Genossenschaften: Eigenkapital ist Trumpf
Die Vereinten Nationen haben 2012 zum internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Tatsächlich investieren auch viele Privatanleger in Unternehmen dieser Rechtsform. Um auch künftig Kredite zu bekommen, müssen viele Genossenschaften allerdings ihr Eigenkapital aufstocken.
von Christian Groschupp, Gastautor von Euro am Sonntag
Das Genossenschaftswesen und seine Grundwerte erleben zurzeit eine Renaissance. Die Unternehmen in der Rechtsform der Genossenschaft (eG) erwirtschaften in Deutschland rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sie weisen statistisch die mit Abstand höchste Eigenmittelquote auf und haben gleichzeitig die geringste Insolvenzquote: gute Voraussetzungen für eine positive Einschätzung durch Kreditgeber also? Nein, im Gegenteil.
Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Genossenschaften aus Finanzierersicht“ von Dr. Wieselhuber & Partner. Denn abgesehen von den genossenschaftlich organisierten Volks- und Raiffeisenbanken, für die ohnehin besondere Eigenkapitalregeln gelten und die bei der Untersuchung ausgenommen waren, könnte es in Zukunft für viele eGs bei der Beschaffung von Fremdkapital für Investitionen in den Bestand oder Erweiterungen schwieriger werden.
Das gilt etwa für die vielen Solar- oder Windkraftprojekte, in die Privatanleger investieren. Von den genossenschaftlichen Neugründungen der vergangenen zwei Jahre in Deutschland betrafen gut 50 Prozent den Energiesektor. Schon in wenigen Jahren könnte hier sogenanntes Repowering — ein Aufrüsten der Anlage nach neuestem technischem Stand — notwendig werden.
An der Befragung haben 175 Entscheider aus dem gesamten Bankensektor teilgenommen. Genossenschaften können demnach bei der Fremdkapitalversorgung nicht von der gesellschaftlichen Wertediskussion und dem positiven Image der Rechtsform profitieren. Denn für rund die Hälfte der befragten Bankmitarbeiter hat die Rechtsform der Genossenschaft sogar einen negativen Einfluss auf das Unternehmensrating. Von den Befragten sind rund 44 Prozent in der Firmenkundenbetreuung tätig und 35 Prozent in der Sanierung oder Sonderbetreuung von Kunden in der Krise, wenn die Kapitaldienstfähigkeit nicht oder nur noch eingeschränkt gegeben ist.
Bereitschaft der Banken zur
Finanzierung wird sinken
Die Hauptfaktoren, die sich gerade in Krisensituationen negativ auswirken können: zum einen die Zwitterstellung der Mitglieder, die gleichzeitig Lieferanten-, Abnehmer- und Gesellschafterposition einnehmen (64 Prozent), beispielsweise in Molkereigenossenschaften. Zum anderen eine kleinteilige Gesellschafterstruktur (56 Prozent), wie sie häufig bei landwirtschaftlichen eGs zu finden ist, die häufig aus mehreren 100 bis hin zu einigen 1.000 Genossen bestehen.
Kritisch sehen die Banker auch die ehrenamtlichen Aufsichtsgremien und die Höhe der Eigenkapitalausstattung von Genossenschaften. Die Folge: Die Bereitschaft der Banken, genossenschaftliche Unternehmen zu finanzieren, ist bei nahezu der Hälfte der Befragten grundsätzlich gering und wird in Zukunft nicht besser werden — im Gegenteil. Lediglich 22 Prozent stehen Finanzierungsanfragen von Genossenschaften generell positiv gegenüber und nur zehn Prozent sehen künftig eine höhere Finanzierungsbereitschaft. Die Finanzierungsaussichten für genossenschaftliche Unternehmen verschlechtern sich also tendenziell. Der Einfluss von Basel III spielt hier eine entscheidende Rolle, denn dieser Rechtsform wird die Erfüllung der verschärften Kreditanforderungen nur sehr eingeschränkt zugetraut. Die Umfrageergebnisse unterstreichen diese Aussage: Die Eigenkapitalanforderungen der Kreditgeber sind sogar höher als an andere Rechts- und Unternehmensformen.
Laut den befragten Bankern müssen sich Genossenschaften in Zukunft verstärkt über Innenfinanzierung wie Gewinnthesaurierung oder Ertragssteigerung sowie über Gesellschaftermittel wie Eigenkapitalzufuhr aus Beitragserhöhung eines Geschäftsanteils oder der Erhöhung der Pflichtbeteiligung mit mehreren Geschäftsanteilen finanzieren. Die klassische Kapitalbeschaffung über Bankdarlehen hingegen wird stark an Bedeutung verlieren und teilweise durch Asset-basierte Finanzierungsformen wie Leasing oder Factoring ersetzt werden müssen.
Die Genossenschaften müssen jetzt selbst aktiv werden und Eigenkapital beschaffen. Nur so können sie ihre rechtsformspezifischen Nachteile überwinden. Ein wesentlicher Hebel hierfür ist ein robustes und zukunftsfähiges Geschäftsmodell, das sowohl den starken Schwankungen der Märkte als auch unternehmensinternen Veränderungen standhält — in dieser Frage sind sich mehr als 90 Prozent der Studienteilnehmer einig.
zur Person:
Christian
Groschupp,
Senior Manager
bei Dr. Wieselhuber & Partner
Der Autor ist Senior Manager im Bereich Restructuring & Finance. Seine Schwerpunkte liegen in der Erstellung und Prüfung von Sanierungskonzepten, der Umsetzungsbegleitung — unter anderem bei einer genossenschaftlichen Molkerei — sowie
der Begleitung von
M & A-Prozessen in
der Sanierung.
Dr. Wieselhuber & Partner ist eine unabhängige, branchenübergreifende Managementberatung
für Familienunternehmen sowie für die Sparten
und die Tochtergesellschaften von Konzernen unterschiedlicher
Branchen.