Rohstoffe auf dem Weg zurück in die Zukunft
Experten erwarten, dass Rohstoffe noch teurer werden als 2008. Grund: Der Konjunkturaufschwung werde für Knappheiten sorgen.
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von Carsten Lootze
Über ein Comeback des Jahres 2008 würde sich wohl kaum jemand aus der Finanzbranche freuen. Anthony Carpet von Goldman Sachs schon. Tobias Merath von der Credit Suisse ebenfalls. Auch Simon Grenfell hätte dann Grund zur Freude, ebenso wie Gayle Berry von Barclays Capital. Und die vier sind guter Hoffnung, dass schon das kommende Jahr eine Rückkehr von 2008 bringen könnte.
Damit ist nicht gemeint, dass das Finanzsystem erneut an den Rand eines Zusammenbruchs geraten wird. Stattdessen sind sich die vier Rohstoffanalysten darin einig, dass die Preise von Öl, Gas, Weizen, Mais, Soja, Gold, Platin, Kupfer, Nickel und Aluminium vor einer lang anhaltenden Rally stehen. Der Anstieg des Ölpreises seit Jahresbeginn sei davon nur der Anfang. Das Hauptargument der Experten: Erholt sich die Weltkonjunktur, wird der Rohstoffbedarf steigen.
Das Angebot wird dabei wegen aktueller Mangelinvestitionen nicht mehr mithalten können – die Folge wären starke Preisanstiege. „Wir erwarten ein neues 2008, als ernste Versorgungsengpässe eine Regulierung der Nachfrage durch deutlich höhere Preise erforderlich machten“, sagt Goldman-Sachs-Analyst Carpet. Grenfell sieht es ähnlich: „Wir stellen uns darauf ein, wirklich starke Preisanstiege zu sehen“, sagt der Leiter des asiatischen Rohstoffgeschäfts der Deutschen Bank. Denn die Rohstoffnachfrage werde weltweit von den staatlichen Konjunkturprogrammen und dem wieder anziehenden Wirtschaftswachstum angetrieben.
Ein Blick auf das Beispiel Öl zeigt: In den Jahren 2000 bis 2008, als die Weltwirtschaft mit jährlichen Raten zwischen einem und fünf Prozent wuchs, stieg auch die Ölnachfrage jährlich – um null bis fünf Prozent. Im Zuge der Finanz- und Konjunkturkrise ließ die globale Rohstoffnachfrage dann ebenso stark nach wie das Wirtschaftswachstum: Beide Größen lagen Anfang 2009 etwa vier Prozent unter den Vorjahreswerten. Dementsprechend sind die Lagerbestände an Rohstoffen weltweit stark angestiegen. „Seit Beginn der Finanzkrise ist die Nachfrage deutlich gesunken“, bestätigt der Leiter der Rohstoffanalyse bei der Credit Suisse, Tobias Merath.
Nun zeigt sich eine Trendwende. Denn die Rezession in den größten europäischen Volkswirtschaften und Japan ist aus technischer Sicht beendet. Im zweiten Quartal wuchsen die Bruttoinlandsprodukte dort im Vergleich zum Vorquartal wieder, nachdem sie vorher monatelang geschrumpft waren. Dazu haben auch die weltweiten Konjunkturprogramme beigetragen, die sich nach Angaben der Nachrichtenagentur Bloomberg weltweit auf rund zwei Billionen US-Dollar belaufen. Die Aussichten für die nächsten Quartale sind günstig: Seit Juni heben immer mehr Banken und Forschungsinstitute ihre Wachstumsprognosen stetig an. Beispielweise erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2010 inzwischen ein globales Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent. Noch im April hatte er lediglich mit 1,9 Prozent Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt gerechnet. „In Anbetracht dieser verbesserten fundamentalen Perspektiven sollten sich Anleger auf allgemein steigende Rohstoffpreise in den nächsten Monaten einstellen“, sagt Merath. Denn der Gleichlauf von Bruttoinlandsprodukt und Ölnachfrage in den vergangenen Jahren legt nahe, dass die Nachfrage mit dem Wachstum anziehen sollte.
Im Gegensatz dazu können die Rohstoffunternehmen ihr Angebot aber kaum oder gar nicht ausweiten. Denn die Unternehmen haben nur sehr wenig in neue Produktionskapazitäten investiert — vor allem von der Mitte der 1980er-Jahre bis 2001. „Der Grund dafür waren die damals niedrigen Rohstoffpreise“, sagt Analyst Jochen Hitzfeld von der Unicredit. Erst im Zuge der Preisanstiege 2008 hätten Ölkonzerne, Minenbetreiber und Agrarproduzenten ihre Investitionen verstärkt. Doch dann kam die Kreditkrise, und die Banken schränkten ihre -Darlehensvergabe ein. Hitzfeld: „Vor allem kleine und mittelgroße Explorationsunternehmen, die neue Rohstoffvorkommen erkunden wollen, bekommen derzeit kaum Kredite für neue Projekte.“ Die Folge: In den Jahren 2009 und 2010 werden Minenunternehmen nur noch halb so viel investieren können wie in den Vorjahren, hat die Unternehmensberatung McKinsey errechnet. So liegen derzeit beispielsweise die teuren Ölsandprojekte in Kanada auf Eis, die im vergangenen Jahr noch für Aufsehen gesorgt hatten.
„Fehlende Investitionen, vor allem kurz- bis mittelfristige, sind zu einem Schlüsselrisiko für die Versorgung geworden“, sagt Fatih Birol. Der Chefvolkswirt der Internationalen Energie-Agentur (IEA) sagt weiter: „Wir schätzen, dass die Förderbudgets bei Öl und Gas für 2009 schon um 21 Prozent gegenüber 2008 gekürzt worden sind.“ Das entspreche einem Investitionsrückgang um 100 Milliarden US-Dollar. Daher sieht auch Birol künftige Knappheiten bei Energierohstoffen: „Es besteht die Gefahr, dass die Investitionen in den kommenden Monaten und Jahren zu stark zurückgefahren werden. Dadurch könnten die Förderraten noch schneller sinken als bisher und zu Versorgungsengpässen führen, sobald sich die Wirtschaft erholt.“
Die IEA hat zwei Szenarien entworfen, wie sich Ölangebot und Ölnachfrage mittelfristig entwickeln könnten. Im ersten Fall geht sie davon aus, dass das globale Wirtschaftswachstum von 2009 bis 2014 unter seinem langjährigen Durchschnitt bleibt. Die unterstellten Wachstumsraten liegen dabei zwischen minus 1,4 Prozent in diesem Jahr und 3,0 Prozent 2012 und 2013. Bei diesem Szenario erwartet die IEA, dass die tägliche Ölförderung im Schnitt um 900.000 Fass pro Tag sinken wird. Bislang war sie von einem täglichen Wachstum von 1,5 Millionen Fass ausgegangen. Das zweite Szenario geht von einem globalen Wirtschaftswachstum zwischen minus 1,4 Prozent in diesem Jahr sowie 4,8 Prozent 2012 und 2013 aus. Für diesen Fall rechnet die Internationale Energiebehörde mit einem täglichen Förderrückgang um 400 000 Fass. Gleichzeitig hat die IEA aber auch ihre neue weltweite Verbrauchsprognose wegen der Finanz- und Konjunkturkrise niedriger angesetzt: für das pessimistische Szenario um 9,23 Millionen Fass pro Tag, für das optimistische um 6,24 Millionen Fass pro Tag.
Was bedeutet das unterm Strich für das Verhältnis von Angebot und Nachfrage? „Im pessimistischen Szenario fällt die Reduktion der Förderkapazitäten zu gering aus, sodass es zu einem deutlichen Anstieg der freien Förderkapazität kommt“, sagt Analyst Hitzfeld. „Im optimistischen Szenario ist der Anstieg allerdings nur vorübergehend und sinkt bis 2014 wieder auf gefährlich niedrige 3,4 Millionen Fass pro Tag.“
Dieses Missverhältnis von Angebot und Nachfrage müsste der Markt über weiter steigende Preise ausgleichen. Bei einigen Rohstoffen wie Öl, Aluminium, Kupfer und Nickel hat er damit in den vergangenen Monaten schon begonnen. So erreichte der WTI-Ölpreis in dieser Woche mit 74 US-Dollar den höchsten Schlusskurs dieses Jahres. Anders die Preise von Agrarrohstoffen wie Weizen, Mais und Soja sowie Edelmetallen wie Gold und Platin: Diese schwankten in den vergangenen Monaten seitwärts. „Erst wenn die Konjunkturindikatoren eindeutig die Richtung nach oben eingeschlagen haben, erwarten wir einen ausgeprägten und breit angelegten Aufwärtstrend der Rohstoffnotierungen“, sagt Dora Borbély von der Deka-Bank. „Das dürfte ab Herbst der Fall sein.“
Die Preisprognosen von Goldman Sachs, der Deutschen Bank, der Credit Suisse und der Unicredit zeigen: Ende 2010 sollten fast alle wichtigen Rohstoffe deutlich teurer sein als momentan – egal, ob Energieträger, Industriemetalle, Edelmetalle oder Agrargüter. Die Gründe dafür sind vielfältig: Energierohstoffe und Edelmetalle werden weiterhin vom anziehenden Wirtschaftswachstum – insbesondere in den Schwellenländern – profitieren. Den Agrarrohstoffen kommt der Megatrend Bevölkerungswachstum zugute, der den weltweiten Nahrungsbedarf in die Höhe treibt. Edelmetalle werden einerseits von der anziehenden Industrieproduktion profitieren (zum Beispiel Platin in der Automobilbranche), andererseits vom steigenden -Investoreninteresse (Gold).
Die höchsten Preisaufschläge werden bis Ende 2010 Agrarrohstoffe und Industriemetalle verbuchen, sind sich die Experten einig. Vergleichsweise geringe Zuwächse erwarten sie bei Edelmetallen. Anleger sollten sich jetzt für die erwartete Preisrally bei Rohstoffen positionieren. Dafür bieten sich einerseits börsennotierte Indexfonds (ETF) und Zertifikate an, die direkt in Rohstoffkörbe investieren. Aber auch Aktien von Rohstoffunternehmen sind empfehlenswert. Denn Analysten erwarten, dass die 29 Rohstoffunternehmen aus dem US-Aktienindex S & P 500 im Jahr 2010 rund 87 Prozent mehr verdienen werden als 2009 – vor allem wegen der erwarteten höheren Rohstoffpreise. Kein anderer Sektor bietet die Aussicht auf höhere Gewinnanstiege. Zudem liegt das Kurs/Gewinn-Verhältnis des Rohstoffsektors auf Basis der Gewinnschätzungen für 2010 bei 17,7 – weit unter dem historischen Durchschnitt von 23,2. Sollten die Rohstoffpreise 2010 dorthin kommen, wo sie 2008 waren, wäre dies ein äußerst ertragreicher Schritt zurück in die Zukunft.
INVESTORENINFORMATIONEN
BGF World Mining Fund
Globaler Minenmix
Der BGF World Mining Fund von BlackRock gehört seit Jahren zu den besten Rohstoffaktienfonds. Portfoliomanager Evy Hambro investiert weltweit in Aktien von Bergbau- und Metallgesellschaften. Unternehmen aus den Bereichen Gold, Kupfer und Platin sind aktuell besonders stark vertreten. Dabei konzentriert sich Hambro auf Schwergewichte der Branche wie BHP Billiton, Rio Tinto, Vale und Xstrata. Insgesamt umfasst das Portfolio momentan rund 60 Werte. Seit Anfang 2009 erzielte der Fonds etwa 65 Prozent Wertzuwachs.
DWS Global Agribusiness
Ertragreicher Feldversuch
Bislang gibt es wenig Fonds, die ausschließlich in Agrarunternehmen investieren. Vorreiter war der DWS Global Agribusiness. Das Anlageuniversum von Manager Oliver Kratz umfasst Hersteller von Saatgut, Düngemitteln und Landmaschinen sowie Nahrungsmittelproduzenten und -großhändler. Die meisten Unternehmen im Fonds kommen aus den USA und Brasilien. Zu den größten Positionen gehören Monsanto, Bayer und Nestlé. Der Wertzuwachs seit Anfang 2009 beträgt 53 Prozent.
Börsennotierte Indexfonds (ETFs)
Breit aufgestellte Rohstoffkörbe
ETF dürfen sich nicht auf einzelne Rohstoffe beschränken. Daher bilden sie Körbe mehrerer Güter ab. Breit aufgestellt ist der iShares Dow Jones-UBS Commodity Swap (ISIN: DE 000 A0H 072 8) mit Energie- und Agrarrohstoffen, Industrie- und Edelmetallen. Wer sich auf Agrarrohstoffe und Metalle beschränken will, die als besonders aussichtsreich gelten, sollte zum Lyxor ETF Commodities CRB non Energy (FR 001 027 003 3) greifen. Noch enger gefasst sind die Anlageuniversen des Market Access RICI – Agriculture Fund (LU 025 932 145 2) und des Market Access RICI – Metals Fund (LU 025 932 072 8). Diese beschränken sich auf 21 Agrarrohstoffe beziehungsweise zehn Industrie- und Edelmetalle.
Zertifikate
In einzelne Rohstoffe investieren
Im Gegensatz zu ETFs können Anleger über Zertifikate in einzelne Rohstoffe investieren. Hier eine Auswahl von Produkten für die Rohstoffe, die Analysten zufolge in den kommenden Monaten das größte Potenzial besitzen: das Erdgas Nymex Open-End (ISIN: NL 000 044 733 2) von der Royal Bank of Scotland (RBS), das Zink LME Open End Partizipationszertifikat (DE 000 GS0 HH4 0) von Goldman Sachs, das Silber Open-End Zertifikat (DE 000 HV1 A3D 2) der HypoVereinsbank und das Mais CBOT Open-End (NL 000 042 044 6) von der RBS.
Rohstoff- und Wertpapierkurse
Starke Abweichungen möglich
Rohstoff-ETFs und -zertifikate investieren in Terminkontrakte (Futures). Kurz bevor die Laufzeit eines Futures endet, muss der ETF-Anbieter diesen verkaufen und in den nächstfälligen tauschen (im Fachjargon „rollen“ genannt). Je nachdem, ob dieser teurer oder billiger ist als der alte, entstehen sogenannte Rollgewinne oder Rollverluste. Daher kann die Wertentwicklung von Rohstoff-ETFs und -Zertifikaten stark von der Entwicklung des Rohstoffpreises abweichen.