung.

Schließlich versucht das Gesetz durch ein zehnjähriges Moratorium für staatliche Regulierung im Bereich der Künstlichen Intelligenz die Möglichkeiten, auf technologische Risiken flexibel und zeitnah zu reagieren, zu beschränken. Dies erscheint in diesem sehr dynamischen Bereich wie Künstlicher Intelligenz wenig verantwortlich. 

Insgesamt ergibt sich ein Bild eines Gesetzesentwurfes, das kurzfristige steuerliche Entlastungen für einzelne Gruppen durch langfristige strukturelle Risiken und soziale Einschnitte erkauft. 

Der Entwurf ist daher politisch höchst umstritten. Während konservative Republikaner tiefere Einschnitte fordern, kritisieren moderate Stimmen die sozialen Folgen. Demokraten versuchen, Teile des Gesetzes über das Haushaltsabstimmungsverfahren (Reconciliation-Verfahren) zu blockieren. Der Gesetzesentwurf könnte, wenn er dann so umgesetzt wird, nach Schätzungen das US-Defizit in den nächsten zehn Jahren um bis zu 3 Billionen Dollar erhöhen.

Was bedeutet BBB aus deutscher Sicht?
Wenn der „One Big Beautiful Bill“ in seiner derzeitigen Form verabschiedet wird, sind für deutsche Unternehmen und Investoren mit US-Aktivitäten sowie für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt erhebliche Nachteile zu erwarten. Besonders gravierend würden sich dabei die Regelungen in Sektion 899 auswirken, die gezielt ausländische Unternehmen und Investoren aus sogenannten „diskriminierenden ausländischen Staaten“, darunter fällt voraussichtlich die gesamte EU und somit auch Deutschland, steuerlich benachteiligen.

1. Folgen für deutsche Unternehmen 
Nehmen wir den Fall eines deutschen Konzerns wie beispielsweise BMW mit Produktions- und Vertriebsstandorten in den USA. Die US-Tochtergesellschaft unterliegt dort der regulären Körperschaftsteuer von 21 % auf ihre in den USA erwirtschafteten Gewinne. Kommt Sektion 899 zur Anwendung, könnten zusätzlich erhöhte Quellensteuern auf Ausschüttungen sowie ein Zuschlag auf die sogenannte „Branch Profits Tax“ (Zweigstellengewinnsteuer) anfallen. Je nach Struktur der US-Aktivitäten kann die gesamte effektive Steuerbelastung auf in den USA erzielte Gewinne so auf bis zu 41 % steigen, insbesondere dann, wenn neben der Körperschaftsteuer auch der Zuschlag auf Gewinnausschüttungen an die ausländische Muttergesellschaft greift.

Für BMW bedeutet das: Die Rentabilität der US-Geschäfte würde deutlich sinken. Reinvestitionen in Werke, Forschungseinrichtungen oder neue Modelle würden unattraktiver, auch deshalb, weil die steuerliche Planbarkeit verloren ginge. Verschiebungen oder das vollständige Streichen von Investitionsprojekten wären die mögliche Folge. Über die enge Verflechtung mit deutschen Zulieferern und Produktionsstätten hätte das auch Rückwirkungen auf Jobs, Innovationszyklen und Produktionskapazitäten in Deutschland selbst.

2. Folgen für deutsche Anleger
Auch für deutsche Anleger, etwa institutionelle Investoren oder Pensionsfonds, hätte Sektion 899 schwerwiegende Folgen. Erträge aus US-Aktien, wie Dividenden oder Zinsen, unterliegen derzeit reduzierten Quellensteuersätzen von 0 % bei Zinsen bis 15 % bei Dividenden (Besonders relevant für den Autor), geregelt im Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und den USA. Sektion 899 sieht jedoch vor, diese Erträge mit einem zusätzlichen Steuerzuschlag von bis zu 20 % zu belegen.

Ein deutscher Fonds, der z. B. Dividenden von Microsoft erhält, könnte künftig statt 15 % bis zu 35 % oder mehr an Quellensteuer abführen. Bei Zinseinnahmen würde aus einer bisherigen Steuerlast von 0 % ein Satz von bis zu 20 %. Für den Anleger bedeutet das eine deutlich reduzierte Nettorendite, wodurch US-Wertpapiere im internationalen Vergleich an Attraktivität verlieren würden. Das wiederum kann zu Kapitalumschichtungen führen, etwa hin zu europäischen Anlagen.

Gesamtwirtschaftliche Folgen
Die Auswirkungen wären nicht nur finanzieller Natur. Mit einem Rückgang der Direktinvestitionen deutscher Unternehmen in den USA und einem potenziellen Kapitalabzug institutioneller Investoren drohen Wachstumsverluste auf beiden Seiten des Atlantiks. Handelskonflikte sind ebenfalls wahrscheinlich: Sollte Deutschland von Washington offiziell als „diskriminierender ausländischer Staat“ eingestuft werden, könnten zusätzliche Zölle, Exportbeschränkungen oder die Einschränkung bilateraler Wirtschaftsprogramme folgen. Das würde deutsche Exporte verteuern und ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber US-Konkurrenten verschlechtern.

Langfristig könnten sich deutsche Konzerne gezwungen sehen, ihre internationale Standort- und Steuerstrategie neu auszurichten. Regionen mit stabileren steuerlichen Rahmenbedingungen – etwa Kanada, Mexiko oder Südostasien – könnten verstärkt in den Fokus rücken. Damit verbunden wären ein Verlust von Steuereinnahmen in Deutschland, eine Schwächung industrieller Wertschöpfungsketten und eine Abwanderung von Know-how.

In Summe würde das BBB in seiner aktuellen Fassung zu deutlich höheren Steuerkosten für deutsche Unternehmen führen, den Investitionsanreiz in den USA reduzieren und die wirtschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und den USA durch neue Spannungen belasten, mit negativen Effekten für Wachstum, Beschäftigung und Innovation in Deutschland.

Was ist die Motivation aus US-Sicht?
Die Motivation der USA für Sektion 899 im „One Big Beautiful Bill“ ist in erster Linie geopolitisch und steuerstrategisch begründet. Im Kern handelt es sich um eine Vergeltungsmaßnahme gegen Länder, die digitale Dienstleistungssteuern oder die globale Mindestbesteuerung eingeführt haben oder unterstützen. Diese Steuerinitiativen treffen vor allem große US-Technologieunternehmen wie Google, Amazon oder Meta. Sektion 899 soll aus Sicht der USA ein klares Signal setzen: Wer amerikanische Firmen steuerlich benachteiligt, muss selbst mit steuerlichen Nachteilen bei US-Investitionen rechnen.

Ein weiteres zentrales Ziel ist der Schutz des US-Kapitalmarkts. Durch zusätzliche Steuerbelastungen auf Kapitalzuflüsse aus „diskriminierenden Ländern“ sollen ausländische Investoren abgeschreckt und gleichzeitig amerikanische Firmen gestärkt werden. Kapital soll in den USA bleiben oder dorthin zurückkehren, ganz im Sinne der wirtschaftspolitischen Priorität „America First“.

Zugleich versteht sich Sektion 899 auch als Antwort auf internationale Steuerabkommen, die in konservativen US-Kreisen als Einmischung in nationale Souveränität gewertet werden. Anstatt multilaterale Regeln wie die OECD-Mindeststeuer mitzutragen, geht Washington mit einer nationalen, einseitigen Maßnahme voran. Damit wird die eigene Steuerpolitik bewusst vom globalen Konsens abgekoppelt.

Nicht zuletzt ist Sektion 899 auch ein taktisches Druckmittel. Die US-Regierung will andere Staaten dazu bewegen, ihre Digitalsteuern auszusetzen oder abzumildern – andernfalls droht ihnen die Einstufung als steuerlich diskriminierender ausländischer Staat mit massiven steuerlichen Folgen.

Auf innenpolitischer Ebene bedient Sektion 899 das Bedürfnis nach wirtschaftlicher Selbstbehauptung. Sie kommt gut an bei einer Wählerbasis, die mit internationaler Regulierung wenig anfangen kann und klare Gegenmaßnahmen gegen als unfair empfundene Praktiken fordert. Letztlich ist Sektion 899 ein wirtschaftspolitisches Machtinstrument mit erheblichen internationalen Nebenwirkungen, aber aus US-Sicht eine bewusste Verteidigung nationaler Interessen.

Fazit:
Wir glauben, dass letztlich Sektion 899 ein mächtiges machtpolitisches Instrument ist, um die gesamten außenpolitischen Verhandlungen in Richtung US-Interessen zu beeinflussen. Auch wenn es ein „Tail-Risiko“ darstellt, ist es aus unserer Sicht unwahrscheinlich, dass es in der Praxis Anwendung finden wird bzw. dass das Gesetz in seiner jetzigen Form überhaupt durch den US-Senat geht. Da die Folgen und negativen Rückkopplungseffekte einfach zu groß sind.

Finanziell betrachtet hätte Sektion 899 drei zentrale Auswirkungen. Erstens würde die Einführung zusätzlicher Steuerzuschläge ausländische Investoren aus sogenannten diskriminierenden Staaten direkt treffen und die Nettorenditen auf US-Investitionen deutlich verringern. Dadurch entstünde ein klarer Anreiz, Kapital aus den USA abzuziehen oder geplante Investitionen in andere Länder zu verlagern. In der Folge würde der US-Finanzmarkt an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Zweitens hätte ein Rückgang ausländischer Kapitalzuflüsse unmittelbare Auswirkungen auf die Nachfrage nach US-Staatsanleihen. Die Refinanzierung des US-Haushalts würde erschwert, während gleichzeitig der US-Dollar unter Abwertungsdruck geraten könnte, da sich die Kapitalbilanz der Vereinigten Staaten verschlechtert. Drittens würde die regelmäßig neu festgelegte Länderliste ein dauerhaftes steuerliches und politisches Risiko für ausländische Anleger darstellen. Dieses Unsicherheitsmoment würde sich in Form höherer Risikoprämien niederschlagen und die Finanzierungskosten für die USA insgesamt weiter erhöhen.

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