Rückgang bei Tech-Börsengängen: Darum dürfte die Stimmung am IPO-Markt auch 2023 verhalten bleiben
Schossen neue Börsenkandidaten 2021 noch wie Pilze aus dem Boden, hat sich das Marktumfeld für IPOs im letzten Jahr schlagartig verschlechtert. Ben Rose von Battle Road Research rechnet nicht damit, dass sich die Stimmung am IPO-Markt allzu bald aufhellt.
Werte in diesem Artikel
• Starkes IPO-Jahr 2021
• Zinswende, Inflation und Ukraine-Krieg drücken Stimmung
• Disziplin von IPO-Kandidaten gefordert
2021 Spitzenjahr für Börsengänge
War die Unsicherheit am Markt im ersten Corona-Jahr 2020 anfangs noch groß, profitierten anschließend besonders Tech-Konzerne von den Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Dieses freundliche Umfeld machten sich vor allem Startups zunutze und wagten den Gang aufs Börsenparkett. Besonders die IPOs von Schwergewichten wie der Krypto-Plattform Coinbase, der Trading-App Robinhood und dem Tesla-Konkurrenten Rivian fanden viel Beachtung. Das Börsendebüt des E-Autoherstellers mauserte sich mit einem Erlös von 11,9 Milliarden US-Dollar gar zum größten IPO des Jahres 2021.
Flopjahr 2022
2022 herrschte dann aber ein gänzlich anderes Bild. Nicht nur sorgten hohe Inflationsraten für Zurückhaltung unter den Tech-Unternehmen, auch der Krieg in der Ukraine verunsicherte Firmen und Anleger gleichermaßen. Mit dem Einläuten der Zinswende änderte sich das Umfeld für junge Startups schlagartig, da die Bewertungen der noch nicht profitablen Neuzugänge an das frühere Niedrigszinsniveau gekoppelt waren. Die Folge: Zahlreiche Börsenkandidaten, die zuvor IPOs angekündigt hatten, verschoben die Börsengänge oder sagten sie sogar ganz ab. Mit der VW-Tochter Porsche und dem Intel-Spinoff Mobileye fanden sich im IPO-Jahr 2022 aber trotzdem ein paar wenige Mutige.
Tristes Umfeld für Börsenkandidaten
Ben Rose, Präsident des Analyseunternehmens Battle Road Research, ist nun der Meinung, dass die "Quelle für Tech-IPOs" versiegt ist - und sich daran auch allzu bald nichts ändern dürfte. In einem Kommentar für das Marktportal "MarketWatch" erklärte der Experte, was es mit der IPO-Flaute im vergangenen Jahr auf sich hatte und warum er auch für 2023 nicht besonders optimistisch ist.
40er-Regel längst überholt
Rose zufolge galt unter Tech-Konzernen lange die 40er-Regel, die besagt, dass sich Umsatz- und Gewinnwachstum auf mindestens 40 Prozent summieren müssen, um eine nachhaltige Nachfrage nach der Bewertung eines Unternehmens zu garantieren. "Diese Formel hat mehrere Jahre lang funktioniert, bevor die Tech-Aktien im letzten Jahr auf Talfahrt gingen", so der Experte. Wuchsen die Branchenriesen während der Corona-Pandemie noch stark und stellten infolgedessen zahlreiche neue Mitarbeiter ein, kristallisierte sich mittlerweile heraus, dass das Wachstum nicht nachhaltig war. Aus diesem Grund kündigten Konzerne wie Google, Amazon, Meta Platforms & Co. jüngst umfassende Stellenstreichungen an. "Die Entscheidung von Unternehmen, die bereits profitabel waren, ihre Betriebskosten zu senken, ist ein Zeichen dafür, dass sich das Terrain von einem Umsatzwachstum um jeden Preis hin zu einem Wachstum mit einem nachhaltigen Rentabilitätsniveau verlagert hat", bekräftigte Rose.
Verändertes Umfeld
Betrachtet man die Technologieunternehmen, die 2021 bereits geraume Zeit an den Börsen notiert waren, erreichten diese im Jahr vor ihren jeweiligen Börsengängen bereits ein Umsatzwachstum von oftmals mehr als 20 Prozent, so Rose. Diejenigen Unternehmen, die erst 2021 an der Börse starteten und die Rose im Rahmen der eigenen "Battle Road IPO Review" beobachtete, waren im Jahr zuvor nicht nur nicht profitabel, sondern markierten sogar deutliche Verluste. "Die Unternehmen waren nicht nur nicht in der Lage, einen Gewinn zu erwirtschaften, sondern verzeichneten praktisch alle im Vergleich zum Vorjahr sogar noch höhere Verluste, so als würden die Unternehmen von ihren Aktionären dazu gedrängt, sich ein letztes Fest zu gönnen, um das Umsatzwachstum anzukurbeln", erklärte der Analyst. "Viele dieser Unternehmen versprachen, dass sie nach ihrem Börsengang eine kontinuierliche Diät mit reduzierten Betriebskosten einschlagen würden, um einen vernünftigen Weg zur Rentabilität aufzuzeigen."
Fokus auf Rentabilität
Wenn Unternehmen noch nicht profitabel sind, verpflichten sie sich dazu, Anlegern zu beweisen, dass sie über ein funktionsfähiges Geschäftsmodell verfügen, so Rose. "Die Sorge besteht darin, dass ein Unternehmen, das heute Geld verliert, morgen mit zukünftigen Aktienemissionen oder Wandelanleihen gerettet werden muss, was wiederum die Interessen der bestehenden Aktionäre verwässert." Auch Aktienrückkäufe seien für solche Unternehmen noch in weiter Ferne.
Umgekehrt sei Rentabilität ein Anzeichen dafür, dass ein Unternehmen nicht nur das Potenzial, sondern auch die Macht darüber hat, "sein eigenes Schicksal zu bestimmen".
Disziplin von Börsenkandidaten gefordert
Börsenkandidaten, die noch in diesem Jahr den Handel aufnehmen wollen, müssten demnach die Disziplin mitbringen, nicht nur den Umsatz zu steigern, sondern auch die Verluste zu schmälern. Rose ist jedoch der Meinung, dass nur wenige Unternehmen mit IPO-Plänen die nötigen Eigenschaften mitbringen. "Die Botschaft, dass Wachstum um jeden Preis nicht mehr ausreicht, wird jedoch auf die harte Tour gelernt", so der Analyst. Dies sei möglicherweise als Zeichen dafür zu verstehen, dass die Zeit für einen Börsengang einfach noch nicht gekommen sei. "Ein Unternehmen, das heute nicht in der Lage ist, Gewinne zu erwirtschaften - ganz gleich, wie vielversprechend seine Wachstumsaussichten sind - ist möglicherweise noch nicht bereit für die Turbulenzen des Aktienmarktes", fuhr Rose fort. "Und wenn ein unrentables Unternehmen durch das Fenster des Börsengangs schlüpft, muss es wahrscheinlich von einer neuen Runde von öffentlichen oder privaten Investoren gerettet werden."
Kurze Liste für 2023
Im Vergleich zum IPO-Jahr 2021 ist die Liste an Unternehmen, die sich noch 2023 aufs Börsenparkett wagen wollen, relativ kurz. Im Februar startete in Deutschland bereits IONOS, die Hosting-Tochter von 1&1, an der Börse, weitere Kandidaten sind unter anderem der Chipdesigner Arm, die Novartis-Tochter Sandoz und der Chiphersteller Ampere. "Solange private Unternehmen und ihre Geldgeber nicht erkennen, dass sich das Terrain von Wachstum um jeden Preis zu Gunsten von Wachstum in Verbindung mit Gewinnen - oder zumindest einem kurzfristigen Weg in die Gewinnzone - verlagert hat, wird der Brunnen für Börsengänge im Technologiebereich wahrscheinlich trocken bleiben", ist sich Rose sicher.
Citi-Analysten für 2023 zuversichtlicher
Deutlich optimistischer zeigten sich im Dezember jedoch Analysten der US-Großbank Citigroup. Laut "finews.ch" rechnet Citi-Stratege Valery Barrier damit, dass sich das wirtschaftliche Umfeld 2023 deutlich aufhellen wird, was auch dem Markt für IPOs wieder Antrieb verleihen dürfte. "Die Investorenbasis für private Minderheits-Platzierungen von Kapitalbeteiligungen hat an Struktur gewonnen, und sie verfügt über besser definierte Prozesse", so der Analyst. Dennoch sei kein schlagartiger Stimmungswechsel zu erwarten. Zunächst werde es nach wie vor zu einigen IPO-Absagen oder -Verschiebungen kommen, ehe sich nach und nach mehr junge Unternehmen aufs Parkett wagen, so Barrier.
Redaktion finanzen.net
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