Shopify-Gründer Lütke: Vom Schulversager zum Milliardär

Tobias Lütke begann mit dem Onlineverkauf von Snowboards. Heute will er die Welt verändern. Wie ein praktisch unbekannter Deutscher mit 24 Jahren in Kanada die E-Commerce-Plattform Shopify gründete und zum Milliardär wurde. Jetzt will er auch in Deutschland angreifen.
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von Peter Balsiger, €uro am Sonntag
Er sieht nicht aus wie der CEO eines Unternehmens mit einem Börsenwert von 15 Milliarden Dollar. Der 37-jährige Rheinländer wirkt eher schüchtern und jungenhaft, fast asketisch. Seine Stimme ist leise, auf dem Kopf trägt er oft eine Schiebermütze, die sein Markenzeichen geworden ist. Sie verleihe ihm den Look eines Straßenmusikers, schrieb "Der Spiegel". Tobias Lütke, den alle Tobi nennen, trägt keine Business-Anzüge, sondern meist Jeans und Hoodies. Er besitzt zwar einen Tesla, fährt aber mit dem Fahrrad zur Arbeit.
Wer ist dieser Mann, den kaum jemand in Deutschland kennt, der in Kanada die E-Commerce-Plattform Shopify gegründet hat, ein Unternehmen mit 3000 Angestellten, das heute mehr wert ist als Lufthansa oder TUI, und der mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder Apple-Chef Tim Cook verkehrt? Ein Schulversager aus Koblenz, der es zum Milliardär geschafft hat. Tobias Lütke kam 1980 als Sohn eines Internisten und einer Sonderschullehrerin zur Welt. Bereits mit sechs Jahren bekam er einen eigenen Computer - einen Amstrad CPC - und durfte so lange davor sitzen, wie er wollte. "So 15, 16 Stunden am Tag", sagte Lütke später. Er spielte "Pac-Man" oder "Space Invaders", und als er elf war, fing er an, Spiele mithilfe von Computermagazinen selbst zu programmieren.
Die virtuelle Welt faszinierte ihn. Aber für die Schule interessierte sich der junge Tobi kaum. Er besuchte in Koblenz das Görres-Gymnasium, seine Noten waren schlecht, der Unterricht langweilte ihn. Er hatte schon früh ein Problem mit Autoritäten, analysierte lieber die Fragen, die ihm die Lehrer stellten, statt die gewünschten Antworten zu geben. "Ich begriff nicht, was die von mir wollten. Ich begriff nicht, was Schule ist. Dauernd ging es um Lösungen für Probleme, deren Sinn mir nicht erklärt wurde", gestand er später.
Superheld vorm Rechner
Stattdessen verbrachte der Nerd zum Teil ganze Nächte vor dem Rechner, denn beim Programmieren hatte er das Gefühl, Kräfte wie ein Superheld zu besitzen: "Der ganze Planet wird von Computern beherrscht, und ich kann sie manipulieren. Das war der einzige Teil meiner Welt, den ich kontrollieren konnte."
"Wir machten uns damals große Sorgen um ihn", gab seine Mutter später zu. Die Eltern schickten ihn zu Therapeuten, um ihn auf eventuelle Lernschwächen zu untersuchen. Tobi sei damals sehr introvertiert gewesen und hätte sich hinter seinem Computer versteckt, erzählte sein Patenonkel.
Der Junge wechselte das Gymnasium. Er machte dennoch nur das Nötigste, rechnete stets aus, welche Noten er brauchte, um in die nächste Klasse versetzt zu werden. Er schaffte schließlich nach der 10. Klasse den Realschulabschluss und begann eine Ausbildung als Fachinformatiker bei einer Koblenzer Firma. Später jobbte er, bekam Aufträge als freier Programmierer.
Kanadische Lovestory
Neben dem Programmieren war Snowboarden Tobis große Leidenschaft. Noch heute stehen in seinem Chefbüro eine ganze Reihe von Snowboards. Während eines Urlaubs in Kanadas Wintersportparadies Whistler lernte er die blonde Fiona McKean kennen, eine Studentin aus Ottawa. Tobi und Fiona wurden ein Paar, 2002 wanderte der Koblenzer der Liebe wegen nach Kanada aus.
Ohne diese Lovestory hätte es wohl diese fast unglaubliche Erfolgsgeschichte nie gegeben und Tobias Lütke wäre nie zum Superstar der kanadischen IT-Branche geworden.
Lütke lebte zunächst bei Fionas Eltern. Er musste jetzt irgendwie Geld verdienen, das Honorar, das er zuletzt für einen Programmierauftrag von Siemens bekommen hatte, war weg. Er beschloss, zusammen mit einem Partner einen Onlineshop für Snowboards zu gründen, den sie "Snowdevil" (Schneeteufel) nannten. Es war sein erster unternehmerischer Gehversuch. Allerdings wollte im Frühjahr und im Sommer niemand Snowboards kaufen, und außerdem war die Software, die er in seinem Laden verwendete, "totaler Mist". Lütke schrieb deshalb ein eigenes, maßgeschneidertes Programm für Internetshops, das in Programmierkreisen schnell Aufsehen erregte.
"Damals war Software für Onlineshops für bereits existierende Großunternehmen ausgelegt, die jetzt auch online verkaufen wollten. Alles war unglaublich teuer, unnötig komplex und zum Verzweifeln unflexibel", erzählt Lütke.
Er und sein Partner erkannten bald, als sie in ihrer Garage die wenigen bestellten Snowboards verpackten und verschickten, dass sie mit ihrer E-Commerce-Software mehr Geld verdienen konnten als mit dem Verkauf von Boards. Sie überzeugten eine Gruppe von zehn Freunden und Familienmitgliedern - vor allem Fionas Vater und Lütkes Onkel, einen Unternehmer, der ebenfalls nach Kanada ausgewandert war -, in das Startkapital von rund 200 000 Dollar zu investieren. Sie gaben dem Start-up den Namen Shopify. Die erste Firmenzentrale der zwei Gründer war ein Tisch im Bridgehead Coffee Shop in Ottawa, der sich vor allem durch ein gutes WLAN auszeichnete.
Anders als bei Amazon oder Ebay kann ein Kunde bei Shopify selbst nichts kaufen. Die Firma stellt lediglich die Software zur Verfügung, mit der Unternehmen ihren Onlineverkauf betreiben können. Mit ein paar Klicks und ohne IT-Kenntnisse können sie so ihr gesamtes Sortiment anbieten. Lütke: "Shopify ist das Erste, was sich unsere Händler morgens ansehen, und das Letzte, aus dem sie sich am Abend abmelden. Shopify steht im Mittelpunkt ihres Geschäfts."
Die unsichtbare Plattform
Sein Business-Modell sei ein komplettes wirtschaftliches Ökosystem, sagt er. Einkünfte erzielt Shopify einerseits durch Abo-Gebühren. Diese variieren zwischen 29 Dollar pro Monat für Kleinbetriebe und rund 3000 Dollar für Großunternehmen. Zusätzliche Einnahmen aber realisiert Shopify durch Lösungsangebote an seine Kunden. Sie umfassen das Bezahlsystem, das Design, die Buchführung, den Versand und das Social-Media-Management. Zu den Kunden gehören heute Großunternehmen wie Nestlé, Red Bull, General Electric, Tesla, Gatorade oder Budweiser. Die Mehrheit sind jedoch Mittelständler oder Ein-Personen-Betriebe.
Lütkes Plattform wird heute von
rund 600 000 Onlinehändlern genutzt. Trotzdem ist Shopify als Marke für die Verbraucher praktisch unsichtbar. "Aber jeder, der im Netz ist, hat Shopify schon mal benutzt", so Lütke, "er weiß es nur nicht."
Anfänglich liefen die Geschäfte nicht gut. Im ersten Monat verdiente Shopify gerade mal 8000 Dollar. Die Gründer verzichteten auf ein Gehalt, und Fionas Vater musste immer wieder einspringen, damit sein späterer Schwiegersohn die Rechnungen bezahlen konnte. In der Firma verheimlichte er die Finanzprobleme. "Ich saß in Meetings und diskutierte mit meinen Mitarbeitern über Projekte, die ein Jahr in Anspruch nehmen würden. Und ich wusste, dass ich gerade mal Geld für vier Wochen hatte", erinnert sich Lütke. Er stellte seine Geschäftsidee potenziellen Investoren vor. Viele machten eine Beteiligung von der Bedingung abhängig, dass Shopify ins kalifornische Silicon Valley, dem Mekka der Hightech-Gründer, umziehe. Das aber kam für Lütke nicht infrage. Erst 2010 gab es die erste von mittlerweile drei Finanzierungsrunden mit Wagniskapitalgebern, bei denen Shopify insgesamt 122 Millionen Dollar einsammelte.
Profiteur der Finanzkrise
Nach dem Ausscheiden seines Partners musste Lütke, der über keinerlei Business-Erfahrung verfügte, "innerhalb weniger Wochen meinen MBA machen". Aber aufzugeben war für ihn keine Option. "Ich musste eigentlich ein eigenes Unternehmen gründen", erzählt er. "Ich glaube nicht, dass ich für andere Leute arbeiten könnte."
Die Finanzkrise von 2008 überstand er unbeschadet - vielmehr gehörte er eigentlich zu den wenigen Gewinnern. Denn damals eröffneten Tausende, die ihren Job verloren hatten, nun Onlineläden, um zu überleben. Im Mai 2015 ging Shopify an die Börse. Die Aktie
hat seither um mehr als 700 Prozent zugelegt.
Lütke hält laut dem Datendienst Bloomberg rund 9,7 Millionen Aktien und Optionen an dem Unternehmen. Das entspreche etwa elf Prozent an Shopify. Das Wirtschaftsmagazin "Forbes" schätzt Lütkes Privatvermögen auf 1,2 Milliarden Dollar. In Kanada wurde er mit Auszeichnungen überhäuft. 2014 wurde er "CEO des Jahres" und figurierte prominent auf der Liste der kreativsten Geschäftsmänner Kanadas. Die "New York Times", das "Wall Street Journal", "Forbes" und "Fast Company" berichten regelmäßig über seine Erfolge.
Die Stimmung in seiner riesigen Firmenzentrale in Ottawa ist entspannt. Shorts und Flipflops sind normal. Es gibt keine festen Arbeitszeiten, die Mitarbeiter profitieren von einem kostenlosen Mittagessen, sogar eine Gokart- Strecke steht ihnen zur Entspannung zur Verfügung.
Kreativität schaffen
"Eine Umgebung zu schaffen, in der die Menschen kreativ sein können, ist wahnsinnig wichtig", sagt er. Alle drei Monate gibt es einen "Hack Day", an dem Mitarbeiter an eigenen Projekten arbeiten können, die nichts mit dem Unternehmen zu tun haben. Sei es die Entwicklung von neuen Soßen für die Kantine oder Wanddekoration mit Porträts der Shopify-Chefs in französischen Militäruniformen des 17. Jahrhunderts.
In Deutschland ist Lütke weitgehend unbekannt. Aber sogar in der eigenen Firma würden die Angestellten wenig Notiz von ihm nehmen, schrieb "Der Spiegel". "Wären da nicht die überweißen Zähne, wenn er lächelt, und die eisblau leuchtenden Augen, man könnte ihn glatt übersehen."
In Kanada soll die Belegschaft schon bald verdoppelt werden. Und Lütke plant, seine E-Commerce-Plattform international breiter aufzustellen. Neue Niederlassungen in Japan, Singapur und Frankreich sind geplant. Auch Berlin steht auf seiner Liste. Dort hat er bereits 2017 das Start-up Oberlo gekauft und will es weiter ausbauen.
Ausflüge in die Zukunft
Und er macht sich Gedanken darüber, wie der technologische Fortschritt die Welt verändern und die Geschäftsmodelle umpflügen wird. Wie zum Beispiel Apples neues elektronisches Bezahlsystem das mobile Einkaufen beeinflussen wird, wie Roboter den Arbeitsmarkt revolutionieren oder wie 3-D-Drucker sich auf die Lieferfristen auswirken werden.
Sein Freund Daniel Weinand sagte in einem Interview mit der kanadischen Tageszeitung "The Globe and Mail": "Manchmal hat man den Eindruck, dass Tobi ein paar Jahre in die Zukunft geht und dann mit positiven Informationen zurückkehrt, die er mit uns teilt."
"Die menschliche Geschichte ist eine Geschichte über den Handel", sagt Lütke. "Es begann mit Handelskarawanen. Sprachen entstanden wahrscheinlich, weil die Menschen Güter austauschen mussten." Und jedes Mal habe es bahnbrechende Innovationen in der Art und Weise gegeben, wie die Menschen Handel trieben, Innovationen, die den Warenaustausch leichter und schneller gemacht hätten. Er hofft, dass Shopify Teil einer solchen epochalen Veränderung sein wird.
Anfänglich wollte Tobias Lütke eigentlich nur Snowboards verkaufen. Jetzt redet er darüber, die Welt zu verändern.
Vita
Von Koblenz nach Kanada
Tobias Lütke wurde 1980 in Koblenz
geboren. Schon
als Schüler begann er, Computerprogramme zu schreiben. In der Schule schaffte er es nur bis zur zehnten Klasse. Mit 22 wanderte Lütke nach Kanada aus und gründete zwei Jahre später den Onlineshop Snowdevils. Daraus entstand Shopify, das 2006 offiziell startete und 2015 in New York an die Börse ging.
Die Aktie
Überflieger der Wall Street
Die Kursentwicklung ist beeindruckend: Zwar schwächelte das Papier von Shopify in den zurückliegenden drei Monaten etwas. Binnen zwölf Monaten hat die Notiz jedoch um rund 35 Prozent zugelegt, seit der Erstnotierung hat sich der Wert verachtfacht. Die Bewertung ist inzwischen jedoch mit einem dreistelligen KGV sehr hoch. Nur für spekulative Anleger.
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