Schärfere Kontrollen und Abschaffung der Zollfreigrenze: Habeck will stärker gegen Billig-Onlinehändler wie Temu und Shein vorgehen

07.09.24 11:09 Uhr

Das Wirtschaftsministerium will mit einem Aktionsplan gegen unlautere Praktiken von asiatischen Online-Händlern reagieren.

Die E-Commerce-Apps der Ultra-Fast-Fashion-Bekleidungsunternehmen Temu und Shein.
Die E-Commerce-Apps der Ultra-Fast-Fashion-Bekleidungsunternehmen Temu und Shein.
picture alliance / TT NEWS AGENCY | Jessica Gow

Die asiatischen Online-Händler Temu und Shein stehen seit einiger Zeit wegen unlauterer Geschäftspraktiken in der Kritik.

Das Wirtschaftsministerium reagierte am Freitag mit einem Aktionsplan, der die Probleme im Onlinehandel lösen soll.

Der Aktionsplan sieht Änderungen bei den Zollgebühren und mehr Befugnisse für die Aufsichtsbehörden vor.

Der asiatische Online-Händler Shein hat mit seinen extrem kurzen Produktionszyklen das Konzept von Fast Fashion noch mehr beschleunigt. Der Händler Temu hingegen verkauft seine Produkte direkt vom Hersteller an den Kunden.

Beide asiatischen Online-Händler können durch ihre Praktiken besonders günstige Preise anbieten. Für die heimische Konkurrenz in Europa entpuppt sich das immer mehr zu einem Problem. Hinzukommt: Die Produkte von Temu und Shein entsprechen auch oft nicht europäischen Umwelt- und Gesundheitsstandards. Auch die Arbeitsbedingungen stehen in der Kritik.

Zwar streiten die Online-Händler das ab. Doch das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) unter Robert Habeck (Die Grünen) will nun mit einem Aktionsplan gegen die Händler vorgehen.

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Aktionsplan des Bundeswirtschaftsministeriums

Der Aktionsplan des BMWK sieht verschiedene Maßnahmen vor – unter anderem eine engere Zusammenarbeit und mehr Befugnisse der nationalen und europäischen Marktüberwachungsbehörden. Die Abschaffung der Zollfreigrenze solle "zügig und bürokratiearm erfolgen". Die asiatischen Online-Plattformen nutzen vor allem Luftfracht. Bei Bestellungen aus Nicht-EU-Ländern müssen für Pakete mit Warenwert unter 150 Euro bei der Einfuhr keine Gebühren bezahlt werden. Den Anbietern wird vorgeworfen, dass viele Sendungen falsch deklariert seien, um die 150-Euro-Grenze einzuhalten. Branchenexperten beklagen, dass der Zoll mit der Kontrolle völlig überlastet sei.

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Habeck fordert von der EU-Kommission, Daten über Verstöße von Anbietern wie Shein und Temu in einem "Data Hub" zu sammeln, um Fehlverhalten aufzudecken und zu sanktionieren. Dabei sollten Testkäufe durch die EU-Kommission durchgeführt werden, um herauszufinden, ob Rechtsverstöße systematisch und über die Zeit unverändert vorkommen. "Sanktionen müssen so hoch angesetzt werden, dass sie Abschreckungswirkung entfalten", heißt es. 

Weiter will das Ministerium die Hersteller verpflichten, Informationen zu Produktsicherheit, Umwelt- und Gesundheitsschutz im digitalen Produktpass zu hinterlegen. Die Behörden stellten bei Drittstaaten-Produkten, die in die EU verschickt werden, zunehmend Mängel und Verstöße gegen Vorgaben fest, erklärte das BMWK. Dies gelte insbesondere für Online-Händler wie Temu und Shein. 

Shein: "Unser Geschäftsmodell basiert nicht auf Zollvorteilen"

Eine Sprecherin von Shein sagte zu dem Aktionsplan: "Wir sind fest entschlossen, die deutschen und europäischen Gesetze einzuhalten und unterstützen alle Bemühungen, die faire Wettbewerbsbedingungen schaffen, die den Verbrauchern zugutekommen." Shein-Chef Donald Tang hatte jüngst dem "Handelsblatt" gesagt: "Unser Geschäftsmodell basiert nicht auf Zollvorteilen." Das Unternehmen arbeite daran, den Zollbehörden die nötigen Informationen bereitzustellen, bevor die Pakete am Flughafen ankommen.

Bei Temu hieß es, man habe sich als "Neuanbieter in Europa" das Feedback von Kunden, Aufsichtsbehörden und Verbraucherschutzgruppen genau angehört. Man haben die Dienstleistungen an die lokalen Gepflogenheiten angepasst und verpflichte sich "uneingeschränkt zur Einhaltung der Gesetze" vor Ort, so ein Sprecher.

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE), Stephan Tromp, bewertet den Aktionsplan positiv. Es seit "gut und richtig", dass die Kritik am unfairen Wettbewerb aufgegriffen worden sei. Der HDE hatte gefordert, die Zollfreigrenze abzuschaffen. Konzertierte Kontrollaktionen seien ein erster Schritt, «der Paketflut Herr zu werden». Der Verband sieht aber noch Klärungsbedarf. So sei es zu vermeiden, neue Bürokratie zu schaffen, die auch in der EU ansässige Händler und Plattformen belaste.

Die Chefin der Verbraucherzentralen, Ramona Pop, sagte: "Es ist richtig, die großen Online-Marktplätze stärker in die Pflicht zu nehmen." Verbraucher sollten besser vor Produkten geschützt werden, die etwa die EU-Regeln zu Produktsicherheit nicht einhalten. Temu und Shein müssten stärker in die Verantwortung genommen werden. "Händler sollten auch dort nichts verkaufen dürfen, was nicht den Vorgaben entspricht." Die EU sei gefordert, hier tätig zu werden.

Umfrage: 43 Prozent der Verbraucher kaufen bei Temu und Shein

Handelsexperte Carsten Kortum hält eine Abschaffung der Zollfreigrenze für richtig. Das Geschäftsmodell von Temu und Shein basiere auf Kostenvorteilen durch verkürzte Lieferketten, fehlenden Produkttests nach europäischem Standard und der Vermeidung von Einfuhrzöllen, sagte der Professor der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Heilbronn. "Durch die notwendigen Preiserhöhungen, zu denen Temu und Shein gezwungen wären, würden eine Vielzahl von Artikeln für Kunden nicht mehr attraktiv sein."

Nicht wirkungsvoll seien Testkäufe, denn so würden nach wie vor große Mengen an Produkten ungeprüft nach Deutschland kommen. Sanktionen hätten wiederum nur eine Wirkung, wenn auch die Plattformen für Fehlverhalten haften und nicht nur der Verkäufer in China, so Kortum. 

Dem Kölner Handelsforschungsinstituts IFH zufolge kaufen 43 Prozent der Verbraucher in Deutschland bei Marktplätzen wie Temu und Shein. Laut dem Branchenverband BEVH entfallen fünf Prozent der Bestellungen im deutschen Onlinehandel auf die beiden Anbieter. Diese hätten ihren Markteinteil binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Temu liegt bei der Zahl der Bestellungen demnach auf dem vierten Platz hinter Amazon, Ebay und Otto.

mit Material der Dpa