US-Haushaltsstreit: Spiel mit dem Feuer
An der Börse reagieren die Anleger bislang gelassen. Sie warten kühl auf gute Einstiegschancen, denn bisher korrigierten Dow Jones und DAX nur um rund ein Prozent.
von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag
Die ersten direkten Ausläufer des US-Haushaltsstreits erfassten am Freitag die Wall Street: Weil die öffentliche Verwaltung in weiten Teilen stillsteht, fiel an diesem Tag auch der monatliche Arbeitsmarktbericht aus — einer der wichtigsten Konjunkturindikatoren.
Zum 17. Mal in der Geschichte des Landes hatte am vergangenen Dienstag die öffentliche Verwaltung an vielen Stellen zugemacht und bis zu 800 000 Staatsbedienstete in Zwangsurlaub geschickt. Doch die Börsianer nehmen den sogenannten „government shutdown“ bislang relativ gelassen, obwohl sich die Hoffnungen auf einen nur kurzen Stillstand inzwischen verflüchtigt haben.
Seit Beginn der Blockade jedenfalls büßten sowohl Dow-Jones-Index wie DAX lediglich rund ein Prozent ein. Auch die direkten Folgen für Unternehmen scheinen noch überschaubar. Ausnahme: Der US-Rüstungskonzern United Technologies etwa beurlaubt ab Montag 2000 Angestellte, weil er für die Abnahme seiner Militärprodukte, darunter der Helikopter Black Hawk, auf Bundesbeamte angewiesen ist.
Knackpunkt Schuldengrenze
Beobachter sind sich jedoch einig: Je länger die politische Haushaltsblockade andauert, desto gravierender wären die Konsequenzen — vor allem wenn die ebenfalls anstehenden Verhandlungen über eine Anhebung der Schuldenobergrenze platzen und die USA damit praktisch in die Pleite schlittern.
Ganz harmlos ist schon der Shutdown nicht: Er gefährdet die fragile Erholung der US-Wirtschaft bereits jetzt erheblich. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer schätzt, dass jede Woche Stillstand das US-Wirtschaftswachstum im vierten Quartal um bis zu 0,2 Prozentpunkte reduziert. Auch die Ausschläge an den Finanzmärkten würden zunehmen. „Dies waren jedoch in der Vergangenheit regelmäßig Kaufgelegenheiten“, sagt Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. „Angesichts der hohen Gewinne der Unternehmen stellen Rücksetzer an den US-Börsen gute Einstiegsmöglichkeiten dar, denn der Haushaltsstreit wird irgendwie gelöst werden müssen.“
Bis Mitte Oktober muss der Kongress über die Anhebung der Schuldengrenze entscheiden. Zum 17. Oktober ist das derzeitige Kreditlimit von 16,7 Billionen Dollar erreicht. Die Liquidität wäre erschöpft, auch der Schuldendienst könnte nicht mehr bedient werden — das Land wäre pleite. „Das wäre etwas ganz Neues für die Märkte, es würde große Unsicherheit einsetzen“, sagt Kater. „Denn es ginge nicht mehr um eine ökonomische Insolvenz des US-Haushalts, sondern um eine politische, und so etwas hat es noch nicht gegeben.“ Die Folge wäre Flucht in Sicherheit oder das, was man dann noch dafür hält: Anleihen aus Euroland etwa könnten profitieren, auch asiatische Märkte; Risikoklassen wie Aktien kämen unter die Räder.
Ähnlich sieht das Russ Koesterich, Chef-Investmentstratege beim Vermögensverwalter BlackRock. Gelänge es nicht, die Schuldenobergrenze anzuheben, hätte das weit dramatischere Folgen für die US-Wirtschaft und das globale Finanzsystem als der Haushaltsstreit. Vor allem an den Aktienmärkten käme es dann zu massiven Einbrüchen. „Ein Szenario, von dem als Anlageklasse wohl nur noch Gold klar profitieren könnte“, sagt Koesterich.
Den größten anzunehmenden Unfall sehen die Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft jedoch, „wenn die Märkte sagen: Wir steigen aus US-Anleihen aus.“ Dann würden die Zinsen in den USA steigen und die US-Notenbank müsste neue Milliarden in den Markt pumpen — die nächste Krise wäre da.
Allerdings rechnen die meisten Marktteilnehmer nicht mit einer solchen ultimativen Eskalation. So sind Drohgebärden in Verhandlungsprozessen schließlich ein normaler Vorgang, wenn auch ein Spiel mit dem Feuer. Und gerade eine Einigung in letzter Minute könnte eine Erholungsrally auslösen.
„Auch die Republikaner im US-Senat haben kein Interesse am finanziellen Selbstmord der USA“, sagt Deka-Experte Kater. „Das wahrscheinlichste Szenario ist eine weitere Vertagung der Probleme, mit einer weiteren Frist und einer neuen Obergrenze, für den nächsten Show-down.“