Anlagestrategie: Weltweit Rosinen picken
Viele private Anleger waren in diesem Jahr aus Risikoscheu in Aktien nicht oder zu wenig investiert. Zudem klafft zwischen Gewinnern und Verlierern in einem Index oft eine weite Spanne. Die Lösung: auf ausgesuchte Einzelwerte setzen - weltweit.
von Michael Schmidt, Gastautor von Euro am Sonntag
Die Zeiten für Aktienanleger sind nicht leicht — zumindest kann man diesen Eindruck gewinnen, wenn man die Zeitung aufschlägt. Nach über zwei Jahren Krise befindet sich der Euroraum immer noch in Turbulenzen. Also richten viele Anleger ihren Blick über den Atlantik. Aber auch in den USA sind die Aussichten mit Unsicherheiten behaftet.
Zwar entwickeln sich Arbeitsmarkt und Konsum positiv. Mit den Anfang 2013 auslaufenden Steuervergünstigungen und den nach aktueller Rechtslage anstehenden Ausgabenkürzungen könnte jedoch auch die US-Wirtschaft einen Dämpfer erhalten. Und selbst wenn diese „Fiskalklippe“ von der Politik wohl teilweise umschifft werden dürfte — die Auswirkungen sind bereits spürbar. Die US-Unternehmen agieren in Erwartung künftiger Belastungen vorsichtiger und investieren weniger. Sogar die aufstrebenden Volkswirtschaften — Stichwort Wachstumsverlangsamung in China — scheinen sich den Problemen in den wichtigen Exportmärkten nicht entziehen zu können.
Aber sind die Zeiten für Aktien wirklich so schwierig? Mitnichten! Es kommt nämlich vor allem darauf an, wie man mit der Situation umgeht. Ein Blick auf die Entwicklung der wichtigsten Aktienbarometer in den ersten drei Quartalen 2012 verdeutlicht, dass wir bislang ein durchaus erfolgreiches Börsenjahr hinter uns haben. Der MSCI World Index hat in diesen neun Monaten um fast zwölf Prozent zugelegt (Hinweis: alle Zahlen auf Eurobasis). Aber: Die Anstiege sind sehr ungleich verteilt. In New York konnte sich beispielsweise der marktbreite S & P 500 um mehr als 15 Prozent verbessern. Hingegen blieben die Leitindizes in der Eurozone und Japan hinter dieser Entwicklung zurück. So kletterten der Nikkei 225 und der Euro Stoxx 50 nur um knapp fünf beziehungsweise sechs Prozent. Aber auch hinter dieser Zahl verbergen sich deutliche Unterschiede. Während in Deutschland der Bluechipindex DAX ein Plus von mehr als 20 Prozent erzielte, hat der IBEX der spanischen Börse zehn Prozent verloren.
Steigende politische Risiken
für regionale Unternehmen
Noch deutlicher wird die starke Spreizung bei Betrachtung der einzelnen Unternehmen in den jeweiligen Indizes. Zum Beispiel reicht die Spanne bei den in den ersten neun Monaten 2012 im deutschen Leitindex geführten Aktien von Kursanstiegen in Höhe von knapp 40 Prozent — wie Henkel — bis zu Verlusten von 15 Prozent (wie Infineon). Zwischen Börsengewinnern und -verlierern liegen also satte 55 Prozentpunkte. An anderen Handelsplätzen (etwa in Tokio) sind die Unterschiede noch größer.
Für den Anleger resultieren daraus zwei wesentliche Befunde: Erstens ist die derzeitige Marktlage besonders geeignet für die gezielte Einzeltitelauswahl, das sogenannte Stock-Picking. Zweitens zahlt sich eine weltweite Streuung der Investitionen gerade jetzt aus, denn Schwächen im einen Markt werden durch Stärken an anderen Börsen ausgeglichen. Das Risiko-Rendite-Profil einer Anlage verbessert sich also durch globale Diversifikation.
Dieses Vorgehen erlaubt zudem die Umgehung politischer Risiken, deren Bedeutung für viele Unternehmen in den letzten Jahren zugenommen hat. So sind lokal gebundene Konzerne auf Gedeih und Verderb an ihre Heimatmärkte und deren Regierungen gefesselt. Sie können auf Verschlechterungen der Rahmenbedingungen weder durch Produktions- noch Absatzverlagerung reagieren. Flexible Unternehmen — etwa viele Technologie- oder Konsumfirmen — haben ihr Schicksal dagegen selbst in der Hand. Drohen radikale Markteingriffe (wie starke Steuererhöhungen, Preisbindungen oder Exportverbote), können sie ihr Geschäft sowie ihren Sitz notfalls verlagern — und sind allein dank dieser Ausweichmöglichkeit weniger häufig das Ziel solcher Maßnahmen.
Zwar sind die Börsen, wie eingangs erwähnt, mit einigen Problemen konfrontiert. Gleichzeitig haben sich aber viele Unternehmen darauf eingestellt. Aktien weisen damit nach wie vor Aufwärtspotenzial auf — nur eben nicht alle. Wer aber sein Anlageuniversum möglichst breit wählt, steigert die Renditechancen und verringert die Risiken. Wer darüber hinaus in die besten Geschäftsmodelle investiert, kann einen deutlichen Mehrwert gegenüber dem allgemeinen Markt erwirtschaften. Weltweit Rosinen picken ist also derzeit die erfolgversprechendste Anlagestrategie an den Aktienmärkten.
Zur Person:
Michael Schmidt,
Leiter Portfoliomanagement
Aktien bei Union Investment
Der Autor ist ausgebildeter Bankkaufmann, Diplom-Betriebswirt sowie Chartered Financial Analyst des CFA Institute in Virginia/USA. Er blickt auf eine zwölfjährige
Erfahrung im Aktienfondsmanagement
zurück.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit rund 180 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Asset-Manager für private und institutionelle Investoren.