„Wir sind am Beginn einer Rally“
Anthony Carpet von Goldman Sachs erwartet eine neue, lang anhaltende Rohstoff-Megahausse. Den Ölpreis sieht er in einem Jahr bei 92 US-Dollar.
von Carsten Lootze
Die All-Star-Analysts Hall of Fame ist so etwas wie die Walhalla der Finanzanalysten. Jedes Jahr dürfen nur sechs Analysten weltweit in die Bestenliste. Wer das ist, entscheidet das „Wall Street Journal“. Anthony Carpet gehört seit 1998 dazu, weil er sich als Analyst der Rohstoffbranche bei Goldman Sachs einen Namen gemacht hat. Zurzeit erregt Carpet mit einer Studie Aufsehen, in der er eine neue Rohstoff-Megahausse vorhersagt. €uro am Sonntag sprach mit ihm über diese These, seine Argumente sowie potenzielle Gewinner und Verlierer.
€uro am Sonntag: Die Rohstoffpreise hatten bis zum Sommer 2008 schon einmal zu einem Höhenflug angesetzt, der dann abrupt zu Ende gegangen ist. Warum sollte sich die Rally jetzt fortsetzen?
Anthony Carpet: Weil das Grundproblem nach wie vor besteht. Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum treiben den weltweiten Rohstoffbedarf in die Höhe. Doch die Rohstoffunternehmen haben kaum noch freie Kapazitäten, um darauf reagieren zu können. Der jüngste zyklische Abschwung hat den Bullenmarkt bei Rohstoffen also nur kurz unterbrochen.
Und wann sollte er sich fortsetzen?
Carpet: Der jüngste Einbruch in der Rohstoffnachfrage bewegte sich im Gleichlauf mit dem Einbruch der weltweiten wirtschaftlichen Aktivität. Das legt die Vermutung nahe, dass die Nachfrage wieder steigen wird, sobald sich die Konjunktur erholt. Den Anfang sehen wir schon.
Die meisten Volkswirte erwarten für die kommenden Jahre ein Wirtschaftswachstum von zwei bis drei Prozent, was im langjährigen Vergleich unterdurchschnittlich wäre. Wie kann das genügen, um eine Rohstoff-Megahausse auszulösen?
Carpet: Die Rohstoffunternehmen arbeiten, wie gesagt, schon jetzt an ihren Kapazitätsgrenzen. Deswegen genügt ein geringer Anstieg bei der Nachfrage, und die Nachfrage übersteigt die Kapazitäten. Dann herrscht Knappheit, und die Preise steigen stark an.
Wie viel Spielraum bleibt den Rohstoffunternehmen denn noch genau, bis ihre Kapazitäten vollständig ausgelastet sind?
Carpet: Die Ölförderanlagen zum Beispiel sind momentan zu etwa 95 Prozent ausgelastet. Und das, obwohl wir uns in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit den 1930er-Jahren befinden. Bei wichtigen Metallen wie Kupfer und Zink sieht es ähnlich aus, ebenso bei Agrarrohstoffen.
Ab wann rechnen Sie demzufolge mit einer Rohstoffknappheit? Carpet: Schon ab dem vierten Quartal 2010. Dabei gehen wir von einem Weltwirtschaftswachstum von 3,5 Prozent im nächsten Jahr aus.
Und wie stark werden die Preise Ihrer Meinung nach steigen?
Carpet: In einem Jahr zum Beispiel sehen wir den WTI-Ölpreis bei 92 statt heute knapp über 70 US-Dollar, Mais bei 525 statt 330 Dollar und Zink bei 2600 statt 1800 Dollar.
Diese Preise wären noch weit von den Rekorden aus dem Jahr 2008 entfernt. Wird es auf absehbare Zeit neue Rekordpreise geben?
Carpet: Ich gehe davon aus, dass der jüngste Preisanstieg seit Anfang dieses Jahres nur der Beginn einer neuen Rally ist. Und die wird höchstwahrscheinlich noch extremer als die vergangene werden, weil sich die beschriebene Angebots-Nachfrage-Diskrepanz noch verschärft hat und weiter verschärfen wird.
Bei welchen Rohstoffen sehen Sie das größte Potenzial für steigende Preise?
Carpet: Bei denen, die die beiden folgenden Kriterien erfüllen: Erstens muss China einen Großteil des weltweiten Verbrauchs davon ausmachen. Und zweitens darf China nicht in ausreichendem Maß selbst über diese Rohstoffe verfügen.
Auf welche Rohstoffe treffen diese beiden Kriterien zu?
Carpet: Im Großen und Ganzen auf Metalle und Agrarrohstoffe. Ganz oben auf der Liste stehen Baumwolle, Sojabohnen, Kupfer und Zink. Von jedem dieser Güter verbraucht China etwa ein Viertel bis ein Drittel des weltweiten Bedarfs.
Wer gewinnt und wer verliert bei der Rohstoff-Megahausse, die Sie vorhersagen?
Carpet: Profitieren werden die rohstoffreichen Schwellenländer, vor allem Brasilien. Gegenüber Russland hat Brasilien den Vorteil, dass das politische und geschäftliche Umfeld günstiger ist. Am schlechtesten werden Deutschland und Japan dastehen, weil die Industrien dieser beiden Staaten nach wie vor viel Energie und Metall verbrauchen.
Und welche Unternehmen sehen Sie als Gewinner?
Carpet: Im Bereich Energierohstoffe sind das große Ölkonzerne mit starkem organischem Wachstum wie Petrobras, Lukoil, CNOOC, Suncor Energy und Statoil Hydro sowie Ölserviceunternehmen, die zum Beispiel Tiefenbohrungen vornehmen, wie Technip, Cameron und Weatherford. Der Agrarboom wird Herstellern von Saatgut, Düngemitteln und Landmaschinen zugute kommen. Dazu gehören Monsanto, Potash, Sinofert und Agco.