Interview

Warren Buffett: "Inflationäre Tendenzen sind stark gestiegen"

02.06.10 14:00 Uhr

Das Aktionärstreffen von Berkshire Hathaway ist immer wieder eine Mischung aus Investorenmesse und Industrie-Ausstellung – das perfekte Werbespektakel für die Berkshire-Aktie.

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von Cornelia Heins

Es wird das «Woodstock der Kapitalisten» genannt: das jährliche Aktionärstreffen von Berkshire Hathaway in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska. Auch in diesem Jahr standen der charmante 79-jährige Warren Buffett und sein Vize, der ausgesprochen vitale 86-jährige Charlie Munger, ihren Fans und Aktionären geduldig über vier Stunden lang Rede und Antwort. Das dreitägige Event, das rund 39.000 Menschen besuchen, wurde in diesem Jahr von drei Hauptthemen dominiert: die Entwicklung der US-Ökonomie, die Frage nach der Nachfolge Buffetts sowie dessen Engagement bei der US-Bank Goldman Sachs. Buffett verteidigte dabei nicht nur die US-Bank, die Zielscheibe populistischer Angriffe aus Washington ist, sondern auch den Goldman-Sachs-CEO Lloyd Blankfein. Die Anklage der US-Börsenaufsicht SEC sei ungerechtfertigt und das Geschäftsmodell der Investmentbank solide.

Buffett liess auch keinen Zweifel daran, dass Berkshire Hathaway selbst ein Geschäftsmodell verfolgt, das auch lange nach seinem Ableben erfolgreich sein wird. Produkte der 75 Tochterfirmen, deren Aktivitäten von Gartenhandschuhen über Autoversicherungen bis zu Privatjets und zur Eisenbahnlinie reichen, wurden im Quest-Stadium nicht nur ausgestellt, sondern auch teilweise zum Verkauf angeboten. Angeblich verkauft der Autoversicherer Geico eine Rekordzahl an Policen während dieses Wochenendes.

Grosse Umsätze macht auch Borsheim, der zum Berkshire-Konglomerat gehörende Juwelier: In guten Zeiten vor der Finanzkrise erregten seine Verkaufszahlen während des Aktionärstreffens den Neid von Tiffany’s. Eine junge Dame, die sich bei Borsheim auf Südseeperlen spezialisiert hat, bestätigt, dass der Absatz dieses Jahr wieder besser als 2009 sei. Aber kaum jemand kaufe spontan, denn auch Berkshire-Anleger, die im bisherigen Jahresverlauf auf eine gute Kursentwicklung zurückblicken können, seien zurückhaltender geworden. Das gilt allerdings kaum, wenn es um Alltagsgüter wie Coca-Cola, Wrigley-Kaugummi, Dairy-Queen-Eiscreme oder Cowboy-Stiefel von Justin Boots geht – alles Produkte von Berkshire-Firmen. «Wir sind noch keine Millionäre», hört man einen jungen Vater seinem Sohn zuflüstern, während er ihm das von der chinesischen Firma BYD ausgestellte Elektro-Auto erklärt. «Aber wir arbeiten daran.»

Tatsächlich zahlt es sich aus, langfristig bei Berkshire dabei zu sein: Wer Mitte der Sechzigerjahre eine Aktie für 19,50 Dollar erworben hatte, sitzt heute auf rund 120.000 Dollar. «Wir haben Anleger, die gern darauf verweisen, dass sie so klug waren, frühzeitig unserer Anlagephilosophie zu vertrauen», so Buffett. Die Geschäftsentwicklung im ersten Quartal 2010 zeigt, dass das Gespann Buffett und Munger auch weiterhin gut unterwegs ist: Der Gewinn erreichte 3,63 Milliarden Dollar gegenüber 1,5 Milliarden Verlust in der Vorjahresperiode. Im Folgenden ein Auszug der Fragerunde während der Pressekonferenz mit dem Erfolgsduo Buffett/Munger:

Nicht nur einzelne EU-Staaten ächzen unter Schuldenproblemen, sondern auch US-Bundesstaaten wie Kalifornien. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass Kalifornien bankrott geht?
Charlie Munger: (lacht) Glücklicherweise hat Kalifornien gutes Wetter, wunderschöne Strände und Asien quasi als Nachbarn. Mit einer grossen asiatischen Bevölkerung, die gut ausgebildet und fleissig ist, habe ich keine Angst, dass Kalifornien pleitegehen könnte.
Warren Buffett: Natürlich sind wir besorgt über die amerikanischen Haushaltsdefizite. Die US-Administration hat aber richtig gehandelt, indem sie Konjunkturmassnahmen wie Medizin für einen schwerkranken Patienten verabreicht hat, auch wenn diese Medizin schwere Nebenwirkungen hat, wie die Überschuldung der Staatshaushalte. Nur durch politisch unpopuläre Massnahmen wie höhere Steuern und Kosteneinsparungen können wir die öffentlichen Finanzen wieder ins Lot bringen.

Wie gross schätzen Sie die Inflationsrisiken ein angesichts der hohen Staatsverschuldung?
Buffett: Nicht nur in den USA, sondern in der gesamten Welt sind die Aussichten für inflationäre Tendenzen stark gestiegen. Wir müssen uns allmählich von den Konjunkturstimulierungsprogrammen und anderen kostenintensiven Staatsmassnahmen lösen. Länder mit hohen Defiziten im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt können Inflation nicht vermeiden. Die USA kann zwei bis drei Prozent Haushaltsdefizit verkraften, aber langfristig nicht mehr.

Wann gesundet der US-Hausmarkt wieder?
Buffett: Anfang nächsten Jahres. Das Überangebot muss langsam und ohne externe Einflüsse abnehmen, damit der Markt gesundet.

Was erwarten Sie von der Finanzmarktregulierung, über die das US-Parlament berät?
Buffett: Ich sehe das Problem darin, dass wir zwar Regeln haben, dass deren Durchsetzung aber zu wenig überwacht wurde. Die grösste Gefahr besteht darin, dass das Parlament nun neue Regeln beschliesst, die das System nur noch volatiler machen. Spekulationsblasen lassen sich mit Finanzregeln nicht vollständig vermeiden, denn sie sind Teil des Systems. Aber man kann dramatische Auswirkungen, wie wir sie im Zuge der Finanzkrise erlebt haben, unterbinden. Ich bin zum Beispiel dafür, dass bei den Banken die Verschuldung im Verhältnis zur Bilanz wesentlich niedriger sein muss als bisher. Und wenn ein Unternehmen pleitegeht, sollten der Konzernchef und das übrige Management finanziell zur Rechenschaft gezogen werden.

Stichwort Management: Aufgrund welcher Kriterien stellen Sie Manager ein?
Buffett: Sie müssen eine Leidenschaft fürs Geschäft und für Shareholder Value haben und vertrauenswürdig sein.

Wie steht es mit Intelligenz als Kriterium?
Buffett: Es gibt viele intelligente Menschen, die kein Urteilsvermögen haben oder aufgrund ihrer angeblichen Intelligenz ihre Grenzen vergessen.

Berkshire Hathaway hat Anlagen in China und Korea, warum nicht in Indien?
Munger: China hat das Problem der Korruption; die indische Regierung hingegen hat das Problem, dass sie sehr langsam – geradezu paralysiert – ist, wenn es um Geschäftsentscheide geht.
Buffett: Wir haben keinen Plan, in welchem Land wir investieren. Die Anlage muss sinnvoll sein, das Unternehmen, in das wir investieren, eine Mindestgrösse von rund zehn Milliarden Dollar aufweisen. Wir schliessen Indien, das ich im nächsten Frühjahr besuchen werde, nicht grundsätzlich aus.

Zum Schluss: Warum, glauben Sie, pilgern jedes Jahr so viele Leute nach Omaha zu Ihrem Aktionärstreffen?
Buffett: Um eine gute Zeit zu verbringen und um sich auszutauschen, aber sicher nicht, weil sie uns stundenlang zuhören wollen. Im Ernst: Wir haben mit dem Aktionärstreffen ein ungewöhnliches Format kreiert, welches alle Miteigentümer verbindet und das einzigartige Konzept von Berkshire Hathaway verdeutlicht.

Hintergrund

Warren Buffett und die Finanzkrise

Die Aktie von Warren Buffetts Beteiligungsfirma Berkshire Hathaway verlor in der Finanzkrise die Hälfte ihres Wertes. Während viele Anleger lethargisch dem Verfall der Aktienkurse zuschauten, nutzte Buffett die Baisse und erweiterte das Portfolio, indem er rund 15,5 Milliarden Dollar investierte, darunter in Goldman Sachs, GE und Swiss Re. Diese Beteiligungen bringen zusammen jährlich 2,1 Milliarden Dollar an Dividenden und Zinsen! Aber Buffetts Coup in der Finanzkrise war die Übernahme der Eisenbahnlinie Burlington Northern Santa Fe für rund 27 Milliarden Dollar. Trotz Erfolgen erntete Buffett für einige Investmententscheide Kritik:
So wurde er beispielsweise dafür kritisiert, dass er unter dem Slogan «Buy American. I am» angeblich zu früh wieder in den US-Aktienmarkt investiert hatte.
Manche seiner Aktionäre monieren ebenfalls, dass Buffett den Ausstieg bei Coca-Cola verpasst habe, deren Aktie bereits 1998 mit 86 Dollar den Höchststand erreicht hatte.
Schlechtes Timing auch beim Energiekonzern ConocoPhillips: Buffett verkaufte 2009 den Titel, den er quasi beim Höchststand des Ölpreises erworben hatte.
Aufgrund der Annahme, dass GEICO-Versicherungskunden ein gutes Risikoprofil hätten, gab das Unternehmen auf Anregung von Buffett eine Kreditkarte aus. Die Verluste daraus summierten sich auf 6,3 Millionen Dollar, zuzüglich eines 98 Millionen Dollar schweren Portfolios von ausstehenden Kreditkartenbeträgen, die für 55 Cents pro Dollar abgestossen werden mussten und die letztlich eine Abschreibung von insgesamt 50 Millionen Dollar zur Folge hatten.

Zur Person: Der drittreichste Mann der Welt

Warren Buffetts Vater war 1942 bis 1948 und 1950 bis 1952 Kongressabgeordneter für Nebraska. Daher wuchs Buffett teilweise in Washington auf.
Der drittreichste Mann der Welt – mit einem auf 50 Milliarden Dollar geschätzten Vermögen – lebt seit 50 Jahren im gleichen Haus mit einem Wert von 730 000 Dollar.
Buffett war zweimal verheiratet. Von seiner ersten Frau, die 2004 an Krebs starb, trennte er sich 1977. Seine zweite Frau, Astrid, stammt aus Lettland und war Serviertochter im French Café in Omaha. Er heiratete sie vor vier Jahren, an seinem 76. Geburtstag.
Sein Gedächtnis hält Buffett fit, indem er zwölf Stunden pro Woche Bridge spielt, unter anderem mit Bill Gates.
Buffetts Lebenselixir sind pro Tag mindestens fünf Cherry Cokes.
Ein Handy hat ebenso wenig etwas in Buffetts Manteltasche zu suchen wie ein Computer bei seinem Arbeitsplatz.
Buffett war im Wahlkampf Wirtschaftsberater sowohl für den republikanischen Gouverneur Arnold Schwarzenegger 2003 als auch für Barack Obama 2008.
Buffett hat nicht nur seit Jahrzehnten einen scharfen Blick für profitable Anlagen, sondern auch ein humorvolles Zwinkern im Auge. So trat Buffett im März in einem Firmenvideo seiner Autoversicherungstochter GEICO als Neil Young mit roter Perücke, violettem Haarband und tätowiertem Arm auf und sang: «You bring out the best in me. You can always turn to me.»
Jede Berkshire-Aktie von Buffett wird nach seinem Tod für philanthropische Zwecke zur Verfügung gestellt.

Quelle: Stocks Heft 11/2010

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11.05.2010Berkshire Hathaway "equal-weight"Barclays Capital
14.04.2010Berkshire Hathaway "equal-weight"Barclays Capital
23.08.2007Berkshire Hathaway haltenWertpapier
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