Adios Espana

Spanischer Fußball: Anfang vom Ende?

25.06.14 03:00 Uhr

Nach dem WM-Debakel befürchten viele Spanier auch einen Niedergang des Klubfußballs. Dabei wären die großen Vereine ohne Staatshilfen schon jetzt am Ende.

von Reiner Wandler, Euro am Sonntag

Es hatte fast schon etwas Prophetisches: "Die Nationalmannschaft hat sich das Recht auf einen Fehlschlag verdient", erklärte Torhüter und Mannschaftskapitän Iker Casillas, kurz bevor die WM in Brasilien begann. Und die Fehlschläge kamen. Im ersten Spiel in der Gruppe B verlor Spanien gegen Holland 1:5, im zweiten gegen Chile 0:2. WM-Aus nach zwei Gruppenspielen!

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Dabei wollte La Roja, wie die Mannschaft wegen der Farbe des Trikots genannt wird, eigentlich Geschichte schreiben. Nach zwei Europameisterschaftstiteln in Folge und einer Weltmeisterschaft träumten alle Spanier von einem zweiten WM-Sieg und damit von der "besten Nationalmannschaft aller Zeiten". "Es war schön, solange es währte", titelte die Sportzeitung "As" nach dem Chile-Spiel enttäuscht und sprach von der "Abdankung" Spa­niens, ausgerechnet am Vorabend des Wechsels auf dem Thron.

Nach dem Ausscheiden wurde aus der Elf der Sieger über Nacht wieder die der Verlierer. Eine Auswahl, die immer als Mitfavorit galt, der aber - zumindest bis zum Beginn der Siegesserie 2008 - immer im entscheidenden Augenblick irgendetwas Unvorhergesehenes passierte.

Jeder Spanier erinnert sich an Spiele weit im Osten bei eisiger Kälte, die wie 2004 gegen Litauen die WM-Qualifikation erschwerten. Alle erinnern sich an jenen nigerianischen Kullerball, den Nationalkeeper Andoni Zubizarreta 1998 mit der eigenen Hand ins Tor drückte - und die WM-Träume schon in der Vorrunde platzen ließ. Oder an den Elfmeter, den Real-Madrid-Star Raúl bei einem EM-Viertelfinale 2000 über das Tor schoss und damit die Fahrkarte nach Hause löste.

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Die unglücklichen Aktionen von Torhüter Casillas in den Spielen gegen Holland und Chile haben das Zeug, diese Liste zu bereichern. Casillas weiß dies und entschuldigte sich nach dem Ausscheiden öffentlich bei den Fans. Es half nichts. Schon am Tag nach der ersten bitteren Niederlage gegen Holland verschwand so manche Spanienfahne aus dem Stadtbild Madrids.

Doch auch das passt ins Bild. Denn so merkwürdig es klingen mag: Die Spanier leben eigentlich besser mit einer Nationalmannschaft, die es zu nichts bringt. Ihnen liegt dieser Fatalismus und dieses tragische Gefühl, wenn es um ihr Land geht. Vor allem hält so mancher nichts von übertriebenem Nationalstolz. Denn die Spanier sind in allererster Linie ihrer Region und ihrem lokalen Klub verpflichtet, und zwar nicht nur dort, wo Unabhängigkeitsbestrebungen dies vermuten lassen.

Die Nationalmannschaft wird von vielen Spaniern durch die Brille des eigenen Klubs gesehen. Das sorgt nicht immer für Sympathie. Es sind die beiden großen Vereine, Real Madrid und FC Barcelona, die alles dominieren. Das schnelle Aus in Brasilien wurde deshalb als das interpretiert, was es womöglich auch ist: das Ende einer Epoche, auch in der Liga. Dort sorgte diese Saison ein "armer" Klub für Furore: Atlético de Ma­drid der sich keine Superstars a là Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo leisten kann, gewann die Meisterschaft. "Sí se puede!" - "Ja, man kann", war bei der Siegesfeier zu hören. Ein Satz, der auch bei den Demonstrationen gegen die Sparpolitik der Regierung gerufen wird und der alles andere ist als das geklaute Motto Barack Obamas. Im Gegenteil: Der US-Präsident hatte den Wahlslogan von 2008 selbst geborgt von den Latino-Landarbeitergewerkschaften der USA.

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Das Motto zeugt von einem tiefen Gefühl des Misstrauens gegenüber allem Etablierten. Spanien 2014 ist das Land der Empörten. Nirgendwo sonst in Europa gehen die Menschen so viel auf die Straße wie in Spanien. Nichts ist mehr heilig. Die beiden großen Parteien verlieren Stimmen, selbst die Monarchie steht in der Kritik. Und auch die Nationalmannschaft kann sich vor diesem rebel­lischen Zeitgeist nicht retten.

In den Wochen vor der WM ging es nicht um Aufstellung und Taktik. Es ging um die Siegesprämie, sollte "La Roja" den Weltmeistertitel verteidigen können. Mit 720.000 Euro pro Spieler wäre sie doppelt so hoch ausgefallen wie in anderen, wesentlich reicheren Fußballnationen. Dies sei eine "Beleidigung der Bürger", schimpft ein sozialistischer Abgeordneter. 200.000 Menschen unterzeichneten eine Internetpetition, wonach die Nationalspieler ihre Prämie für die Schulspeisung bedürftiger Kinder hätten spenden sollen.

Eine Reaktion blieb bislang aus. "Wir haben immer mehr Arme, die sozialen Unterscheide nehmen zu, aber die Welt des Fußballs lebt in ­einer Blase", beschwert sich eine Abgeordnete der spanischen Links­koalition Izquierda Unida.

3,6 Milliarden Euro Schulden
Spaniens Vereinsfußball steht seit Längerem in der Kritik. Denn während im Sozialbereich gespart wird und das Bildungs- und Gesundheitssystem tiefe Einschnitte erleidet, werden die Klubs von der Politik mit Samthandschuhen angefasst und sogar bezuschusst. Die Vereine der ersten Liga haben Schulden von 3,6  Milliarden Euro angehäuft. Die beiden Großen - FC Barcelona und Real Madrid - sollen jeweils mit 900  Millionen Euro in der Kreide stehen. Die Erstligisten schulden dem Finanzamt über 720 Millionen und der Sozialversicherung 16 Millionen Euro.

Genaue Zahlen veröffentlicht die Regierung nicht. Jahr für Jahr werden den Vereinen - trotz des hohen Defizits im Staatshaushalt - ihre Steuerschulden gestundet. So mancher Kleinbetrieb würde sich in Zeiten der Krise eine solche Sonder­behandlung wünschen.

Die Europäische Union ermittelt gegen sieben spanische Erstligavereine. Betroffen sind die beiden Spitzenklubs Real Madrid und FC Barcelona sowie Athletic Bilbao, Osasuna aus Pamplona und die drei Vereine aus der Region Valencia: FC Valencia, FC Elche und FC Hércules aus Alicante. Ihnen allen wird vorgeworfen, sich dank guter Beziehungen zu Regierung und Verwaltung Vorteile verschafft zu haben, die den nationalen und internationalen Wettbewerb verzerren.

So sind FC Barcelona, Real Ma­drid, Osasuna und Athletic Bilbao bis heute Vereine, obwohl ein Gesetz von 1990 alle Klubs verpflichtet, sich in Aktiengesellschaften umzuwandeln. Dies verschafft den vieren steuerliche Vorteile. FC Barcelona wird vom staatlichen Regionalfernsehen gesponsert. Real Madrid soll durch Immobiliengeschäfte mit der Regionalregierung indirekt subventioniert worden sein. Und die drei Klubs aus dem Land Valencia erhielten durch Bürgschaften der Regionalregierung Kredite von insgesamt 118 Millionen Euro. Diese wurden nie zurückgezahlt und mussten vom Steuerzahler beglichen werden. Die Regionalregierung, deren Expräsident Francisco Camps wegen illegaler Parteienfinanzierung zurücktreten musste, ist zum Hauptaktionär der drei Klubs geworden, obwohl laut Sportgesetz niemand mehr als fünf Prozent an einem Erstligisten halten darf.

"Mit dem finanziellen Rückhalt durch öffentliche Gelder und der Fähigkeit, große städtebauliche Operationen durchzuführen, sind selbst Klubs in einem ruinösen Zustand für Investoren attraktiv", ­beschreibt die Monatszeitschrift "TintaLibre", wie die "Blase Profifußball" in Spanien funktioniert. Die Ehrentribünen sind der Ort, wo Politik, Bauindustrie und Klub­sponsoren ihre Geschäfte verabreden. Es sind regelrechte Zentralen der Macht und der Baukorruption, die Spaniens Politik in Verruf gebracht haben und die Menschen empören.

Investor-Info

Die wichtigsten Fakten
Fußball in Spanien

Primera División: Die 1. Liga umfasst 20 Mann­schaften. Rekordmeister mit 32 Titeln ist Real ­Madrid, gefolgt vom FC Barcelona (22).

Eintrittspreis 1. Liga: Die spanische Liga hat laut ­einer Studie der Sportzeitung "Marca" aus dem Jahr 2012 die teuersten Eintrittsgelder in Europa. Im Durchschnitt liegen sie demnach bei 53 Euro.

Durchschnittliche Zuschauerzahl pro Spiel
1. Liga: 20 040

Teuerster einheimischer Spieler: Andrés Iniesta (FC Barcelona). Die Ablösesumme beträgt 53,7 Millionen Euro.

Jährliche Einnahmen der Liga durch Fernseh­gelder: 755 Millionen Euro. Davon entfallen auf die beiden Spitzenklubs Real Madrid und FC Barcelona jeweils 140 bis 150 Millionen Euro.

Quelle: eigene Recherche

WM-Zertifikat
Totalverlust

Wie riskant Fußballzertifikate sind, zeigt Spanien. Wer zum WM-Start noch glaubte, die Iberer könnten den Titel verteidigen, und das Spanien-WM-Zertifikat (AT 000 0A1 7BG 4) kaufte, hat nach deren Ausscheiden Totalverlust erlitten. Auf jede der 32  WM-Mannschaften hat die Extra Sportwetten AG ein Zertifikat emittiert. Sie können jederzeit ge- und verkauft werden. Vom K. o. Spaniens profitierten die Papiere auf Deutschland (ISIN: AT 000 0A1 7C2 6) und die Niederlande (ISIN: AT 000 0A1 7BH 2). Das deutsche Papier stieg seit WM-Start von 18,50 auf 27 Euro, das holländische von 5,0 auf 12,78 Euro. Holt eines der beiden Teams den Titel, erhalten Inhaber des jeweiligen Papiers nach dem Finale 100 Euro zurück.