Immer mehr Deutsche im Rentenalter haben einen Minijob. Ende 2011 gingen bereits mehr als 760.000 Menschen über 64 Jahren einer geringfügigen Beschäftigung nach, fast 120.000 Minijobber waren sogar älter als 74.
Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervor, die am Dienstag bekannt wurde und über die zuerst die "Süddeutsche Zeitung" (Dienstag) berichtet hatte.
Seit den Arbeitsmarktreformen von 2003, mit denen die Zahl der Minijobs ohnehin deutlich anstieg, war die Zahl noch nie so hoch. So gab es etwa Ende 2004 nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lediglich rund 650.000 Minijobber, die 65 Jahre oder älter waren. Bis Ende 2011 kletterte diese Zahl um 17,8 Prozent auf 761.736.
Die Ursache für den Anstieg ist allerdings umstritten. Gewerkschaften und Sozialverbände sehen darin ein Indiz für zunehmende Altersarmut. Das Bundesarbeitsministerium verweist hingegen darauf, dass die Zahl der Senioren in den vergangenen Jahren ebenfalls gestiegen ist. Der Zuwachs bei den betagten Minijobbern bewege sich deshalb in "sehr überschaubaren Dimensionen". Tatsächlich gab es laut Statistischem Bundesamt 2004 erst rund 15,37 Millionen Deutsche über 64 Jahren und im Jahr 2011 bereits 16,88 Millionen. Dies entspricht einem Plus von 9,8 Prozent. Der Anteil der Minijobber in dieser Altersgruppe wuchs im gleichen Zeitraum von 4,2 auf 4,5 Prozent. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht in dieser Entwicklung auch eine Chance. Man werde dazu kommen, dass ein 65-Jähriger, der arbeiten möchte, "auch die Möglichkeit bekommt, seine Kreativität einzubringen", sagte Merkel bei einem Expertendialog zur Zukunft Deutschlands.
Kritik äußerten SPD, Grüne und Linke sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Sozialverband VdK. Viele Rentner könnten sich nur noch mit Minijobs finanziell über Wasser halten, klagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Der rentenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Matthias W. Birkwald, warnte: "Wir rennen sehenden Auges in die Massenaltersarmut." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte: "Dieser Trend muss gestoppt werden." Nach Ansicht des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist materielle Not hingegen nicht das Hauptmotiv, weil unter den arbeitenden Senioren auch viele Hochqualifizierte seien. "Viele wollen arbeiten, weil sie sich noch fit fühlen", sagte der IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer der "Süddeutschen Zeitung". Das Bundesarbeitsministerium wies zudem darauf hin, dass zu der Gruppe der Über-64-Jährigen nicht nur Rentner gehörten, sondern auch weiter aktive Selbstständige und Freiberufler. Von wachsender Altersarmut könne ebenfalls keine Rede sein, weil der Anteil der Senioren, die Grundsicherung beziehen, seit Jahren konstant bei 2,4 Prozent liege.
Viele Menschen im Rentenalter arbeiten sogar noch mehr als nur auf 400-Euro-Basis: Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hatten zuletzt gut 154.000 Senioren einen sozialversicherungspflichtigen Job - etwa doppelt so viele wie Ende 1999. Mehr als die Hälfte war sogar in einer Vollzeitstelle. Nach Ansicht des Arbeitsministeriums zeigen diese Zahlen: "Wir sind auf dem Weg in die Gesellschaft des längeren Lebens und Arbeitens." Die Zahlen heizen allerdings auch die Debatte um den für diesen Mittwoch geplanten Kabinettsbeschluss zur Rente an. Die Beiträge zur Rentenversicherung sollen nach den Regierungsplänen von derzeit 19,6 auf voraussichtlich 19,0 Prozent sinken. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warnte, damit werde "die Rentenkürzung von morgen" festgeschrieben. Wolfgang Strengmann-Kuhn von den Grünen ergänzte, man könne keine Beiträge senken, wenn bei vielen Menschen die Rente nicht mehr reiche. Der nordrhein-westfälische Sozialminister Guntram Schneider (SPD) sprach sich dafür aus, die Renten-Finanzreserven vorsorglich in einem Fonds anzulegen. Mit einem "Demografie-Fonds" könne der immer weiter auseinanderklaffenden Schere zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern begegnet und Altersarmut verhindert werden, sagte Schneider der Deutschen Presse-Agentur in Düsseldorf./ax/sam/beg/DP/hbr BERLIN (dpa-AFX)