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Bradley Birkenfeld: Die Story des UBS-Whistleblowers

05.06.17 03:00 Uhr

Bradley Birkenfeld: Die Story des UBS-Whistleblowers | finanzen.net

Der Ex-Banker machte die systematische Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei seinem Arbeitgeber UBS öffentlich. Dafür ging er ins Gefängnis - und bekam später eine riesige Belohnung. Nun führt er einen Rachefeldzug.

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von Andreas Höß, Euro am Sonntag

Bradley Birkenfeld lümmelt in einem Sessel im Münchner Hotel Bayerischer Hof und schlürft frisch gepressten Orangensaft. Ein gutes Menü mit Felsenrotbarbe, Wiener Schnecken und Lamm kostet hier 190 Euro, ein einfaches Doppelzimmer gibt es ab 500 Euro die Nacht. Birkenfeld ist braungebrannt vom vielen Bootfahren vor Malta, einen kleinen Wohlstandsbauch hat er auch. Seinen einbandagierten Fuß hat er hochgelegt. "Nur eine kleine OP", winkt er ab. Reha braucht er wohl nicht, ein Stück weit rehabilitiert ist er ja schon. 2012 stand sein Anwalt plötzlich vor ihm und überreichte einen Scheck des US-Finanzministeriums über 76 Millionen US-Dollar. Der Lohn für seine Arbeit als Whistleblower - und vielleicht eine Kompensation für 30 Monate Gefängnis.



Ziemlich genau fünf Jahre ist das nun her. Wenn Birkenfeld heute in Luxushotels residiert und an diesen Tag im Spätsommer 2012 zurückdenkt, an dem er dreckige Arbeitsstiefel und zerrissene Jeans trug und für eine Wiedereingliederungsmaßnahme auf einer Farm im US-Bundesstaat New Hampshire schuftete, kann er sich ein diabolisches Lächeln nicht verkneifen. "Eigentlich lag meine Belohnung bei 104 Millionen Dollar", schmunzelt der Ex-Banker. Er bekam aber nur 75.816 958,40 Dollar. "Sie hatten mir die Steuer vorsorglich abgezogen."

Das Disneyland

Steuern und Steuerhinterziehung: Das ist seit 20 Jahren Bradley Birkenfelds Thema. 1995 ging der Amerikaner in die Schweiz, dem "Disneyland für Banker", wie er es nennt. Dort arbeitete er für die Credit Suisse, für Barclays und später für die UBS. Sein Job: Sich bei Formel-1-Rennen, Kunstausstellungen oder Tennisturnieren herumtreiben und dort bei einem Gläschen Champagner Milliardären die Entscheidung erleichtern, Geld auf ein Schweizer Konto zu legen. Dabei half ihm eine kleine Werbeformel, die er gern vorrechnete. Dreimal null: null Einkommensteuer, null Kapitalertragsteuer, null Erbschaftsteuer.



Die Formel funktionierte. Birkenfeld behauptete selbstbewusst, er habe immer die dicksten Fische an Land gezogen. Seine Abteilung am Genfer See hatte unzählige Kunden, meist aus den USA. Das Schweizer Bankgeheimnis stellte sicher, dass die UBS und ihre eidgenössischen Konkurrenten den Steuerbehörden anderer Länder keinen Einblick gewähren mussten. Und solange die Ausländer ihre Schweizer Konten bei den heimischen Steuerbehörden angaben, war ja auch alles legal.

Doch wie schon Birkenfelds Nullformel nahelegt: Das Interesse daran hielt sich in engen Grenzen. Er wusste, dass Kuriere mit Rucksäcken voll Bargeld auf Ski aus Italien in die Schweiz wedelten. Er sah, wie sie Diamanten und Geld in den Genfer UBS-Tresoren versteckten. Und er half, Geldflüsse mit komplizierten Konstruktionen und Trust-Strukturen zu verschleiern. "Steuerhinterzieher sind gute und treue Kunden", erklärt Birkenfeld. Die Diskretion der Bank honorieren sie, indem sie überhöhte Gebühren akzeptieren. Für die UBS, die 19.000 reiche US-Kunden mit Geheimkonten hatte, ein Milliardengeschäft.


Auch Birkenfeld lebte fürstlich vom systematischen Betrug. Er warf mit Geld um sich, fuhr Ferrari, leistete sich teure Uhren, Anzüge und Urlaube. Er hatte eine Skihütte nahe der italienischen Grenze mit Blick auf das Matterhorn und schlief selten allein. Ein Luxusleben, das man ungern aufgibt. Trotzdem kam Mitte 2005 die Erkenntnis, dass es so nicht ewig weitergeht. "Das Gewissen meldete sich", sagt Birkenfeld. Geweckt wurde es vermutlich durch zwei Ereignisse, die dem gewieften Banker gefährlich wurden.

Erstens nahm die US-Steuerfahndung im Mai 2005 Igor Olenicoff hoch. "Ein Oh-Scheiße-Moment", erinnert sich Birkenfeld. Der in die USA ausgewanderte russische Milliardär mit einer Vorliebe für schicke Autos und dicke Yachten war sein größter Kunde, er hatte der UBS auf einen Schlag 200 Millionen US-Dollar anvertraut. Und zweitens hatte kurz davor ein befreundeter Kollege ein gut verstecktes internes Dokument mit "Richtlinien für das grenzüberschreitende Bankgeschäft" auf dem Server der UBS gefunden. Es sollte offenbar sicherstellen, dass Birkenfelds Abteilung im Falle einer Ermittlung als Einzeltäter hingestellt werden konnte. So wurde dort beispielsweise ausdrücklich untersagt, in die USA zu reisen, um dort um Kunden zu werben.

Genau das war das Tagesgeschäft der Abteilung, wie die UBS es genau wusste. Sie soll für ihre Mitarbeiter sogar Workshops zu diesem Thema gegeben haben. Dort wurde man angewiesen, dienstliche Reisen als privat zu deklarieren und sensible Daten zu verschlüsseln oder an Briefkästen zu schicken, statt sie mitzuführen. "Manche Kollegen jetteten wie 007 um die Welt", so Birkenfeld.

Der Rachefeldzug

Der Geldsammler fühlte sich von der Bank verraten. Und er hatte keine Lust, sich für Vorgesetzte wie Christian Bovay, Raoul Weil oder Martin Liechti zu opfern, für die er jahrelang Million um Million herangeschafft hatte. So holte er zum Gegenschlag aus.

Schritt eins: Er fragte bei seinen Vorgesetzten sowie bei der Compliance- und Rechtsabteilung der UBS nach, wie die Regeln mit der üblichen Praxis zusammenpassen. Die Antwort: Schweigen. Deshalb tat er den zweiten Schritt. Er sammelte Dokumente, Kundendaten und Beweise für die systematische Steuerhinterziehung, wurde Whistleblower.

Die Wandlung vom im Kollegenkreis gefeierten Kapitaljäger zum Aussteiger war schwer. Als Banker in einer fremden Stadt lebt man "wie in einer Sekte", erklärt Birkenfeld. "Man hat seinen UBS-Job, UBS-Kredite, geht auf UBS-Veranstaltungen und hat UBS-Freunde." Birkenfeld kündigte und machte sich von alldem frei. 2007 wandte er sich an die US-Behörden. Sein erster Ansprechpartner war das Finanzministerium. Statt mit offenen Armen empfing man den Insider dort aber mit Augenrollen. Mehr Interesse zeigten der Senat, vor dessen Finanzausschuss er detailliert auspackte, sowie die Steuerbehörde IRS.

Birkenfelds Aussagen brachten umfangreiche Ermittlungen ins Rollen. An deren Ende zahlte die UBS 780 Millionen US-Dollar Strafe, um ihre US-Banklizenz nicht zu verlieren - "Peanuts im Vergleich zu den Gewinnen, die sie mit Steuerbetrügern machten", glaubt Birkenfeld. 33.000 von ihnen meldeten sich aus Angst vor den Steuerfahndern in den Jahren nach der Finanzkrise freiwillig und brachten rund 15 Milliarden Dollar, die sie "offshore" versteckt hatten, zurück ins Land. Um die Steuerflucht künftig einzudämmen, unterzeichneten die Schweiz und die USA im Februar 2013 ein Abkommen, das das Schweizer Bankgeheimnis faktisch aushebelte. Die Eidgenossen willigten ein, sich künftig an die US-Steuergesetze zu halten und Kontodaten auf Anfrage weiterzugeben.

Birkenfeld sieht das alles als sein Verdienst. "Ich habe im Alleingang das Schweizer Bankgeheimnis zu Fall gebracht und damit ein verbrecherisches Geschäftsmodell zerstört. Ich habe gegen die größte Bank der Welt gekämpft - und gewonnen. Und ich habe 15 Milliarden Dollar zurück in die USA geholt. 15  Milliarden! Hat es so etwas schon einmal gegeben? Nein!"

Trotzdem war der Gang zu den US-Behörden für ihn Fluch und Segen. 2012, fünf Jahre nachdem er die ersten Dokumente weitergegeben hatte, verabschiedete der US-Senat ein neues Gesetz zum Schutz und zur Entschädigung von Whistleblowern. Sein Anwalt Steve Kohn erkämpfte für ihn die Rekordbelohnung von 104 Millionen US-Dollar, vor Steuern. "Damit stehe ich heute noch im Guinness-Buch der Rekorde", freut sich Birkenfeld. Das ist die eine Seite.

Die andere: 40 Monate Gefängnis, von denen er 30 absaß. Birkenfeld soll den Behörden Olenicoff vorenthalten haben. Er bestreitet das bis heute und wehrt sich - vor allem auf Papier. Im April hat er in Deutschland ein Buch über seine Geschichte veröffentlicht. "Des Teufels Banker. Wie ich das Schweizer Bankgeheimnis zu Fall brachte", heißt es und ist 352 Seiten dick. Die Reaktion der Finanzbranche kam prompt. Peter Stack von der UBS bezeichnete Birkenfeld gegenüber US-Medien als selbstsüchtigen Lügner. Birkenfeld verklagte ihn Anfang Mai auf 20 Millionen Dollar Schadenersatz, weshalb die UBS auf Anfragen heute mit "kein Kommentar" antwortet.

Die Rehabilitierung

Die Motivation für das Buch? "Rache würde ich es nicht nennen", sagt Birkenfeld, "eher Volkserziehung." Geheime Konten, Banker in Ferraris, Tresore voller Geld und Diamanten, Offshore-Trusts: "Für viele Menschen hören sich diese Dinge an wie aus einer Fantasiewelt. Ich wollte zeigen, dass das alles real ist." Vor allem aber wollte er seine Sicht der Dinge darstellen - in deutlicher, teils derber Sprache und belegt durch einige Dokumente und Mitschnitte aus Senatsanhörungen, die sich auch auf seiner Website finden.

Was daraus hervorgeht, ist nach Birkenfelds Meinung für die US-Regierung ebenso wenig schmeichelhaft wie für die Banken. "In der Finanzkrise musste kein einziger Banker ins Gefängnis, nur der UBS-Whistleblower." Man müsse sich fragen, warum das so ist. Zudem ärgerte sich Birkenfeld über international mangelndes Interesse an seinem Wissen. In Frankreich muss sich die UBS im Moment zwar mit Birkenfelds Aussagen vor Gericht auseinandersetzen. Finanzminister Wolfgang Schäuble soll seine Hilfsangebote aber ignoriert haben, und auch Kanada ließ ihn unlängst abblitzen.

Ein Staat, der auf Hilfe des Whistleblowers verzichtet, obwohl er dem Fiskus Milliarden einbringen könnte: Das erinnert Birkenfeld an die Vorgänge in den USA. "Die Justiz hatte gar kein Interesse an meinen Informationen. Der Grund ist einfach: Politiker, Unternehmer, Richter, Prominente - sie alle hatten ihr Geld bei der UBS in der Schweiz. Bis heute sind nur 4.700 der 19.000 Kunden bekannt. Warum?" Statt aufzuklären, sei man gegen den Informanten vorgegangen. "In jeder Geschichte gibt es einen Bösen, einen Sündenbock. In dieser war ich es."

Ein Komplott der Reichen und Mächtigen gegen den Rechtschaffenen - wunderbarer Stoff für einen Hollywoodstreifen. Und es klingt ja auch charmant, dass nach den Gerichten nun das Publikum über diese irre Geschichte urteilen soll. Birkenfeld freut sich teuflisch darauf. "Wir arbeiten mit MGM und Sony daran, das Buch als TV-Serie und Kinofilm auf die Leinwand zu bringen", kündigt er an. Dann steht er auf, zahlt sein Zimmer und humpelt mit einem Bündel Bargeld in der Hand aus dem Hotel zum Flughafen-Taxi.

Vita

Seitenwechsler
Nach einer Ausbildung an der Militärhochschule Norwich University wechselte Bradley Birkenfeld in die Finanzbranche. Er sagt, er sei zu groß für das Cockpit eines Kampfflugzeugs gewesen. Erste Erfahrung sammelte er bei der State Street Bank in Boston. 1995 siedelte er in die Schweiz um, wo er zunächst bei der Credit Suisse anheuerte, dann zu Barclays ging und später bei der UBS arbeitete. Heute lebt Birkenfeld auf Malta - des guten Essens und der Yachthäfen wegen. Seine Steuern zahlt der 1965 geborene US-Bürger in den USA, wie er beteuert.

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Bildquellen: Thomas Einberger für Finanzen Verlag

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