Vermessung der Versicherten: Welche Chancen und Risiken das birgt
Versicherungen sammeln mit modernster Technik Informationen über ihre Kunden, um Lebensweise oder Fahrstil festzustellen.
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von Uwe Schmidt-Kasparek, Euro am Sonntag
Man muss tief in die Literaturgeschichte einsteigen, um Schriftsteller zu finden, die sich zu Versicherungsfragen äußern. Franz Kafka, der im Brotberuf für einen Unfallversicherer arbeitete, gehört dazu - er verarbeitete die Erfahrungen in Klassikern wie "Der Prozess" oder "Das Schloss". So erregte es einiges Aufsehen, als die hoch prämierte Autorin Juli Zeh den Generali-Konzern scharf kritisierte. Sie warf der Versicherung vor, einem "totalitären Gesellschaftsmodell" Vorschub zu leisten.
Anlass waren Pläne der Krankenversicherungssparte, Fitness, Ernährung und Lebensstil von Kunden zu kontrollieren und zu prämieren. Zeh hatte solche Visionen zuvor im Zukunftsroman "Corpus Delicti" weitergesponnen. Das passt in die weltweite Diskussion darüber, was Versicherer alles über Kunden herausfinden können - und was sie mit den Daten anfangen dürfen.
Generali modifiziert gerade das Gesundheitsprogramm "Vitality", das vom südafrikanischen Versicherer Discovery stammt, und will als erster deutscher Anbieter möglicherweise noch 2015 damit starten. Laut Pressemitteilung geht es darum, "gesundheitsorientiertes Verhalten zu fördern" - durch Prämien, Rabatte und Bonuspunkte. Übermitteln können Kunden ihre Gesundheitsdaten per App, also via Software für Handys und mobile Computer. Das Unternehmen verspricht, die "besonders hohen deutschen Datenschutzanforderungen" einzuhalten.
Zwar ist noch niemand so weit gegangen wie die Generali, doch liegen technikkontrollierte Gesundheitsaktivitäten im Trend. Aktuell nutzen rund 22 Prozent der Freizeitsportler eine App, um ihre Gesundheitswerte zu speichern, zeigt eine Umfrage der Krankenkasse IKK Classic. Allerdings lehnen die IKK Classic und einige andere gesetzliche Kassen wie DAK und KKH solche verhaltensabhängige Tarifmodelle ab. Sie sehen darin einen Verstoß gegen ihr Solidaritätsprinzip.
Jedoch gibt es bei den gesetzlichen Kassen keine einheitliche Linie. So offeriert die Barmer mit der App FIT2GO ein elektronisches Gesundheitstraining, das mit 150 Bonuspunkten für Sachprämien belohnt wird. O-Ton: "FIT2GO gibt sofort ein Signal, sobald das Ziel erreicht ist. Danach den Vor- und Nachnamen sowie die Versichertennummer in der App angeben, abschicken und fertig!" Noch weiter geht das Programm der AOK Nordost namens "AOK mobil vital", das digital Größe, Gewicht und Aktivität des Versicherten erhebt und sogar eine Schulnote für den Gesundheitszustand vergibt.
Schärfere Gesetze gefordert
"Durch die Nutzung dieser Daten für eine Tarifgestaltung werden Persönlichkeitsrechte betroffen", warnt Volker Nürnberg, der die Sparte für Gesundheitsmanagement bei der Beratungsgesellschaft Mercer Deutschland leitet. Zudem gebe es ein hohes Datenrisiko. So könnten die Daten ohne mögliche Kontrolle des Nutzers in Clouds analysiert werden oder sogar in falsche Hände geraten. Daher sollte nach Ansicht Nürnbergs ein Gesetz die Grenzen der Verwendung intimer Gesundheitsdaten regeln.Und Klaus Müller, Vorstand der Verbraucherzentrale Bundesverband, warnt, dass Versicherer digitale Belohnungsmodelle in der Zukunft zu Bestrafungssystemen umbauen könnten. Trotzdem kann man das Rad aus Sicht Nürnbergs wohl kaum noch zurückdrehen. Bestätige sich, dass durch die Nutzung der von den Verbrauchern freiwillig abgegebenen Daten Wettbewerbsvorteile entstehen, "werden sich immer mehr Versicherungen dem Trend anschließen", so der Wissenschaftler. Dass er durchaus recht haben könnte, beweist die Entwicklung in der Autoversicherung gerade eindrucksvoll. So vergeht fast kein Monat mehr, an dem nicht ein Autoversicherer den Einstieg in einen sogenannten Telematiktarif ankündigt. Und die Aufschreie, dass hier "Big Brother" mitfährt, werden bei jedem dieser Tarife nach dem Motto "Pay as you drive" (auf Deutsch: Zahle, wie du fährst) etwas leiser.
Wider die Verwanzung des Autos
Als der Sparkassen-Direktversicherer S-Direkt Ende 2013 als Erster solch ein Angebot brachte, musste das Unternehmen als Prügelknabe herhalten - wie derzeit die Generali. Kritiker warnten vor einer neuen "Datenkralle" und der "Verwanzung" des Autos. Deutschlands oberster Datenschützer Peter Schaar erklärte, es könnte bei einer entsprechenden Prämiengestaltung durch immer mehr Versicherer ein "ökonomischer Zwang" zur Wahl solcher Tarife kommen. Besonders problematisch sei es, dass viele Autos von mehreren Nutzern gefahren werden. Dann könnte der Halter als Versicherungsnehmer andere Fahrer kontrollieren und die zurückgelegten Strecken genau rekonstruieren.Konkret winkt Kunden bei S-Direkt ein nachträglicher Rabatt. Voraussetzung: Eine sogenannte Telematikbox, die ins Auto eingebaut wird, überwacht den Fahrer und zeigt, ob er sicher unterwegs ist. Festgemacht wird das etwa an Geschwindigkeitsüberschreitungen und Bremsverhalten. Außerdem zählen die zurückgelegten Kilometer und die Fahrzeit. Die Daten werden beim Mobilfunkanbieter Telefónica gespeichert, der das System entwickelt hat. S-Direkt erfährt nach eigenen Angaben, abgesehen von der Kilometerzahl, lediglich verschlüsselte Punktestände. "Wir erhalten keinerlei Einblicke in konkrete Fahrtdaten und wissen nicht, wann wo wer wie gefahren ist", sagt Jürgen Cramer, Chef von S-Direkt.
Trotz solcher Beteuerungen fällt die Nachfrage der Kunden allerdings noch verhalten aus. Kein Wunder, denn der Rabatt bei der S-Direkt ist mit fünf Prozent recht mager. Das sieht bei Konkurrenten anders aus - sie überbieten sich förmlich mit Rabatten. Verbunden mit einer App namens Sijox gibt es bei der Signal-Iduna einen Tarif, der individuelle Fahrdaten erhebt und defensives Fahren belohnt. Zielgruppe sind Fahrer unter 30 Jahren. "Es sind bis zu 40 Prozent Ersparnis möglich", erläutert Projektleiter John-Sebastian Komander.
"Wir bieten Kunden bis zu 30 Prozent Rabatt", sagt ein Sprecher der VHV. Sie ist immerhin der viertgrößte Anbieter im Markt und startet im Herbst. Die relativ kleine Itzehoher beginnt definitiv am 1. September. Hier wird es die Telematikbox kostenlos für alle Haftpflicht- und Kaskokunden geben, erklärt Frederik Waller, Leiter des Itzehoher Maklervertriebs. Zum Vergleich: S-Direkt verlangt 71,40 Euro Miete pro Jahr.
Deutschlands größter Kfz-Versicherer HUK-Coburg testet derzeit solche Boxen in Autos von Mitarbeitern, wie ein Sprecher erklärt. Man denke darüber nach, in den kommenden Monaten einen Telematiktarif zu starten -"mit Boni für positives Fahrverhalten". Damit könnte sich das Fahren mit der Blackbox endgültig durchsetzen.
Neues Notrufsystem als Einfallstor
Ebenfalls Anfang 2016 will der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) allen seinen Mitgliedsfirmen einen Notfallstecker zur Verfügung stellen. Er soll, mit einem Smartphone gekoppelt, den künftigen gesetzlichen E-Call für Gebrauchtwagen vorwegnehmen. E-Call ist ein automatisches Notrufsystem, das ab dem 31. März 2018 in alle neuen Pkw eingebaut werden muss. Der GDV will damit den Autoherstellern Paroli bieten. Denn die Daten landen auf einem GDV-Server. Dann könnte der Wagen rasch in einer mehr oder weniger günstigen Partnerwerkstatt des Versicherers landen.Auch in anderer Hinsicht könnten scheinbar freundliche digitale Hilfen den Verbrauchern später das Leben schwer machen. Etwa die App Mehrwetter, ein Gemeinschaftsangebot der öffentlichen Versicherer. Per SMS aufs Handy erfährt der Kunde frühzeitig von herannahenden Unwettern und sollte zu Hause schnell Fenster und Rollläden schließen und das Auto in die Garage fahren. Nicht ausgeschlossen, dass es später einmal Probleme für den Versicherten geben wird, wenn er die Warnung ignoriert und dann trotzdem Geld von der Versicherung haben will.
USA: Streben nach langem Leben wird belohnt
Die umstrittene App Vitality, die der private Krankenversicherer Generali in Deutschland einführen will, startete in den USA bereits vor einigen Wochen. Hier ist aber kein Krankenversicherer mit von der Partie, sondern der Lebensversicherer John Hancock. Er will nach eigenen Angaben seine Kunden "für gesundes Leben belohnen" und nutzt dafür tragbare Geräte des Computerspezialisten Apple, unter anderem die neue Apple Watch, aber auch die immer populäreren Fitness-Armbänder.Wer viel spazieren geht, joggt oder seinen Blutdruck messbar senkt, sammelt "Vitality Points", die er wie in einem Vielfliegerprogramm für Reisen, Hotels oder Einkäufe verwenden kann. "Das verändert die Spielregeln", sagt Mike Gorlick, Chef des Versicherungsmaklers Zenith Marketing. "Es wird ähnlich funktionieren wie die Vielfliegerprogramme bei Airlines. Hier hat das Sammeln von Meilen die Kundenloyalität erhöht." John Hancock gibt an, dass ein 45-jähriges Paar mit "Vitality" bei einer Auszahlung im Todesfall von 500.000 Dollar innerhalb von 40 Jahren mehr als 25.000 Dollar an Prämien sparen kann. Der Lebensversicherer verspricht, keine Minuspunkte für Sportmuffel einzuführen.
Zahl der Schritte hochschrauben
Spannend ist das Datensammeln aber auch für Krankenversicherer. Das Start-up Oscar schenkt neuen Kunden ein Fitnessarmband. Auf dessen Daten hat es per App unbeschränkten Zugriff. Wer sein Ziel 20 Tage in Folge erreicht, zum Beispiel 2000 Schritte am Tag zu laufen, erhält eine Amazon-Geschenkkarte. Oscar nimmt sich heraus, das Ziel jeden Tag weiter zu stecken: "Ziel ist, die Schrittzahl auf 7.000 bis 10.000 pro Tag hochzusetzen. Ab dann haben die Schritte einen echten Einfluss auf die Gesundheit", sagt Oscar-Geschäftsführer Mario Schlosser.Generell gilt: Amerikaner lieben alles Neue - insbesondere, wenn es billiger ist. In der Regel stellen sie auch weniger kritische Fragen. So bietet die Autoversicherung Progressive seit 2013 die erste Police an, die das Fahrverhalten am Steuer per Telematik an sie sendet. Das Programm heißt ganz unschuldig Snapshot - dabei geht es weniger um einen Schnappschuss, sondern um andauernde Überwachung. Nutzungsbezogene Versicherung heißt das im US-Fachjargon ganz neutral. Wer sicher fährt, erhält einen Rabatt von 150 Dollar im Jahr. Vermutlich haben die wenigsten das Kleingedruckte gelesen: Schlechte Fahrer sollen mit höheren Prämien bestraft werden.
Andere Versicherungen wie Allstate, State Farm, Nationwide, Travelers und The Hartford haben nachgezogen. Allstate zum Beispiel bietet einen zehnprozentigen Rabatt für alle, die mitmachen, und maximal 30 Prozent Discount für sichere Fahrer. (von N. Husmann/New York)
Großbritannien: Eine Landkarte des Fitnesswahns
Es ist auf der Insel ein gewaltiger Trend: Die Briten rüsten sich massenweise mit den neuesten Geräten und Programmen aus und lassen sich überwachen, messen, kontrollieren - um Versicherungsprämien zu sparen. Egal, wenn der Computer jede Meile im Auto über GPS erfasst, wenn jeder Schritt und Tritt des Waldspaziergangs an die Versicherung gemeldet wird. Hauptsache, man zahlt weniger.
So hat Großbritannien unter den Industrieländern die längste Tradition, was das "Vitality"-Programm angeht. Schon 2007 schlossen der Versicherer Prudential und der südafrikanische
Vitality-Erfinder Discovery ein Joint Venture, das heute Vitality Health heißt. Seither können Briten eine Krankenversicherung abschließen und gleichzeitig mit Sport und gesunder Lebensführung Geld sparen.
Je nach Sportleistung gibt es Punkte, die man für Belohnungen wie vergünstigte Mitgliedsgebühren beim Fitnessklub einlösen kann. Nach drei Jahren zahlt sich der Fitnesslevel zudem in Nachlässen bei den Versicherungsprämien aus. Nach Angaben von Vitality Health können Mitglieder bis zu 20 Prozent der Prämien einsparen.
London lebt gesünder
Wo das Konzept hinführen kann, ist leicht auszudenken. Schon hat Vitality Health eine Landkarte veröffentlicht, auf der sich ablesen lässt, dass Personen in Wales ungesünder leben als Londoner, die offenbar vom Fitnesswahn befallen sind. Hier werden also schon die Risikofaktoren bestimmter Bevölkerungsgruppen erfasst.Außerdem beginnt eine indirekte Überwachung von Unternehmen: Die Kunden sollen in einem Wettbewerb jene Arbeitgeber finden, die am meisten für Gesundheitsförderung tun. Ein Arbeitgeber trägt schließlich mit einer guten Kantine und stressfreiem Umfeld zur Fitness seiner Mitarbeiter bei. Die Frage ist dann nur noch, wann ein Mitarbeiter eines ungesunden Unternehmens in Wales mehr zahlen muss als jemand, der in London bei einem gesunden Arbeitgeber tätig ist.
Zumindest derzeit haben die Briten offenbar keine Bedenken bei der Überwachung zugunsten niedriger Prämien. Denn Telematikversicherungen sind ein Hit. Der gewissenhafte Fahrer erhält Vergünstigungen bei seinen Kfz-Prämien - Erziehung per Kostendruck. Das kommt an, vor allem bei Frauen, die für die nächtliche Raserei betrunkener Männer nicht mehr zahlen wollen, und bei jungen Fahrern, die sonst exorbitant hohe Prämien löhnen müssen.
Immerhin ist man auf der Insel Überwachung schon gewöhnt. Laut Statistik hat London mehr öffentliche Kameras je Einwohner als Peking. Vielleicht machen sich deshalb so viele Briten so unbeeindruckt zum "Gläsernen Menschen", der Geld beim Versicherer sparen kann. (von B. Schulz/London)
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