Kein Verdienstausfall

Pflegezeit: Mehr Hilfe, um zu helfen

22.11.14 03:00 Uhr

Pflegezeit: Mehr Hilfe, um zu helfen | finanzen.net

Ab Januar gibt es für Berufstätige Lohnersatzleistungen, die eine kurze Auszeit nehmen, um Angehörige zu pflegen. Wer länger pausiert, muss den Staat anpumpen.

von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag

Wenn Oma plötzlich zum Pflegefall wird, brauchen berufstätige Familienangehörige Hilfe  - auch von ihrem Arbeitgeber. Ohne im Job kürzerzutreten oder befristet auszusteigen, lässt sich der Spagat zwischen Haushalt, der eigenen Familie und der Organisation der Pflege kaum bewältigen.

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Einen Platz im Pflegeheim zu besorgen oder sich um eine andere ­Lösung und die nötigen Bankvollmachten und ärztliche Gutachten zu kümmern, kostet Zeit und noch mehr Nerven. Seit einigen Jahren können Berufstätige zwar eine Auszeit von bis zu zehn Tagen nehmen, wenn sie kurzfristig Angehörige selbst pflegen oder Hilfe organisieren müssen, auf ihr Gehalt müssen sie aber währenddessen verzichten - bis jetzt.

Denn um pflegende Angehörige auch materiell zu unterstützen, wird ab 1. Januar 2015 die kurzfristige Auszeit im akuten Pflegefall eines nahen Angehörigen genauso behandelt, als ob berufstätige Eltern sich bis zu zehn Tage um ihr krankes Kind kümmern und deshalb nicht arbeiten können. Konkret: Beschäftigte bekommen die zehntägige Pflegezeit bezahlt. Das geplante Pflegeunterstützungsgeld orientiert sich am Kinderkrankengeld der gesetz­lichen Krankenversicherung.

Mit dem Gesetz "zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf" von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) haben berufstätige Pflegende ab kommendem Jahr Anspruch auf Lohnersatz während der kurzzeitigen Jobauszeit. "So können sie sich auf das Organisatorische konzentrieren und müssen sich keine Sorgen um den Lohnausfall machen", erklärt Wolfgang Flemming, Pflegeexperte bei der Techniker Krankenkasse (TK). Zudem bringt das Gesetz zwei weitere Änderungen für pflegende Angehörige mit sich: die sechsmonatige Pflegezeit und die zweijährige Familienzeit, beide mit Anspruch auf ein zinsloses Darlehen.

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Nahe Angehörige sind der größte Pflegedienst der Nation. Insgesamt rund 400.000 Beschäftigte pflegen neben ihrem Beruf laut Schätzungen des Bundesfamilienministeriums nahe Angehörige daheim. Kein Wunder: Wenn es ernst wird, sind die Familienangehörigen gefordert. Und die treten kürzer. Beschäftigte, die plötzlich mit einem akuten Pflegefall konfrontiert werden, reduzieren laut einer Studie der TK ihre Arbeitszeit öfter als Angehörige, die langsam in die neue Situation hineinwachsen. Fast zwei Drittel der Befragten kümmern sich sogar täglich um pflegebedürftige Angehörige.

Künftig können sie die Auszeit flexibler gestalten. Sie müssen sich nicht zehn Tage am Stück freistellen lassen. Sie können diese Zeit auch aufteilen. Im Ernstfall müssen sie den Arbeitgeber unverzüglich schriftlich informieren. Ein ärztliches Attest über die Pflegebedürftigkeit sollte beigefügt werden. Die Lohn­ersatzleistung entspricht den Leistungen in Höhe des sogenannten Kinderkrankengelds und ist auf maximal 90 Prozent des Nettoarbeitslohns begrenzt. Bei freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Berufstätigen wird nur der Lohn bis zur Höhe der kalendertäglichen Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenversicherung berücksichtigt. Das sind maximal 96,25 Euro brutto pro Tag.

Der Nachteil: Beamte, die nahe Angehörige pflegen, bekommen nach dem derzeitigen Kabinettsentwurf kein Pflegeunterstützungsgeld. Der Bundesrat hat diese Ungleichbehandlung in seiner Stellungnahme vom 7. November gerügt. Privatversicherte, die pflegen, bekommen die Unterstützung von ihrer privaten Pflegeversicherung.

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Die Lohnersatzleistung kostet laut Angaben des Bundesfamilienministeriums rund 100 Millionen Euro. Das soll aus der Pflegeversicherung bezahlt werden. Dafür werden letztlich alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber zur Kasse gebeten. Sie zahlen 2015 höhere Beiträge in der gesetz­lichen Pflegeversicherung. Allgemein steigt der Beitragssatz um 0,3 Prozentpunkte auf 2,35 Prozent des Bruttogehalts. Die Hälfte davon zahlen Arbeitgeber. Kinderlose tragen ab dem 23. Lebensjahr den Beitragssatz von 2,6 Prozent allein.

Sechs Monate raus aus dem Job
Wer sich länger um pflegebedürftige Angehörige kümmern muss, kann seine Erwerbstätigkeit auch länger unterbrechen. Bis zu sechs Monate Auszeit aus dem Job können Berufstätige zur Pflege von Ange­hörigen nehmen. Während dieser Zeit kann ihnen nicht gekündigt werden.

Um den Verdienstausfall auszugleichen, haben Betroffene ab Januar Anspruch auf ein zinsloses Darlehen. Der Kredit deckt maximal die Hälfte des durch die Arbeitszeitreduzierung fehlenden Nettogehalts ab. Beantragen können Interessierte das Dar­lehen direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln. Nach der Pflegezeit müssen sie das Darlehen ratenweise zurückzahlen. Wer klamm ist, kann einen Antrag auf Stundung oder Erlass stellen. Das Ausfallrisiko trägt das Bundesfamilienministerium.

Nachteil: Einen gesetzlichen Anspruch auf diese Pflegezeit hat nur, wer in einem Betrieb mit mehr als 15 Beschäftigten tätig ist. Arbeitnehmer in kleinen Handwerksbetrieben sind auf den guten Willen ihres Arbeitgebers angewiesen. Das zinslose Darlehen sollen sie trotzdem beantragen können. In der Regel werden Angehörige aber zusätzlich auf das Pflegegeld angewiesen sein, das die Pflegekasse Pflegebedürftigen im Fall der häuslichen Pflege zahlt.

Bislang unklar ist außerdem, ob dem Arbeitnehmer für die Zeit der vollständigen Freistellung ein gesetzlicher Urlaubsanspruch zusteht. Ferner können Beschäftigte die halbjährige Pflegezeit nicht aufteilen. Wer sich nach diesen sechs Monaten weiter um nahe Angehörige kümmern muss, kann im Anschluss daran noch maximal 24 Monate beruflich kürzertreten, das heißt die wöchentliche Arbeitszeit auf lediglich 15 Stunden beschränken. Dies sollte aber spätestens acht Wochen zuvor gegenüber dem Arbeitgeber angekündigt werden. Wichtig: Details über Teilzeit sollten Angestellte mit dem Arbeitgeber schriftlich vereinbaren. Das gilt auch, wenn schwer kranke minderjährige Kinder außerhäuslich gepflegt werden müssen, denn auch dann haben Eltern künftig Anspruch, freigestellt zu werden.

Pflegekasse zahlt Rentenbeiträge
Weitere Neuerung: Teilen sich Geschwister etwa die Pflege ihrer Eltern, können sie jeweils einzeln die Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. Aus 24 Monaten kann dadurch eine Pflegeauszeit von vier, sechs oder mehr Jahren werden. Arbeit­geber zahlen während der Familienpflegezeit und der Nachpflegephase Beiträge zur Rentenversicherung auf Basis des reduzierten Gehalts. "Zusätzlich überweist die Pflegekasse der Rentenversicherung für die geleistete Pflege Beiträge, wenn der Pflegeaufwand mindestens 14 Stunden und die Erwerbstätigkeit höchstens 30 Stunden pro Woche beträgt", erklärt Anja Ludwig vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt. Die Pflegezeiten werden in der Rentenversicherung anerkannt.

Der Nachteil: Die Nachfrage von Arbeitnehmern nach einer teilweisen Freistellung vom Job ist wegen der fehlenden Verdienstausfallregelung gemäß der bisherigen Regelung ein Flop. Das zinslose Darlehen kann die Lohneinbußen nicht vollständig ausgleichen. Viele pflegende An­gehörige bleiben auf das Pflegegeld angewiesen. Tipp: Private Pflegetagegeldpolicen zahlen ein Tagegeld, das an pflegende Angehörige weitergegeben werden kann. 

Die wichtigsten Änderungen

• Angestellte, deren Angehörige zum Pflegefall werden, haben Anspruch auf zehn Tage Auszeit mit Lohnersatz. Die zehn Tage müssen nicht am Stück genommen werden.
• Die Krankenkasse/private Pflegeversicherung zahlt Pflegenden maximal 90 Prozent des Nettoarbeitslohns, höchstens aber 96,25 Euro pro Tag.
• Arbeitnehmer, die Angehörige sechs Monate ununterbrochen pflegen, haben Anspruch auf ein zinsloses Darlehen - allerdings höchstens in Höhe der Hälfte des entgangenen Einkommens.

Bildquellen: linerpics / Shutterstock.com, Marijus Auruskevicius / Shutterstock.com