Zweite Geige, eigener Einsatz
Bei der pompösen Kundgebung zu seinem zunehmend wackelnden Gaza-Friedensdeal kündigte Donald Trump an, sich nun auch Russland zuzuwenden: „Jetzt packen wir auch Russland an“, so seine frei übersetzte Ansage. Gesagt, getan: Nur eine Woche später empfing der selbsternannte Friedenspräsident nicht nur den ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Washington, sondern hatte zuvor bereits mit Wladimir Putin telefoniert. Der nächste Schritt sollte eigentlich ein Gipfeltreffen des amerikanischen und russischen Präsidenten bei ihrem gemeinsamen Freund Viktor Orbán in Budapest sein. Dieses wird aber nun wegen potenzieller Aussichtslosigkeit auf ungewiss verschoben.Donald Trump war nicht der Einzige, der eine direkte Linie von Gaza in die Ukraine zog. Bundeskanzler Merz appellierte ebenso wie Wolodymyr Selenskyj an den Dealmaker, sein Friedenswerk aus dem Nahen Osten nun in der Ukraine fortzusetzen. Doch reine Appelle von der Seitenlinie sind in dieser Situation nicht der richtige Weg. Das zeigt auch ein Blick auf das Zustandekommen des Gaza-Abkommens: Das Erfolgsrezept war eine Kombination aus unverblümter amerikanischer Machtausübung, basierend auf einem aus der Region selbst initiierten Plan – eingefädelt durch eine Form von Privatdiplomatie.Den Ausschlag gab letztlich der direkte Druck Washingtons auf die Hamas und die israelische Regierung, verbunden mit der Bereitschaft des Präsidenten, sich selbst als Garant des Friedens zu inszenieren. Entscheidend für das Zustandekommen dieses Showdowns war jedoch, dass der Impuls für Frieden aus der Region selbst kam. Vor allem die Türkei, Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate spielten eine zentrale Rolle, ebenso wie Ägypten, wo der Deal schließlich besiegelt wurde.Der Weg vom ersten Impuls am Rande der UN-Generalversammlung bis zur Verkündung in Scharm el-Scheich führte allerdings nicht, wie sonst üblich, über die Außenministerien. Stattdessen waren vor allem Jared Kushner und Steve Witkoff, beides Immobilienmilliardäre aus Trumps engstem Umfeld, sowie der ehemalige britische Premierminister Tony Blair zentral. Mit einer Vorgehensweise, die eher an Immobiliendeals zwischen superreichen Magnaten in exklusiven Privatklubs erinnert, brachten sie die entscheidenden Akteure an den Tisch.Kushner selbst beschreibt es so: Alle bisherigen, vergeblichen Friedensverhandlungen im Nahen Osten seien von Historikern und Diplomaten geführt worden, während sein Ansatz des Dealmakings ein fundamental anderer sei. Im Gaza-Deal zeigt sich damit eine neue (oder sehr alte) Form internationaler Beziehungen, in der starke Männer und ihre (Fürsten-)Häuser privat, geschäftlich und diplomatisch miteinander verflochten sind. Abkommen umfassen all diese Ebenen, und ihr Erfolg beruht vor allem darauf, dass die Strippenzieher direkten Zugang zu den Herrschern haben. Es ist daher kein Zufall, dass Erdoğan in der Türkei, Sisi in Ägypten und MBS in Saudi-Arabien „Strongmen“ in ihren Ländern sind, denen diese Form personalisierter Politik entgegenkommt – und mit denen Kushner zum Teil auch enge Geschäftsinteressen teilt.Neue Waffensysteme haben in der Vergangenheit lediglich taktische, nicht aber strategische Veränderungen bewirkt.Zusammengefasst zeigt sich: Trump taugt zum Friedensstifter, wenn vier Bedingungen erfüllt sind. Erstens braucht es regionales Ownership für einen Frieden, bei dem alle beteiligten Parteien bereit sind, (mehr oder weniger) schmerzhafte Kompromisse einzugehen. Zweitens braucht es ein kleines Team von Dealmakern mit direktem Zugang zum Oval Office und zugleich einem belastbaren Netzwerk in der Region – idealerweise auch zu den Konfliktparteien selbst. Drittens ist es hilfreich, wenn dieses Netzwerk durch Geschäftsinteressen unterfüttert ist. Lässt sich daraus ein direkter Nutzen für die USA im Allgemeinen und die Trump-Familie im Besonderen ableiten, ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor. Viertens schließlich müssen die Dealmaker gemeinsam mit ihren regionalen Partnern einen Plan vorlegen, den der Präsident am Ende unter persönlichem Einsatz zusammenführt – gerne auch unter Anwendung öffentlichen Drucks.Welche Lehren lassen sich daraus für die Ukraine ziehen – und was bedeutet das vor allem für die Europäer?Im Vergleich zu Gaza sind die Bedingungen in der Ukraine deutlich schwieriger. Trump kann zwar Präsident Selenskyj unter Druck setzen und zu schmerzhaften Kompromissen zwingen. Es fehlt ihm aber an Druckmitteln gegenüber Putin, die ihn tatsächlich zum Einlenken bewegen könnten. Neue Waffensysteme haben in der Vergangenheit lediglich taktische, nicht aber strategische Veränderungen bewirkt. Weitere Sanktionen können nur mittelfristig wirksam werden. Zugleich hat Trump mögliche Anreize wie ein russisch-amerikanisches Gipfeltreffen oder die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bereits aus der Hand gegeben.Bei der Hoffnung auf Business Deals sieht es schon spannender aus. Allerdings herrscht hier ebenfalls ein Ungleichgewicht. Putin hat die wirtschaftlichen Präferenzen der US-Administration längst erkannt und versucht, sie gezielt zu nutzen. Von einem Trump Tower in Moskau über Abkommen zu seltenen Erden bis hin zur möglichen Wiederinbetriebnahme von Nord Stream 2 unter gemeinsamer Ägide der beiden Supermächte sind schon einige, teils skurrile Ideen, in den Verhandlungen angesprochen wordenDie Ukraine hingegen hat zwar ein Rohstoffabkommen unterzeichnet, doch darüber hinaus sieht es in dem vom Krieg zerstörten Land düster aus. Auch das im Nahen Osten funktionierende Netzwerk lässt sich auf die Ukraine und Russland nicht übertragen. Der US-Sondergesandte Witkoff hat zwar lange Gespräche mit Putin geführt, die Ergebnisse blieben jedoch überschaubar. Eine Entsprechung zu Kushner oder Tony Blair, dessen Institut im Nahen Osten breit vertreten ist, existiert nicht. Damit fehlt der Transmissionsriemen, der, geölt durch Vertrauen und gemeinsame Geschäftsinteressen, in der Lage wäre, einen Friedensplan vom Papier in die Politik zu übersetzen.Zuletzt fehlt es auch an regionalem Ownership und an der Vorbereitung eines Friedens – von den Maximalforderungen Russlands einmal abgesehen. Die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten beharren auf Kriegszielen, die angesichts der Lage auf dem Schlachtfeld zunehmend unerreichbar erscheinen. Von Präsident Trump ist in dieser Phase keine Unterstützung zu erwarten. Er zeigt wenig Interesse an diplomatischer Vorbereitung. Erkennt er jedoch die Chance, einen Deal abzuschließen und als Friedensstifter zu glänzen, wird er sich mit Nachdruck für ein Ergebnis einsetzen.Was kann Europa also tun, außer wirkungslose Appelle nach Washington zu richten?Was kann Europa also tun, außer wirkungslose Appelle nach Washington zu richten? Zunächst einmal müssen sich die Europäer ihrer eigenen Rolle bewusst werden. Diese liegt in den Worten von Bundeskanzler Merz darin, die „Drecksarbeit“ zu erledigen. Gemeint ist in diesem Fall die Kärrnerarbeit ohne Anerkennung. Nach außen bleibt Europa die zweite Geige hinter Washington. Nach innen aber muss es das Stück schreiben, alle Instrumente spielen sowie die Bühne auf- und abbauen – während der kapriziöse Star aus den USA den Applaus für den Schlussakkord erhält.Erstens: Europa braucht eine Position in diesen Verhandlungen. Die Europäer müssen für sich definieren, welche Form ein Frieden in der Ukraine haben soll, wie eine souveräne Ukraine in Europa verankert wird und wie dies in eine künftige europäische Sicherheitsordnung einfließt. Diese Definition sollte einerseits wertegeprägt sein, andererseits realistisch erreichbar.Zweitens müssen sich die Europäer darauf einlassen, ihre Vorstellungen vorab mit Akteuren abzustimmen – und gegebenenfalls anzupassen –, die ihnen sicherlich nicht schmecken. Das bedeutet, dass nicht nur die Ideen Viktor Orbáns einbezogen werden sollten, sondern auch der türkische Präsident Erdoğan sowie die Golfstaaten eingebunden werden müssen. Und nicht zuletzt sollte Europa wieder eigene diplomatische Kanäle nach Moskau aufbauen und pflegen. Ohne diese Zugänge beraubt es sich eines zentralen Instruments für Verhandlungen.Die Forderung, mit am Tisch zu sitzen, zugleich aber jeden Kontakt nach Moskau zu verweigern, ist an sich schon absurd. Für einen Präsidenten Trump, der keine Berührungsängste kennt (Grüße an Nordkorea), ist das ein weiterer Beleg dafür, wie nutzlos die Europäer in dieser Frage erscheinen. An dieser Stelle sollte die OSZE eine wichtige Rolle spielen: Russland hat die Organisation bislang nicht verlassen, und Europa könnte über diesen Rahmen die diplomatischen Kontakte zu Moskau wieder aufnehmen.Drittens muss Europa Persönlichkeiten finden, die einerseits die europäischen Positionen glaubwürdig vertreten können, sich zugleich aber auf dem Parkett der neuen Privatdiplomatie zu bewegen wissen. Ein solches Team braucht die Rückendeckung, einen Friedensplan zu entwerfen, ohne ihn sofort dem Diktat des kleinsten gemeinsamen Nenners zu unterwerfen. Das widerspricht zwar der Natur der EU, doch ohne eine solche Schnittstelle ist Europa im System Trump und Putin nicht anschlussfähig.Ein wie auch immer geartetes Abkommen kann nur der Beginn eines Friedensprozesses sein.Wenn es schließlich einen Friedensplan gibt und die USA an Bord sind, muss Europa viertens dem Friedenspräsidenten die Bühne überlassen. Jeder Versuch, an dieser Stelle europäisches Ownership zu reklamieren, wäre kontraproduktiv. Das Vorbild ist Scharm el-Scheich mit Trump am Podium und Europa als Staffage. Sollte die OSZE im Prozess eine Rolle spielen, böte sich dafür die Wiener Hofburg als Bühne an: Das imperiale Gebäude am Heldenplatz liefert die perfekte Kulisse für einen Präsidenten, der einen besonderen Wert auf Immobilien legt.Fünftens und zuletzt muss Europa nach der großen Show aufräumen. Ein wie auch immer geartetes Abkommen kann nur der Beginn eines Friedensprozesses sein. Niemand erwartet, dass die USA diesen nachhaltig begleiten werden. Die Rechnung wird Europa begleichen müssen. Umso wichtiger sind daher der Aufbau einer europäischen Verteidigung, die Debatten über eine europäische Assurance Force sowie die EU-Perspektive und die Wiederaufbaupläne für die Ukraine. All dies sind Bestandteile einer künftigen europäischen Friedensordnung, die in den Friedensplan einfließen sollten. Damit sie Wirkung entfalten können, braucht es aber ein Ende des Krieges gegen die Ukraine – und dafür ist Donald Trump unverzichtbar.Die Chancen, dass ihm das bald ähnlich überraschend wie in Gaza gelingt, sind deutlich geringer, immerhin zeigt Putin keine Anstalten, seine Maximalpositionen aufzugeben. Dies rechtfertigt aber nicht, dass Europa nur am Rande sitzt und gut zuredet. Das diplomatische Fundament für Frieden muss auf unserem Kontinent gelegt werden, früher oder später wird es gebraucht werden.Weiter zum vollständigen Artikel bei IPG Journal
Quelle: IPG Journal