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Siemens: Wie der Chef mit Hightech Gas geben will

30.12.15 03:00 Uhr

Siemens: Wie der Chef mit Hightech Gas geben will | finanzen.net

In seinem dritten Jahr als Chef von Siemens will Joe Kaeser den Vorwärtsgang einlegen und den Umsatz ­ankurbeln. Innovationen sollen es richten.

von Stephan Bauer, Euro Magazin

Der rote Roboter schnappt sich ein Blech und legt es passgenau auf die Karosse. Zwei einarmige Kollegen zücken ihre Zangen und schweißen das Dach auf die Stahlkonstruktion. Bis zu 200 Exemplare der Sport-Limousine Ghibli stellt Maserati in Grugliasco bei Turin pro Tag her. Die Choreografie für den Tanz der Maschinen im hochmodernen Werk der Fiat-Tochter kommt aus dem Computer. Die gesamte Fertigung des Fahrzeugs läuft auf Basis einer Software von Siemens. Mit dem Programm haben die Italiener den Renner mit dem Dreizack im Logo im Rekordtempo von nur 16 Monaten entwickelt. Früher brauchte solch ein Projekt gut doppelt so lange.

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Software ist Programm. 7500 Ingenieure beschäftigen sich bei Siemens nur mit Programmierung, das ist selbst für ein Großunternehmen aus der Indus­triebranche viel. Die Spezialisten haben eine Art Rundumsorglos-Paket für Industriekunden entwickelt: Die Planung von Produktionsanlagen wie einer solchen Autofabrik, die Überwachung und Verbesserung der Herstellung, selbstverständlich Produktdesign inklusive Simulationen wie etwa des Fahrbetriebs - all das lässt sich auf der Softwareplattform der Deutschen bewerkstelligen.

In der Automobilwelt ist der DAX-Konzern mit seinem realen und virtuellen Know-how eine große Nummer. Nicht nur Fiat einschließlich Chrysler baut auf ihn. Auch alle deutschen Marken haben die Programme im Rechner. Der Premiumautobauer Daimler etwa hat unlängst alle Fabriken weltweit mit der Automatisierungssoftware der Bayern ausgerüstet. Sie spart der Autoindustrie viel Zeit bis zur Marktreife der Produkte - das ist bares Geld im harten Wettbewerb.

Tanz der Roboter. Es hat lange gedauert, aber heute ist Siemens weltweit die Nummer 1 in der Industrieautomatisierung - und Technologieführer. "Wir sind dem Wettbewerb hier meilenweit vo­raus", sagt Vorstandschef Joe Kaeser. Angefangen hat es in den 50er-Jahren mit einer Produktionssteuerung namens "Simatic". Fast 60 Jahre später gibt es die Marke noch immer. Bloß die Technik ist viel komplexer geworden und lässt weltweit Roboter in Hunderten Fabriken werkeln. In dieser Spitzenposition sieht ­Kaeser eine Riesenchance für den 168 Jahre alten Großkonzern. Auf das Umsatzpotenzial der Industriedigitalisierung - das sind nach Schätzungen der Schweizer Bank UBS bis 2020 global über 280 Milliarden Dollar im Jahr - hat es der Niederbayer abgesehen.
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Dass auch der Wettbewerb scharf auf die Milliarden ist, weiß Kaeser nur allzu gut. Deshalb investiert er kräftig, vor ­allem in die Digitalisierung, die neben der Industrie auch Konzernbereiche wie die Energie- und die Medizintechnik ver­ändert. Für die Ingenieure gibt es im ­Geschäftsjahr 300 Millionen Euro obendrauf. 4,8 Milliarden Euro sind im Budget, etwa sechs Prozent vom Umsatz - die Forschungsquote liegt damit über der des US-Rivalen General Electric.

Ohne Innovationen geht es nicht, das ist Manager-Lehrbuch, Lektion 1. Doch der Chef will mehr und plant eine hauseigene "Innovations AG", die zusammen mit Start-ups Geschäfte der ­Zukunft entdecken und entwickeln soll. Siemens soll keine Chancen mehr verpassen und sich von Angreifern etwa aus der IT-Welt etwas wegschnappen lassen.

"Disruptiv" nennen Manager Geschäftsmodelle, die den eigenen Umsatz wegzufressen drohen. Solche Monster kennt jeder Spielwarenhändler, ein besonders gefräßiges heißt Amazon. Kae­ser beäugt beispielsweise den US-Technologie­riesen Alphabet (ehemals Google). Der Konzern aus dem ­Silicon Valley, der seinen Erfolg auf Software-Know-how aufbaut, investiert in Robotertechnik. Das ist verdammt nah dran an der Automatisierung. Sogar im Energie­bereich, dem zweiten großen Feld, das es für Siemens zu verteidigen gilt, expe­rimentieren die Kalifornier. Mit Wind­rädern, die an großen Drachen über dem Meer schweben.
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"Intel-Gründer Andy Grove hat mal ein Buch geschrieben: ‚Nur die Paranoiden überleben‘", sagt Kaeser. Der Chef kennt den brutalen Verdrängungskampf in der Technologiebranche nur allzu gut - das Jahr 2000: Siemens war weltweite Nummer 1 in der Telekommunikationstechnik, ein Drittel des Umsatzes kam aus diesem Bereich. Dann machte der US-Konzern Cisco die Relais und Schaltungen der Deutschen mit seiner Internettechnik obsolet.

Digitaler Stress. "Das darf nie wieder passieren", sagt der Vorstandschef, der seit fast 35 Jahren Siemensianer ist. Unermüdlich beschwört der 58-Jährige den Erfindergeist, der die Firma zum Weltkonzern wachsen ließ. Wie Unternehmer sollen die Mitarbeiter handeln, die Extrameile gehen. Zugleich aber ist die Mannschaft mit dem größten Umbau- und Sparprogramm seit 25 Jahren konfrontiert, einem Teil von Kaesers "Vision 2020". Der Masterplan verlangt allen viel ab. "Es gibt kaum jemanden bei uns, der kein neues Türschild hat", erzählt ein Manager.

Es ist ein Kraftakt. Auch Kaeser selbst wirkt in seinem dritten Jahr an der Spitze abgekämpft. Der Chef will alles: Mehr Effizienz, mehr Innovation, und endlich - Wachstum. Für 2016 hat er dem Kapitalmarkt ein Umsatzplus fest versprochen. Er weiß, dass davon auch sein Job abhängt. Vorgänger Peter Löscher musste nach einer verfehlten Prognose gehen.

Im Vorjahr schrumpfte das Geschäft noch leicht. Bis September 2016 sollen es drei bis fünf Prozent Umsatzplus werden. Klingt bescheiden - doch Kaeser will einen Neuanfang. Im nächsten Geschäftsjahr sieht die Vision 2020 "beschleunigtes Wachstum und Outper­formance" vor. Gelingt das, wäre es für Siemens eine echte Innovation: Seit über einem Jahrzehnt stagniert der Umsatz.

Gewiefter Taktiker. Der Kapitalmarkt ist skeptisch. Die Anfangsbegeisterung der Börsianer für den neuen Chef ist verflogen, der Aktienkurs tritt schon geraume Zeit auf der Stelle. Gern verweist der Ex-Finanzchef deshalb auf Vorzeigegeschäfte. "Die digitalen Dienstleistungen wachsen um 15 Prozent pro Jahr", sagt Kaeser. Kunden aus der Energiebranche bietet Siemens hier etwa die Fernüberwachung von Gasturbinen oder Windparks an. 2015 brachten solche Dienste rund 600 Millionen Euro, weniger als ein Prozent des Konzernumsatzes.

Kleine Rennboote schaffen bekanntlich leicht ein hohes Tempo. Um einen Supertanker wie Siemens zu beschleunigen, braucht es jedoch sehr viel Kraft. Immerhin: Das Auftragspolster ist rund 110 Milliarden Euro schwer.

Die Hälfte dieses Orderbestands entfällt auf die Energiesparten. Große Dynamik ist von der größten Sparte aber erst mal nicht zu erwarten. Dabei hatte sich Kaeser etwa von Ausrüstungen für Öl- und Gasproduzenten viel versprochen. Kompressoren oder Pumpen für die Exxons dieser Welt fanden noch 2013 reißenden Absatz. Statt in einen Boommarkt kaufte sich Siemens 2014 mit dem US-Spezialisten Dresser-Rand aber in eine waschechte Baisse ein. Der Ölpreis fiel um fast zwei Drittel, die Energieriesen kürzten ihre Investitionen dramatisch. Inzwischen stabilisiert sich das Geschäft.

Bei Gasturbinen geht immerhin wieder was. Das war lange anders. In Deutschland ist das fossile Kraftwerks­geschäft seit der Energiewende zwar so gut wie tot. Und im weltweit größten Markt, den USA, sammelte Rivale General Electric nach Fehlplanungen von Siemens reihenweise Aufträge ein. Doch im Sommer holte Siemens die bislang größte Order der Firmen­geschichte: Bis zu acht Milliarden Euro Volumen bringt der Handschlag Kaesers mit Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi. 24 große Turbinen für die größten Kraftwerke der Welt liefern die Deutschen - plus zwei Windparks. Das Geschäft rückt Siemens bei großen Turbinen wieder an die Spitze des Weltmarkts. Und es sorgt über das Geschäftsjahr hinaus für Dampf. "Der Deal sollte das Umsatzwachstum des Bereichs in den kommenden Jahren antreiben", sagt Analyst Andreas Willi von der US-Bank JP Morgan.

Mehr Dynamik. Schwung soll auch aus der Energieübertragung kommen, die soeben eine effizientere Technik zum Transport von Offshore-Windstrom entwickelt hat. Zudem schieben gut gefüllte Orderbücher in der Medizin sowie der Verkehrstechnik den Umsatz an. "Fast alle Bereiche werden im laufenden Geschäftsjahr wachsen", verspricht Kae­ser.
 Nach all den Strategiegrübeleien, Umbauten und Einschnitten gibt es durchaus positive Impulse beim deutschen Industrie-Urgestein. Aber wie es künftig wirklich laufen wird? "In einem Mischkonzern schließt man immer Wetten auf die Zukunft ab", sagt Kaeser.

Das ist wohl wahr. Was nutzen Milliarden Dollar Umsatzpotenzial in der Industriedigitalisierung, wenn die Kunden klamm sind. China ist hier nach Deutschland der zweitgrößte Markt für Siemens. Im fernen Osten läuft es wirtschaftlich aber nicht rund. Nur wenn das Geschäft dort wieder anzieht, kann Kaeser an seiner Jahresprognose festhalten. Die Schwäche im Reich der Mitte spüren auch die Leute bei Maserati. Eine Woche standen die Bänder in Grugliasco im November schon still, weil die Kundschaft in Peking oder Shanghai weniger kaufte. Über den Jahreswechsel werden die roten Roboter wahrscheinlich sogar vier Wochen ruhen.
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Bildquellen: AR Pictures / Shutterstock.com, Siemens

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