Ist der Aktienmarkt zu selbstgefällig? Jamie Dimon und andere Experten warnen

29.05.2025 23:44:00

JPMorgan-CEO Jamie Dimon schlägt Alarm: Die aktuelle Stärke der Aktienmärkte zeuge von einer extremen Selbstgefälligkeit. Anleger würden bestehende Risiken massiv unterschätzen.

• JPMorgan-CEO warnt: Anleger ignorieren Risiken
• Dimon: US-Zölle auch auf aktuellem Niveau noch "ziemlich extrem"
• Weitere Experten stimmen zu und warnen vor hoher Unsicherheit

JPMorgan-CEO Jamie Dimon hat beim jährlichen Investorentag der US-Investmentbank eine scharfe Warnung ausgesprochen. Er kritisierte dabei die Sorglosigkeit, mit der Investoren auf aktuelle Ereignisse reagieren würden, und sprach von einem "außergewöhnlichen Maß an Selbstgefälligkeit" an den Märkten.

Jamie Dimon mit eindringlicher Warnung vor gefährlicher Selbstgefälligkeit

Im Zentrum von Dimons Kritik steht die Reaktion der Aktienmärkte auf die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump sowie auf den Verlust der Top-Bonität der USA bei der Ratingagentur Moody's. Hatten die Börsen auf die Zollankündigung des US-Präsidenten im April zunächst noch mit heftigen Verlusten reagiert, die inzwischen jedoch wieder vollständig aufgeholt wurden, so sorgte die Abstufung der USA nur noch sehr kurzzeitig für Abgaben, die am Ende des Handelstages bereits wieder Geschichte waren.

"Der Markt ist um zehn Prozent gefallen und dann wieder um zehn Prozent gestiegen. Ich halte das für ein außergewöhnliches Maß an Selbstgefälligkeit", sagte Dimon mit Blick auf die durch die US-Zollpolitik ausgelösten Kursbewegungen laut "MarketWatch". Vor allem Risiken wie geopolitische Spannungen, eine höhere Inflation oder gar eine Stagflation würden seiner Meinung nach von den Anlegern nicht ernst genug genommen. So sei etwa die Chance einer Stagflation laut dem JPMorgan-CEO "wahrscheinlich doppelt so hoch", wie es die Marktteilnehmer aktuell einpreisen würden. Auch das geopolitische Risiko sei besorgniserregend. Es sei "sehr, sehr, sehr hoch. Wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt, wissen wir nicht", so Dimon laut "Yahoo Finance".

Mit Blick auf die von der Trump-Regierung verhängten Zölle warnte der JPMorgan-Chef, dass deren volle Auswirkungen noch nicht absehbar seien und sie selbst in ihrer derzeitigen Höhe "ziemlich extrem" seien. Zwar hat die Trump-Regierung die im April ursprünglich verhängten Zölle gegen zahlreiche Länder vorläufig wieder ausgesetzt oder reduziert, es gelten aber weiterhin branchenspezifische Zölle sowie ein allgemeiner Basiszoll in Höhe von zehn Prozent. "Selbst auf diesem niedrigen Niveau, wenn sie auf dem heutigen Niveau bleiben, sind das ziemlich extreme Zölle. Und man weiß auch nicht, wie jedes Land reagieren wird", betonte Dimon laut "CNN". Zusätzlich mahnte er an, dass viele Jahre nötig seien, um die Produktion der betroffenen Importgüter in die USA zu verlagern.

"Wenn ich all diese Dinge sehe, die sich am Rande des Extremen anhäufen, glaube ich nicht, dass wir das Ergebnis vorhersagen können. Ich denke, die Wahrscheinlichkeit einer steigenden Inflation und Stagflation ist etwas höher als andere Leute glauben", so Dimon laut "CNN" beim Investorentag weiter. "Wir haben riesige Defizite; unsere Zentralbanken sind meiner Meinung nach fast selbstgefällig. Ihr alle glaubt, sie könnten das alles bewältigen. Ich nicht", sagte er außerdem laut "The Guardian".

Anleger "vorsätzlich blind": Andere Experten sehen ebenfalls Warnsignale

Auch andere Experten sehen die aktuellen Entwicklungen der Aktienmärkte, die sämtliche Belastungsfaktoren einfach abzuschütteln scheinen, zunehmend kritisch. Jonathan Krinsky, Chef-Markttechniker beim Prime Broker BTIG, erklärte laut "MarketWatch" in einem Schreiben an Kunden, dass die derzeit niedrigen Put/Call-Verhältnisse am Optionsmarkt tatsächlich auf eine gefährliche Sorglosigkeit der Händler hinweisen würden. So befänden sich die fünftägigen gleitenden Durchschnitte der Put/Call-Verhältnisse in der Nähe ihrer Fünfjahrestiefststände. Das bedeutet, dass Trader momentan Call-Optionen bevorzugen, was auf eine optimistische Haltung schließen lässt. "Obwohl es sinnlos erscheint, gegen den jüngsten Aufwärtstrend anzukämpfen, deuten enge Spannen und extreme Put/Call-Verhältnisse auf Selbstzufriedenheit hin", warnte Krinsky in dem Kundenbrief. Dies dürfte letztlich zu einer Marktbereinigung führen, selbst wenn diese nur kurzfristig sein sollte, so der Experte weiter. Er erwarte zudem, dass diese eher früher als später eintreten werde.

Auch Nigel Green, CEO des britischen Finanzdienstleisters deVere Group, warnte gegenüber "MarketWatch" vor einer "vorsätzlichen Blindheit", die sich am Aktienmarkt einschleiche. So würden Anleger etwa Signale einer wachsenden Unsicherheit ignorieren. "Die Erinnerung an die rasanten Erholungen im Jahr 2023 und Anfang 2024 hat viele dazu gebracht, Abwärtsrisiken als vorübergehendes Rauschen abzutun. Aber die makroökonomischen Bedingungen haben sich grundlegend verändert. Lieferketten sind nach wie vor zersplittert, die Energiemärkte sind unruhig, und die Reallöhne sinken in vielen Entwicklungsländern weiterhin", warnte Green.

Und auch eine Kollegin teilt die Besorgnis von JPMorgan-Chef Dimon über die aktuelle Lage. "Wer auf der Suche nach Klarheit auf die Märkte blickt, wird vielleicht etwas enttäuscht sein. Wer jedoch nach Signalen sucht, findet sie überall", schrieb Citigroup-CEO Jane Fraser in einem Blogeintrag. "Die Unsicherheit bleibt", so Fraser weiter. Unternehmen würden Investitionsentscheidungen aufschieben, Neueinstellungen verzögern und sich auf mögliche Zweit- und Drittrundeneffekte vorbereiten. "Wir befinden uns mitten in einem Wandel, der größer ist als jede einzelne Politik. Es geht um Resilienz, Risiko und die Neuausrichtung globaler Strategien für eine dynamischere Welt", so die Citigroup-Chefin. Besonders problematisch sei laut Fraser dabei auch, dass das Vertrauen in lange vertretene Ansichten nun bröckele und jeder vermehrt nur noch nach sich selbst schaue. "Wir treten in eine neue Phase der Globalisierung ein - eine, die weniger von Kooperation als vielmehr von strategischem Eigeninteresse geprägt ist. Lange vertretene Annahmen werden in Frage gestellt, nicht nur durch Zollankündigungen, sondern auch durch einen tieferen Vertrauensschock. Die kurzfristigen Auswirkungen sind bereits spürbar, und die langfristige Entwicklung wird in Echtzeit neu geschrieben", so Fraser.

Redaktion finanzen.net

Bildquelle: Dilok Klaisataporn / Shutterstock.com, Jemal Countess/Getty Images for Time, Anja Niedringhaus/AP

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