Wenn Kinder unterhaltspflichtig werden
Reicht die Rente nicht fürs Pflegeheim, bittet Vater Staat schnell die Angehörigen zur Kasse. Welche Kosten der Nachwuchs übernehmen muss und welche nicht.
von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag
Eltern sind gesetzlich verpflichtet, ihren Kindern Unterhalt zu leisten. Doch auch der umgekehrte Fall gilt: Sind Eltern bedürftig, werden Kinder unterhaltspflichtig. „Das ist vor allem brisant, wenn es um die Unterbringung in einem Pflegeheim und die damit verbundenen Kosten geht“, sagt Karin Damm, Fachanwältin für Familienrecht. Reichen Rente und Pflegeversicherung für den Aufenthalt im Heim nicht aus und ist auch das elterliche Vermögen aufgezehrt, greift das Sozialamt auf Kinder zurück.
Die rechtliche Handhabe hierfür bietet das Sozialbuch XII, das die Leistungen für die Heimunterbringung regelt. Laut Paragraf 94 geht in diesem Fall der Unterhaltsanspruch des Elternteils oder der Eltern auf den Sozialleistungsträger über. Dieser schreibt die Kinder an und fordert sie auf, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen. Ganz wichtig: Diese Verpflichtung gilt nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Schwiegerkinder. Jedoch darf das Sozialamt deren Vermögen nicht für den Unterhaltsanspruch der Schwiegereltern heranziehen.
Und mit welchen Belastungen müssen Kinder rechnen? Grundsätzlich gilt: „Der Unterhaltsbedarf bei der Unterbringung im Pflegeheim richtet sich – anders als sonst beim Unterhalt – nach den tatsächlich entstandenen Kosten“, sagt Familienrechtexpertin Damm. Spielraum ergibt sich in der Frage, ob es sich um die Unterbringung im Standard- oder Luxuspflegeheim handelt. Auf Letzteres besteht kein Anspruch.
Dazu ein Beispiel der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV): Eine alleinstehende Mutter mit einem Kind wird im Alter so pflegebedürftig, dass sie in die Pflegestufe III eingruppiert wird. Ein Pflegeplatz kostet 3600 Euro im Monat. Die Mutter hat eine monatliche Rente von 1300 Euro, dazu erhält sie aus der Pflegeversicherung 1432 Euro monatlich. Unterm Strich bleiben 868 Euro nicht gedeckter Kosten pro Monat. Das Sozialamt fordert also Unterhalt in dieser Höhe.
So weit die Forderung, doch was muss das Kind tatsächlich zahlen? Zunächst ist dafür erst mal das bereinigte Nettoeinkommen zu berechnen. Das bedeutet, dass für eine angemessene Altersversorgung fünf Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens und bei anderen Einkunftsarten 25 Prozent abgezogen werden dürfen, ebenso bereits laufende Schuldzinsen. Von diesem bereinigten Einkommen bleibt dem unterhaltspflichtigen Kind auf alle Fälle ein Selbstbehalt von 1400 Euro. Von dem, was über dem Selbstbehalt liegt, wird in der Regel die Hälfte für den Unterhalt herangezogen. Hat das Kind 1800 Euro bereinigtes Einkommen, können 200 Euro zum Elternunterhalt herangezogen werden. Wäre das Kind verheiratet, käme für den nicht verdienenden Partner ein Selbstbehalt von 1050 Euro hinzu. Beide zusammen kämen somit auf 2450 Euro Selbstbehalt.
„Im Einzelfall gibt es jedoch viele Besonderheiten“, erläutert Gudrun Doering-Striening, Rechtsanwältin und stellvertretende Vorsitzende der DAV-Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht. So könne sich der Selbstbehalt erhöhen, wenn etwa die Warmmiete der bewohnten Wohnung mehr als 450 Euro betrage, wie sie im Selbstbehalt einkalkuliert sei.
In der Rechtsprechung ist mittlerweile auch anerkannt, dass Kinder ihren erworbenen Lebensstandard, zumindest wenn er angemessen ist, nicht für den Unterhalt ihrer Eltern aufgeben müssen. Daraus folgt etwa: Sofern das selbst genutzte Eigenheim nicht in die Kategorie Luxusvilla fällt, ist dieses ebenso geschützt wie die eigene Altersvorsorge. Was hier als angemessen gilt, ist ziemlich genau umrissen: Einem Kind ist das Vermögen zu belassen, das es im Lauf seines Berufslebens durch Einsatz von fünf Prozent seines aktuellen Bruttoeinkommens und unter Annahme einer Rendite von vier Prozent angespart hat.
Auch dazu hat die DAV-Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht eine Beispielrechnung parat: Ein unterhaltspflichtiges Kind hat ein Bruttoeinkommen von 2134,85 Euro. Für die Altersvorsorge dürfen davon fünf Prozent oder 107,19 Euro monatlich angespart werden. Bei einer Verzinsung von vier Prozent errechnet sich daraus nach 35 Jahren ein Altersvorsorgekapital von 98 526,88 Euro. Im Einzelfall kann der Betrag aber auch wesentlich höher sein.
Was können Kinder tun, wenn sie zum Unterhalt verpflichtet werden? „Die Sozialämter handhaben und berechnen den Elternunterhalt durchaus unterschiedlich, sodass es in jedem Fall ratsam ist, eine Zahlungsaufforderung sorgfältig zu prüfen“, rät DAV-Expertin Doering-Striening. Diese Aufforderung sei im Übrigen kein hoheitlicher Bescheid, den man anfechten müsse, sondern das Sozialamt müsse den Unterhaltspflichtigen, wenn’s hart kommt, verklagen. Zudem dürfen die Sozialämter nicht unbegrenzt rückwirkend Unterhalt verlangen. „Wenn das Amt erst nach Jahren auf die Idee kommt, bei Kindern die Unterhaltspflicht zu prüfen, dann beginnt diese an dem Tag, an dem die Aufforderung zur Offenlegung der Einkommensverhältnisse dem Kind zugeht“, so die Anwältin. Auch durch eine zu lange Zeitspanne bis zur Entscheidung kann der Anspruch des Sozialamts verwirkt werden. „Wer all seinen Pflichten, etwa der Auskunftspflicht, nachgekommen ist, kann nach einem Jahr mit dem Einwand, der Anspruch sei verwirkt, Erfolg haben“, sagt Doering-Striening. Ohne Verwirkung verjähren Unterhaltsansprüche generell nach drei Jahren.
Wer trotzdem zum Elternunterhalt verpflichtet wird und bei der Minderung der finanziellen Folgen auf den Fiskus setzt, hat meist Pech. Der Bundesfinanzhof hat entschieden, dass Heimkosten als außergewöhnliche Belastung nur dann steuermindernd wirken, wenn sie mehr als fünf Prozent des Einkommens des Steuerpflichtigen ausmachen.
Urteile zum Thema
Altersvorsorge der Kinder muss unangetastet bleiben, BVerfG 1 BvR 1508/96
Angemessener Selbstbehalt muss gewährleistet sein, BGH XII ZR 266/99
Ehegatten-Unterhaltspflicht muss berücksichtigt werden, BGH XII ZR 67/00
Fehlende Bedürftigkeit trotz Bezug von Sozialhilfe, BGH XII ZR 272/02
Heimkosten als außergewöhnliche Belastung, BFH VI R 60/08
Quelle: eigene Recherche