Jahresendrally um Autopolicen
Noch entscheidet die Prämienhöhe in der Kfz-Versicherung über den Wechsel. Was Versicherte jetzt wissen müssen. Mit exklusiven Vergleichstabellen von Euro am Sonntag.
von Erhard Drengemann
"Versichern heißt verstehen“, tönt in diesen Tagen die Radiowerbung der Ergo-Versicherungsgruppe. Auch in der Plakatwerbung setzt die aus Victoria, DKV, Karstadt-Quelle und Hamburg-Mannheimer hervorgegangene Versicherungsgesellschaft positive Vokabeln wie Transparenz und Leistung ein. Ein Versprechen, das im Autoversicherungs-Leistungsvergleich von €uro am Sonntag den Realitätstest bestehen musste.
Rund 240 Tarife wetteiferten um die beste €uro-am-Sonntag-Versicherungsnote. Das Ergebnis zeigt: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft oft eine große Lücke – eine Folge des knallharten Wettbewerbs der für Versicherer wichtigen Autosparte, der in den vergangenen Jahren geprägt wurde von einer Atomisierung der Tariflandschaft. Boten noch vor Jahren die meisten Versicherer nur eine Tariflinie an, so sind es heute in der Regel drei: Erstens die Basistarife für Versicherte, bei denen der Preis im Vordergrund steht. Zweitens die Normaltarife, die dem früheren Standardangebot entsprechen. Und drittens die Leistungstarife für Kunden, die möglichst alle Risiken im Zusammenhang mit dem Auto abgesichert wissen wollen.
Im Überblick: Der Durchschnittsfahrer mit 100 Prozent Beitragssatz (PDF)
Wer bis zum wichtigen Stichtag, dem 30. November, den Anbieter wechseln will, muss zudem wissen: Die Assekuranzen bieten in der Regel weitere Optionen an, die den Versicherungsschutz erweitern, aber auch einschränken können. Zur letzten Kategorie zählt vor allem die sogenannte Werkstattbindung. Wer dieses Merkmal wählt und damit rund 15 Prozent Prämie spart, muss im Schadenfall die Werkstattvorgabe des Versicherers nutzen. Ein Angebot, das – so eine Untersuchung des Instituts für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF) – von jedem dritten Autofahrer genutzt wird. Nicht unbedingt ein Manko. Im Gegenteil. Martina Westholt, Sprecherin der VHV-Versicherungsgruppe: „82 Prozent der Kfz-Versicherten sind mit der Reparatur in Partnerwerkstätten zufrieden.“
Das Geld, das Versicherte durch die Wahl eines Werkstattbindungstarifs einsparen, kann auf der anderen Seite leicht durch die Wahl von Zusatzleistungen wieder ausgegeben werden. Die Liste möglicher Begehrlichkeiten ist verführerisch. So kostet die Ausübung der Option „Rabattschutz“, bei der die erreichte Schadenfreiheitsklasse auch nach einem verschuldeten Unfall ohne finanzielle Auswirkungen auf die Folgeprämie bleibt, für einen Musterfall bei der HUK24 beispielsweise einen Prämienzuschlag von immerhin 12,5 Prozent. Auch sonst können sich Autoversicherungskunden aus dem modularen Produktangebot ihre Deckungswünsche nach Gusto und Geldbörse zusammenstellen.
Im Überblick: Der langjährig schadenfrei Fahrer (PDF)
Neben den Wünschen des Versicherten spielen die harten Fakten der Versicherungsmathematik eine wesentliche Rolle bei der Preisgestaltung. Differenzierungen bei der Kalkulation der Tarife bleiben dem Versicherten zwar verborgen, können sich jedoch entscheidend auf die Prämie auswirken. Dazu gehören beispielsweise unterschiedliche Staffeln bei der Bewertung des Alters des Fahrzeugs und bei der Berücksichtigung des Alters des Fahrers. Nicht nur sehr junge Autofahrer werden dabei prämientechnisch abgestraft, sondern auch ältere: Wer beispielsweise das 50., 70. oder 75. Lebensjahr überschritten hat, muss zuzahlen wie die Altersgruppe unter 25. Auch die Einheitlichkeit bei Regional- und Schadenfreiheitsklassen ist dahin. Zwar bleibt es grundsätzlich dabei, dass die Postleitzahl des Wohnorts für die Prämienhöhe wichtig ist. Doch längst nicht alle richten sich nach gängigem Standard, sondern weichen – wie es sich beim Durchschnittsfahrer-Musterfall zeigt – ab. Dazu zählen: DA Direkt, AXA, deutsche Internet, Avetas, Hannoversche Direkt, DEVK, Nürnberger, VHV, Basler, Gothaer, LVM, Württembergische.
Im Überblick: Die junge Familie (PDF)
Auch bei der prämienrelevanten Einstufung nach schadenfreiem Fahren, der sogenannten Schadenfreiheitsklasse, gibt es viele Abweichler. €uro am Sonntag rechnet beim Musterfall Normalrisiko mit der Schadenfreiheitsklasse SF1. Das bedeutet in der Regel einen Beitragssatz von 100 Prozent der Normalprämie. Einige Anbieter weichen von der Branchenregel ab und offerieren andere Beitragssätze: Deutsche Internet (95/95), CosmosDirekt (90/90), AXA (90/90), DirectLine (100/90). Das macht die Prämie im Abschlussjahr relativ günstiger. Der Haken: In den Folgejahren wird der Beitragssatz in der Regel auf den üblichen Branchenwert angehoben. Der Kunde merkt das zu spät und ist dann an den Vertrag gebunden. Deshalb jedes Jahr rechtzeitig zum Wechseltermin eine neue Analyse machen.
Wenige Versicherer folgen dem Trend, auf die Einrede der groben Fahrlässigkeit zu verzichten. Im Klartext: Wer die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in groben Maßen verletzt, verliert den Versicherungsschutz. Das ist zum Beispiel bei Rotlichtverstößen der Fall, dem Überfahren eines Stoppschilds, dem Aufheben einer heruntergefallenen Zigarette während der Fahrt oder Fahren bei winterlicher Witterung mit ungeeigneter Bereifung.
Einige Versicherer verzichten jedoch auf den Einwand und zahlen trotz des grob fahrlässigen Verhaltens des Versicherungsnehmers im Schadensfall. Ausgenommen sind: die grob fahrlässige Ermöglichung des Diebstahls des Fahrzeugs oder seiner Teile, die Herbeiführung des Versicherungsfalls infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel.
Im Überblick: Der Fahranfänger (PDF)
Auch bei der Zusatzhaftpflicht für Mietfahrzeuge, die für Urlauber im Ausland wichtig werden kann und unter dem Begriff Mallorca-Police firmiert, klinken sich einige Unternehmen aus. Vor allem bei den billigen Basistarifen entfällt diese Deckung häufig.
Nicht nur bei Fahranfängern, sondern schon beim Otto Normalautofahrer zicken einige Versicherer und verweisen auf ihre Annahmerichtlinien. Ein Kontrahierungszwang, wie der Zwang zum Vertragsabschluss heißt, gibt es in Deutschland nur für die Autohaftpflichtversicherung – und das auch nur für gesetzliche Mindestdeckungssummen. Wer höhere Deckungssummen will und oder eine Teil- oder gar Vollkaskoabsicherung wünscht, braucht die Zustimmung des Versicherers. Die hängt bei einigen Anbietern von der Einhaltung der Annahmerichtlinien ab. Selbst bei dem Durchschnittsfahrer im €uro-am-Sonntag-Musterfall meinen folgende Gesellschaften, darauf nicht verzichten zu können: ÖSA, VGH, Westfälische Provinzial, Öffentliche Oldenburg, Chartis und BBV Bayerische Beamten Versicherung.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Rund 50 Leistungsmerkmale stellen die Experten von Nafi (www.nafi-auto.de), dem führenden unabhängigen Autoversicherungsvergleichsportal, zusammen. Die Leistungsbandbreite spiegelt sich in der Versicherungsnote wider. Dabei kamen Preise und Leistungen der Tarifanbieter auf den Prüfstand. Wegen der hohen Preissensibilität der Versicherten floss dieser mit 80 Prozent, die Leistungen mit 20 Prozent in die Gesamtbewertung ein.
Maßstab ist ein Anforderungsprofil, bei dem zwischen wichtigen, sinnvollen und unwichtigen Leistungsmerkmalen unterschieden wird. Bei der Wertung zählen zu den wichtigen Merkmalen: Möglichst hohe Deckungssummen für Personen-, Sach- und Vermögensschäden, Versicherungsschutz auch bei grober Fahrlässigkeit, Mallorca-Police, Tierbiss- und Marderschäden. Zu den sinnvollen Leistungen gehören: Rabattretter, erweiterte Wildschadenklausel und möglichst zeitlange Neuwertentschädigung. Unwichtige Optionen: Fahrerunfallversicherung, Verkehrsrechtsschutz, Schutzbrief und freie Werkstattwahl im Kaskoschadensfall.
Das Ergebnis zeigt: Der Billigste ist nicht unbedingt der Beste. Und: Die Preisspreizung zwischen dem billigsten und teuersten Tarifangebot für dasselbe Risiko ist riesig. Im Beispielfall „Durchschnittsfahrer“ beträgt diese satte 367 Prozent. In Zahlen: Die Spanne liegt zwischen 988,74 und 3630,47 Euro.
Bei einem versicherungstechnisch schlechten Risiko wie dem „Anfänger“, der in jeder Familie mit Kindern vorkommen kann, steigt die Spanne gar auf 468 Prozent. Beim billigsten Anbieter stehen 1895,44 Euro in den Tarifbüchern, der Teuerste verlangt satte 8863,50 Euro – der Gegenwert eines guten Gebrauchtwagens.
Die Ergebnisse zeigen: Vergleichen macht reicher. Beim Versicherungsschutz sollte niemand sparen, sondern bei der Prämie. Entscheidend ist das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Versicherungsnote von €uro am Sonntag hilft dabei, dass Verstehen vor Versichern kommt.