Euro am Sonntag-Meinung

Risiken lauern in den USA - Frühling für europäische Aktien?

23.02.19 15:00 Uhr

Risiken lauern in den USA - Frühling für europäische Aktien? | finanzen.net
Stefan Hofrichter

Die Korrekturen zum Jahresende 2018 deuten ein Ende der jahrelangen Hausse an den Aktienmärkten vor allem in den USA oder Asien an. Europas Märkte sind auch nicht ohne Risiken, aber chancenreicher.

von Stefan Hofrichter, Gastautor für €uro am Sonntag

Pünktlich zum meteorologischen Winteranfang im Dezember 2018 bekamen US-Aktienanleger einen Vorgeschmack auf eine frostige Marktperiode: Die Börsenindizes erlitten vorübergehend kräftige Einbußen und die Volatilität erhöhte sich. Die europäischen Aktienmärkte ent­wickelten sich ähnlich. Allerdings bläst Anlegern hier bereits seit Längerem ein kalter Wind ins Gesicht. Zwar nicht absolut, aber relativ tun sich europäische Aktien bereits seit Beginn des Jahrzehnts schwer. Gemessen an den MSCI-­Indizes haben europäische Aktien seit 2010 um etwa 30 bis 35 Prozentpunkte schwächer abgeschnitten als der globale beziehungsweise der US-Aktienmarkt.

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Was ist es, das die Börsen in Europa seit Jahren belastet? Ein wesentlicher Aspekt scheinen anhaltende politische Unsicherheiten zu sein. Gleichwohl gibt es Anlass zu Optimismus für Investoren, die einen langen Atem haben. Denn bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Europa von einigen Faktoren, die derzeit global für Gegenwind an den Aktienmärkten sorgen, vergleichsweise weniger betroffen ist. Dies kann sich mittelfristig als positiv für die Aktienkurse des Kontinents erweisen - wenn Europa seine politischen Unsicherheiten in den Griff bekommt.

Sieht es hiernach aus? Ein Blick auf die 2019 anstehenden politischen Ereignisse in Europa stimmt auf den ersten Blick skeptisch. Politische Unsicherheiten schweben wie ein Damoklesschwert über dem Kontinent - und Finanzmärkte mögen Unsicherheit gar nicht.

Handelskonflikte belasten Europa weniger als die USA

So haben EU-kritische populistische Kräfte in den letzten Jahren massiv an Auftrieb gewonnen. Beispielsweise bekennt sich die italienische Regierung eher in Form von Lippenbekenntnissen zu den Haushaltsauflagen der EU. In Frankreich hält zwar einer der EU-freundlichsten europäischen Regierungschefs das Zepter in den Händen. Staatspräsident Emmanuel Macron sieht sich aber verstärkten innenpolitischen Protesten gegenüber. Und sollten populistische Kräfte bei den Wahlen zum Europaparlament im Mai 2019 weiter an Zulauf gewinnen, dürfte es schwieriger werden, die Region zu steuern. Dies wiederum würde das Wachstum und die Börsen weiter belasten.

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Die Brexit-Frage dagegen ist offener denn je. Nach Ablehnung des Ausstiegsabkommens mit der EU im britischen Parlament hat eine Verschiebung des Austrittstermins vom 29. März 2019 an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Auch die Möglichkeit eines neuen, zweiten Referendums - und damit auch die Möglichkeit eines Verbleibs in der EU - ist realistischer geworden. Es bleibt zwar auch die Option eines "harten Brexits", also eines Austritts ohne Abkommen. Angesichts der Tatsache jedoch, dass es hierfür eigentlich keine Mehrheit gibt und dass das britische Parlament den Artikel 50 einseitig widerrufen kann, sind die Hürden relativ hoch. Alles in allem gibt es somit durchaus wieder die Perspektive einer positiven Wende der Brexit-Saga.

Europa wird zwar weiter mit hausgemachten Problemen zu kämpfen haben. Andere starke Bremsfaktoren für die Börsen sind derzeit aber globaler Natur. Und in mancherlei Hinsicht befindet sich Europa in einer besseren Lage als andere Regionen, um mit diesen zurechtzukommen. Beispielsweise bereiten Handelskonflikte den Anlegern weltweit erhebliche Sorgen. China und andere (asiatische) Schwellenländer, vor allem aber die USA, dürften hiervon jedoch stärker betroffen sein als Europa. Hinzu kommt, dass makroökonomische Indikatoren zuletzt auch außerhalb Europas nach unten tendierten. Für die USA werden für 2020 steigende Rezessionsrisiken eingepreist, wenn der fiskalpolitische Stimulus ausläuft und sich der monetäre Straffungskurs der letzten Jahre allmählich auswirkt.

Was die Geldpolitik betrifft, befinden sich die Notenbanken in der EU und in den USA nämlich auf unterschiedlichen Pfaden. Der US-Leitzins nähert sich mittlerweile dem sogenannten "neutralen Niveau", bei dem das Wachstum monetär weder stimuliert noch gebremst wird. Damit steigt aber auch die Gefahr von Politikfehlern. Außerdem hat die US-Notenbank ihre Anleihebestände bereits im Umfang von rund 450 Milliarden Dollar pro Jahr reduziert. Die Europäische Zentralbank (EZB) hingegen wird das Volumen der von ihr gehaltenen Anleihen noch nicht so bald verringern und ist von einer Leitzinserhöhung noch weit entfernt. Insgesamt betrachtet läuft die Fed somit eher Gefahr als die EZB, bei der monetären Straffung zu weit zu gehen. Dies beeinträchtigt die Wachstumsaussichten in den USA, was Europa wiederum für Anleger interessanter macht.
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Unter längerfristiger Betrachtung gibt es einen weiteren, besonders wichtigen Punkt, der für europäische Aktien spricht. Basierend auf dem von uns bevorzugten Bewertungsmaßstab für Aktien, dem Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis (Shiller-KGV), war der europäische Markt per Ende 2018 attraktiver bewertet als der US-Markt. So lag das Shiller-KGV in Europa mit rund 18 unter seinem langfristigen Durchschnittswert (etwa 20). In den USA hingegen lag es mit rund 30 erheblich über seinem langfristigen Durchschnitt (etwa 16,5).

Die relativ hohen Bewertungen von US-Aktien lassen sich schwer mit den überdurchschnittlichen Wachstumsraten in der US-Technologiebranche erklären. Das Shiller-KGV des Nasdaq-Index lag mit 34 nämlich sogar etwas niedriger - und nicht höher - als sein langjähriger Durchschnitt. Das vergleichsweise niedrige Kurs-Gewinn-Verhältnis macht europäische Titel attraktiv, zumal dies nicht aus einem hohen Nenner resultiert: Das Wachstum der Unternehmensgewinne in Europa liegt noch unterhalb der langfristigen Trendrate, während es in den USA bereits dem Trendwachstum entspricht.

Alles in allem würden europäische Aktien somit von einer Rückkehr der Bewertungen und des Gewinnwachstums zu ihren langfristigen Durchschnitten profitieren. US-Börsentitel dürften sich dagegen in den nächsten Jahren in ­puncto Bewertungen schwertun. Für Anleger heißt dies: Wenn sie mehr Klarheit in Bezug auf die politische Situation in Europa bekommen, kann ihnen dieser Kontinent als Anlageregion künftig wieder mehr Freude bereiten.

Kurzvita

Stefan Hofrichter
Chefvolkswirt Allianz Global Investors
Hofrichter ist diplomierter Volkswirt und hält einen Abschluss in Betriebswirtschaftslehre von der Fachhochschule der Deutschen Bundesbank. Er ist zudem CFA Charterholder. 1996 kam er als Portfolio­manager zu Allianz GI und nahm 1998 seine jetzige Rolle als Volkswirt und Stratege an.
Allianz Global Investors ist die Kapitalverwaltungsgesellschaft des Allianz-Konzerns und bietet zudem Kapital­anlage für private und institutionelle Anleger.









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Bildquellen: gopixa / Shutterstock.com, Allianz Global Investors GmbH